4.
Um das Handeln, nemlich
die Gemeinschaft des Handelnden und Behandelten zu
begreifen, müsse, behaupteten wir, der Mensch mit
freier Unpartheilichkeit, mit wahrer Ironie über und
in dem Gegensatz von Handelndem und Behandeltem schweben:
es reiche nicht hin, die Handlung sich vom Handelnden
ausgehend und auf das Behandelte blos übergehend zu
denken, sondern bei aller menschlichen Kunst, bei
aller Thätigkeit, die begriffen werden soll, müßten
wir auch wieder im Stande sein, des behandelten Stoffs
oder Objects Gegenthätigkeit zu begreifen, wir müßten
die ganze Kunsthandlung so begreifen, als gienge sie
vom Stoffe, von dem Behandelten aus; als stünde uns,
indem wir bildeten, im Stoffe vor uns ein andrer Künstler
gegenüber, der, indem wir ihn zu bilden glaubten,
auch eben so, in demselben Maße wieder uns bildete;
er, der Künstler, und wir, seine Stoffe. Nur in sofern
das Werk des Künstlers auf diese Weise unter seinen
Händen herauflebt, sich wehrend, trotzend gegen den
künstlerischen Helden, der mit jedem Schlage seines
Meissels neue Kräfte im Werke entbindet, der die Gestalt
immerfort rüstet und rüstet, um sie wieder zu überwinden;
nur in sofern beide endlich, wenn sie einander gegenseitig
begabt und erfreut, gebildet und begeistet, wie Held
und Held nach langem unentschiedenen Kampfe mit Genugthuung
auseinander gehn, beide, Geist und Leben in andere
Sphären ohne Ende verbreitend – nur in sofern
ist wirklich gelebt, gehandelt und gebildet worden. –
Fort mit dem weichlichen Künstler,der seiner Stoffe,
seiner Farben, seiner Sprache, seines Marmorblocks
todte Rohigkeit beklagt, weil jene sich weigern, widerstreben,
ihre Eigenheit, ihre Persönlichkeit nicht aufgeben
wollen: oder der andrerseits die Unerreichbarkeit
der Idee, die er selbst hinzugebracht, bejammert.
Hier stehn vor uns die beiden Extreme der ohnmächtigen
Kunst: sie werden sich immer neben einander zeigen,
in demselben falsch strebenden Künstler; von den Handwerkern
der Kunst ist hier nicht die Rede. Weil du der Despot
deines Marmors sein willst, siehst du in dem Marmor
nichts als einen rohen, leblosen Sclaven; weil du
den Marmor tyrannisirst, so tyrannisirt er dich wieder,
so muß in demselben Augenblick deine Idee ihm als
Sclave dienen. Ich werde demnach verstanden, wenn
ich vom Künstler die (wohlverstanden) gegensätzische
Identität, die Gleichheit des Realen <18:> und
des Ideals, des Behandelten und des Handelnden fordre.
Ein göttlicher Richter und Mittler schwebe er geflügelt
und leicht über beiden und in beiden als ein höheres
Handelndes, dessen Stoff die handelnde Idee und das
behandelte Reale beide gemeinschaftlich bilden; als
höherer Künstler, als Antigegensatz vom Gegensatze
des arbeitenden Künstlers und seines Werks. Wohl verstanden
so, daß der höhere handelnde Künstler (Antigegensatz)
den Gegensatz des arbeitenden Künstlers und seines
Werks als wahrhaft Gegenhandelndes respectire, damit
das Leben allenthalben Leben gegen sich übersehe,
dem Leben in die Augen sehe, damit aus Leben und Antileben
sich immer frisches Leben erzeuge, damit alles diene
und alles herrsche.
