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Adam Müller, I. Prolegomena einer Kunst-Philosophie, 3-27; darin: 17-21

4.

Um das Handeln, nemlich die Gemeinschaft des Handelnden und Behandelten zu begreifen, müsse, behaupteten wir, der Mensch mit freier Unpartheilichkeit, mit wahrer Ironie über und in dem Gegensatz von Handelndem und Behandeltem schweben: es reiche nicht hin, die Handlung sich vom Handelnden ausgehend und auf das Behandelte blos übergehend zu denken, sondern bei aller menschlichen Kunst, bei aller Thätigkeit, die begriffen werden soll, müßten wir auch wieder im Stande sein, des behandelten Stoffs oder Objects Gegenthätigkeit zu begreifen, wir müßten die ganze Kunsthandlung so begreifen, als gienge sie vom Stoffe, von dem Behandelten aus; als stünde uns, indem wir bildeten, im Stoffe vor uns ein andrer Künstler gegenüber, der, indem wir ihn zu bilden glaubten, auch eben so, in demselben Maße wieder uns bildete; er, der Künstler, und wir, seine Stoffe. Nur in sofern das Werk des Künstlers auf diese Weise unter seinen Händen herauflebt, sich wehrend, trotzend gegen den künstlerischen Helden, der mit jedem Schlage seines Meissels neue Kräfte im Werke entbindet, der die Gestalt immerfort rüstet und rüstet, um sie wieder zu überwinden; nur in sofern beide endlich, wenn sie einander gegenseitig begabt und erfreut, gebildet und begeistet, wie Held und Held nach langem unentschiedenen Kampfe mit Genugthuung auseinander gehn, beide, Geist und Leben in andere Sphären ohne Ende verbreitend – nur in sofern ist wirklich gelebt, gehandelt und gebildet worden. – Fort mit dem weichlichen Künstler,der seiner Stoffe, seiner Farben, seiner Sprache, seines Marmorblocks todte Rohigkeit beklagt, weil jene sich weigern, widerstreben, ihre Eigenheit, ihre Persönlichkeit nicht aufgeben wollen: oder der andrerseits die Unerreichbarkeit der Idee, die er selbst hinzugebracht, bejammert. Hier stehn vor uns die beiden Extreme der ohnmächtigen Kunst: sie werden sich immer neben einander zeigen, in demselben falsch strebenden Künstler; von den Handwerkern der Kunst ist hier nicht die Rede. Weil du der Despot deines Marmors sein willst, siehst du in dem Marmor nichts als einen rohen, leblosen Sclaven; weil du den Marmor tyrannisirst, so tyrannisirt er dich wieder, so muß in demselben Augenblick deine Idee ihm als Sclave dienen. Ich werde demnach verstanden, wenn ich vom Künstler die (wohlverstanden) gegensätzische Identität, die Gleichheit des Realen <18:> und des Ideals, des Behandelten und des Handelnden fordre. Ein göttlicher Richter und Mittler schwebe er geflügelt und leicht über beiden und in beiden als ein höheres Handelndes, dessen Stoff die handelnde Idee und das behandelte Reale beide gemeinschaftlich bilden; als höherer Künstler, als Antigegensatz vom Gegensatze des arbeitenden Künstlers und seines Werks. Wohl verstanden so, daß der höhere handelnde Künstler (Antigegensatz) den Gegensatz des arbeitenden Künstlers und seines Werks als wahrhaft Gegenhandelndes respectire, damit das Leben allenthalben Leben gegen sich übersehe, dem Leben in die Augen sehe, damit aus Leben und Antileben sich immer frisches Leben erzeuge, damit alles diene und alles herrsche.