Das
ist denn auch die Eigenthümlicheit des Handelns, welches
ich vom philosophischen Künstler fordre: eine leichte
Umwechselung der Worte, und man würde mir eingestehn,
daß, indem ich die bildende Kunst beschrieb, auch
von der Philosophie in erschöpfender Rede gesprochen
worden sei. Auch der Philosoph ist thätiger Antigegensatz,
eines gegenthätigen Gegensatzes von thätigem und leidendem
(oder gegenthätigem:) auch er soll den Frieden vermitteln
zwischen Realem und Idealem, beiden unpartheiisch
das Wort vergönnen, ihrem lebhaften Gespräche gehorsam
sich hingeben, dann wieder mit dem Gespräche, und
über das Gespräch der beiden sprechen, und so hörend
und redend, über und in dem Gespräche leben ins Unendliche
fort. Solches ist die (nicht absolute, aber) gegensätzische
Durchdringung von Idealismus und Realismus, von Herrschaft
der Form und Antiherrschaft des Stoffs in der Philosophie,
nach welcher bald muthig, bald sehnsüchtig strebend
die Gedanken und die Systeme aller Zeiten sich hingewendet
haben. Die Sprache ist es, die unter allen andern
organischen Materialien die Philosophie sich auserwählt
hat: indem sie Sprache und Gespräch ins Unendliche
universalisirt, bildet sie nicht blos die Welt, sondern
zugleich ihre und aller Kunst, alles Handelns, alles
Lebens, Bewegung und Rhythmus ab. Alle Formen der
Sprache beruhen auf dem Gegensatz von Handelndem und
Behandeltem, und auf der wahren Behandlung dieses
Gegensatzes. **) Anmerk. 2.
Von
dem Begriffe des Handelns in seinem ganzen Umfange,
wie wir ihn hier aufgestellt haben, wollen wir jetzt
eine große und auf den Gang unsrer Untersuchungen
entscheidende Anwendung machen: das Handeln des Universums,
das Leben überhaupt zerfällt, damit es angeschaut
werden könne, auch in die beiden Elemente Handelndes
und Behandeltes: bezeichnen wir diese Elemente auf
das passendste mit den Worten Natur und Kunst. Halten
wir uns streng an die bisher über das Wesen des Gegensatzes
aufgestellten Regeln, so sehen wir leicht, daß es
nicht hinreiche, z. B. die Natur allein als das
ewig Thätige, alle Kunst Erzeugende, alle Kunst Beschränkende
und Bestimmende zu begreifen, daß wir vielmehr im
Stande sein müssen, auch das Leben des Universums
als von der Kunst ausgehend zu denken. Werfen wir
einen Blick auf die Geschäfte aller Naturgeschichte
und Naturwissenschaft, so bemerken wir, es möge nun
die Geschichte einer kleinen Pflanze, oder die Geschichte
des Planeten, auf dem wir leben, erzählt werden, daß
wir nie umhin können, die Natur <19:> gleichsam
als einen großen Künstler und im Kunstgeschäfte begriffen
zu denken. Ferner, sobald wir ein menschliches Kunstwerk
betrachten, und uns noch so tief in das Wesen des
Künstlers, der es hervorgebracht, versenken, werden
wir dennoch unwiderstehlich genöthigt, auf ein höheres
Ganze, z. B. auf die ganze Kunstgeschichte Rücksicht
zu nehmen. Mit andern Worten: Indem wir das einzelne
Werk aus dem Künstler entspringend denken,
sind wir zugleich genöthigt, uns wieder den Künstler
als aus einer großen Künstlergemeinschaft, oder Künstlerfamilie,
oder aus einem Zeitalter der Kunst entsprungen
zu denken. Nicht selten wird uns wieder das einzelne
Zeitalter der Kunst, aus dem wir den Künstler (wie
als ein einzelnes Werk des Zeitalters) entspringen
sahen, weiter führen, auf die Weltgeschichte überhaupt,
als deren Kind und einzelnes Kunstwerk uns das einzelne
Kunstzeitalter wieder erscheinen wird. Offenbar ist
dies die wahrhafte und ächte Weise aller Kunstbeschauung:
theilen wir sie für unsern Zweck in drei Acte nach
folgenden drei Fragen: 1) Was hat sich Raphael bei
dieser Madonna seinem Werke gedacht? wie verhält sich
dieses Werk zum Raphael? 2) Was hat sich die italienische
Malerei beim Raphael gedacht? wie verhält sich das
Kunstwerk Raphael zu seinem Meister, zu dem Kunst-
und Malerstaat aus dem er unmittelbar entsprungen?
3) Was hat sich die ganze Kunst überhaupt bei ihrem
einzenen Gliede oder Werke: der italienischen Malerei
gedacht? mit andern Worten: wie verhält sich die italienische
Malerei (das Kind) zu der ewigen Kunst überhaupt (ihrem
Vater und Meister?) – Es leuchtet ein, daß die
hier dargestellte Gradation der Kunstbetrachtung,
der wahre und unendliche Rhythmus des Philosophirens
über die Kunst sei. – Im ersten Act wurde Raphael
als Handelndes, seine Madonna als Behandelndes betrachtet.
Raphael im ersten Act das Handelnde, wird im zweiten
Act Behandeltes Werk, Product der italienischen Malerei,
die nun als Handelndes gedacht wird: die italienische
Malerei, das Handelnde im zweiten Act wird im dritten
Acte Behandeltes, Werk, Product der Kunst überhaupt
u. s. f. Verbinden wir nun den Raphael des
ersten Acts mit dem Raphael des zweiten, oder vielmehr,
vereinigen wir in Eins, was wir, um es als Einfaches
anzuschauen, uns in zwei Acte oder Zeitelemente getrennt
denken mußten, was aber in der Wirklichkeit als zugleich
existirte: so sehen wir, daß das Handeln, genannt
Raphael nichts anderes sei als die gegensätzische
Identität, der Antigegensatz von Handelndem, producirendem
Raphael, und vom Behandelten, producirten Raphael,
von der italienischen Malerei producirtem Raphael
sei. Ich lobe die Ehrfurcht vor der Kunst, welche
einzene Kunstfreunde so weit begeistert, daß sie den
recht großen Künstler ausser aller, über alle Zeit
setzen; daß sie den Künstler selbst nicht wieder denken
wollen als Werk eines höheren Künstlers, den wir Kunstgeschichte
oder Natur nennen können: aber die ächt philosophische
Kritik und Geschichte kann solche absolute Schöpfer,
solche Principe der Kunst nicht annehmen ohne sich
selbst zu tödten. – Wir können, und dies sei
das Resultat unsrer bisherigen Auseinandersetzung,
durchaus keine Kunsthandlung denken, die nicht zugleich
wieder Kunstwerk einer höheren über sie waltenden,
sie umfangenden Kunsthandlung wäre; ausgedehnt auf
alles <20:> Handeln: wir können uns durchaus
kein Handelndes denken, daß nicht wieder behandelt
würde. Sehen wir einmal das Werk des Künstlers näher
an! sollte er nicht grade das behandeln was ihn behandelt?
die italienische Malerei, sagten wir, producire den
Raphael, und ist nicht eben die Welt, aus der Raphael
entsprungen, grade der Stoff seiner Kunst; ist nicht
in jedem Kunstwerke sichtbar die Kunstgeschichte:
wir tragen diese nicht eben etwa hinein, sondern wir
finden sie heraus. Jeder einzelne wahre Künstler nimmt
das von ihm erkannte Pantheon der Kunst betrachtend,
Stein für Stein auseinander, und fügt es zu einem
stolzeren, schöneren Bau wieder zusammen. Der ewige
Künstler, der Künstler aller Künstler, der Lebensgeist,
die Natur, oder wie wir ihn nennen mögen, dieser freilich
kennt nur ein einziges Schöne, ein ewiges Pantheon,
in dem er lebt und webt. Die Losung aller einzelnen
Künstler muß immer sein: besser und noch besser: die
Losung jenes Geistes aller Kunst ist: alles, was ich
gemacht habe, ist gut. – Unter allen Kunsterscheinungen,
die dem Künstler vorgekommen, die sein Kunstgefühl
entwickelt und gebildet, schließt er in jedem Augenblicke
seines künstlerischen Daseins einen höheren Verein;
er bildet in jedem Augenblicke sein ganzes künstlerisches
Leben, seine eigne Kunstgeschichte (welche individuelle
Kunstgeschichte in sich enthält von der universellen
Kunstgeschichte alles, was zu seiner Betrachtung und
Kenntniß gekommen,) dieses sein künstlerisches Leben
bildet er in jedem Augenblicke aus, er hinterläßt
unaufhörlich Ausdrücke seines Lebens, Kunstwerke.
Behandelt er also im Grunde nicht dasselbe wieder,
was ihn behandelt; erzieht er nicht wieder, was ihn
erzog; belebt er nicht wieder, was ihn belebt; giebt
er nicht dem, der ihm das Leben gab, auch wieder das
Leben zurück. Haben wir hier nicht ganz deutlich das
Gegenleben, die Gegenthätigkeit des Stoffs? Siehe
da, wie im Kunstgeschäfte sich die Gegensätze durchdringen,
wie der Handelnde Raphael und das den Raphael Behandelnde,
wie Raphaels Kunst und die Natur, oder der große Künstler,
der den Raphael bildete, eins ist: wie wir die Natur
immer im Kunstgeschäfte, und die Kunst immer als Naturerzeugniß
zu denken genöthigt sind. – Durchaus falsch ist
demnach die Ansicht der Natur und Kunst als zweier
großen ewig getrennten Reiche, durchaus falsch die
Ansicht, als sei eines von beiden mehr werth als das
andre, als sei die Natur unerreichbar durch die Kunst,
nach welcher Behauptung angenommen sein würde, daß
die Natur, die nur als im Kunstgeschäfte producirend
gedacht werden kann, nicht producirend gedacht werde.
Kurz: Kunst ist nichts anderes als Antinatur; Natur
nichts anderes, nichts mehr oder weniger, als Antikunst.
Alles Einzelne ist Kunstwerk, aber Einzelnes ist es
nur in sofern es im Ganzen ist, daher ist alles auch
Natur. Man kann nicht einzelnen Dingen bloßes Sein,
bloße Existenz, absolutes Handeln, absolute Ichheit
zuschreiben, und wieder andern einzelnen Dingen bloßes
Werden, sondern alles ist nur in sofern es
wird, handelt, in sofern es behandelt wird, und umgekehrt.
Hier zeigen sich die beiden Extreme aller falschen
Philosophie, der absolute Idealismus und der absolute
Realismus, oder die absolute Ethik und die absolute
Physik deutlich vor uns. Aller einseitige absolute
Idealismus wird sich aus dem Gegensatz, <21:>
Kunst und Natur, die Kunst einzeln herausreissen,
oder aus dem Gegensatz, Sein und Werden, den Begriff
des Seins, und jene göttliche Schwebung, jenen himmlischen
Rhythmus der Philosophie verleugnend, sich in das
eine isolirte Glied des Gegensatzes vertiefen, indem
er vergißt, allen den besseren Erinnerungen seiner
Natur zuwider, daß jenes einzelne Glied nicht entblößt
und isolirt gedacht werden könne, sondern überhaupt
sei im Gegensatze des andern Gliedes; daß alles,
was er sich vom Handeln, von der Kunst, vom Sein denken
könne, durchaus abhänge und lebe von dem Behandelten,
von der Natur und Werden. Umgekehrt ist es der gleiche
Fall mit dem die Natur isolirenden Realisten. Der
Mensch, der Künstler ist demnach weder der Natur Sclav,
wie der absolute Realist sagen würde, noch Despot
der Natur, wie der Idealist, wenn er auch nur diese
ihm mögliche geringe Consequenz nicht verleugnen wollte,
ohne Wanken behaupten müßte. Er herrscht und wird
beherrscht, er herrscht, in sofern er beherrscht wird;
er herrscht, in sofern er sich beherrschen läßt. Sein
Handeln, in sofern es freies künstlerisches
Handeln ist, ist auch zugleich recht nothwendiges,
naturgemäßes Handeln. Demnach erhebe der Philosoph
das Reale und das Ideale, die Natur und die Kunst
zu den beiden ewig nothwendigen Elementen seines Lebens:
er sei ruhiger, ewig bleibender Antigegensatz unter
allen unendlichen Verwandlungen der Gegensätze vor
ihm und in ihm. –
Wenn
ich behaupte, die gesammten Kunstwerke eines Künstlers
bildeten gleichsam den Körper seiner Kunst, dessen
Seele er selbst der Künstler sei, so wird nach meinen
obigen Auseinandersetzungen, das Verhältniß von Körper
und Seele unter dieser Gestalt keiner weiteren Undeutlichkeit,
keinem Zweifel unterworfen sein. Wie aber, wenn ich
zum würdigen Schluß meiner philosophischen Betrachtung,
wenn ich zur Probe des gründlichen Verständnisses
meiner Formel, das Paradoxon hinzusetzte: der Körper
des Menschen überhaupt sei 1) Kunstwerk des Menschen
und 2) damit ich nicht dadurch in den Verdacht des
absoluten Idealismus komme: Naturerscheinung oder
Geschichte des Menschen. Mit andern Worten,
der Gegensatz: das Kunstwerk, Mensch und die Naturerscheinung,
die Geschichte Mensch, das Seiende im Menschen, im
Gegensatze des Werdenden im Menschen, sei sein Körper,
und der Antigegensatz dieses Gegensatzes sei das,
welches wir Seele nennen. Auf diesem gegensätzischen
Wege allein werden alle Mißverständnisse, die sich
über das Verhältniß von Körper und Seele, über ihren
Unterschied und ihren Zusammenhang in der Philosophie
festgesetzt haben, leicht und glücklich beseitigt
werden können. Alle einzelnen Künste vereinigen sich
in der allgemeinen Kunst des Lebens: sie alle sind
nichts als Körperbildungen, die sich in der Idee des
allgemeinen Körpers des Lebens, oder der alles umfassenden
einfachen Natur, vereinigen. – <22:>
Emendation:
Marmor]
Mormor D