Das ist denn auch die Eigenthümlicheit des Handelns, welches ich vom philosophischen Künstler fordre: eine leichte Umwechselung der Worte, und man würde mir eingestehn, daß, indem ich die bildende Kunst beschrieb, auch von der Philosophie in erschöpfender Rede gesprochen worden sei. Auch der Philosoph ist thätiger Antigegensatz, eines gegenthätigen Gegensatzes von thätigem und leidendem (oder gegenthätigem:) auch er soll den Frieden vermitteln zwischen Realem und Idealem, beiden unpartheiisch das Wort vergönnen, ihrem lebhaften Gespräche gehorsam sich hingeben, dann wieder mit dem Gespräche, und über das Gespräch der beiden sprechen, und so hörend und redend, über und in dem Gespräche leben ins Unendliche fort. Solches ist die (nicht absolute, aber) gegensätzische Durchdringung von Idealismus und Realismus, von Herrschaft der Form und Antiherrschaft des Stoffs in der Philosophie, nach welcher bald muthig, bald sehnsüchtig strebend die Gedanken und die Systeme aller Zeiten sich hingewendet haben. Die Sprache ist es, die unter allen andern organischen Materialien die Philosophie sich auserwählt hat: indem sie Sprache und Gespräch ins Unendliche universalisirt, bildet sie nicht blos die Welt, sondern zugleich ihre und aller Kunst, alles Handelns, alles Lebens, Bewegung und Rhythmus ab. Alle Formen der Sprache beruhen auf dem Gegensatz von Handelndem und Behandeltem, und auf der wahren Behandlung dieses Gegensatzes.  **) Anmerk. 2.
Von dem Begriffe des Handelns in seinem ganzen Umfange, wie wir ihn hier aufgestellt haben, wollen wir jetzt eine große und auf den Gang unsrer Untersuchungen entscheidende Anwendung machen: das Handeln des Universums, das Leben überhaupt zerfällt, damit es angeschaut werden könne, auch in die beiden Elemente Handelndes und Behandeltes: bezeichnen wir diese Elemente auf das passendste mit den Worten Natur und Kunst. Halten wir uns streng an die bisher über das Wesen des Gegensatzes aufgestellten Regeln, so sehen wir leicht, daß es nicht hinreiche, z. B. die Natur allein als das ewig Thätige, alle Kunst Erzeugende, alle Kunst Beschränkende und Bestimmende zu begreifen, daß wir vielmehr im Stande sein müssen, auch das Leben des Universums als von der Kunst ausgehend zu denken. Werfen wir einen Blick auf die Geschäfte aller Naturgeschichte und Naturwissenschaft, so bemerken wir, es möge nun die Geschichte einer kleinen Pflanze, oder die Geschichte des Planeten, auf dem wir leben, erzählt werden, daß wir nie umhin können, die Natur <19:> gleichsam als einen großen Künstler und im Kunstgeschäfte begriffen zu denken. Ferner, sobald wir ein menschliches Kunstwerk betrachten, und uns noch so tief in das Wesen des Künstlers, der es hervorgebracht, versenken, werden wir dennoch unwiderstehlich genöthigt, auf ein höheres Ganze, z. B. auf die ganze Kunstgeschichte Rücksicht zu nehmen. Mit andern Worten: Indem wir das einzelne Werk aus dem Künstler entspringend denken, sind wir zugleich genöthigt, uns wieder den Künstler als aus einer großen Künstlergemeinschaft, oder Künstlerfamilie, oder aus einem Zeitalter der Kunst entsprungen zu denken. Nicht selten wird uns wieder das einzelne Zeitalter der Kunst, aus dem wir den Künstler (wie als ein einzelnes Werk des Zeitalters) entspringen sahen, weiter führen, auf die Weltgeschichte überhaupt, als deren Kind und einzelnes Kunstwerk uns das einzelne Kunstzeitalter wieder erscheinen wird. Offenbar ist dies die wahrhafte und ächte Weise aller Kunstbeschauung: theilen wir sie für unsern Zweck in drei Acte nach folgenden drei Fragen: 1) Was hat sich Raphael bei dieser Madonna seinem Werke gedacht? wie verhält sich dieses Werk zum Raphael? 2) Was hat sich die italienische Malerei beim Raphael gedacht? wie verhält sich das Kunstwerk Raphael zu seinem Meister, zu dem Kunst- und Malerstaat aus dem er unmittelbar entsprungen? 3) Was hat sich die ganze Kunst überhaupt bei ihrem einzenen Gliede oder Werke: der italienischen Malerei gedacht? mit andern Worten: wie verhält sich die italienische Malerei (das Kind) zu der ewigen Kunst überhaupt (ihrem Vater und Meister?) – Es leuchtet ein, daß die hier dargestellte Gradation der Kunstbetrachtung, der wahre und unendliche Rhythmus des Philosophirens über die Kunst sei. – Im ersten Act wurde Raphael als Handelndes, seine Madonna als Behandelndes betrachtet. Raphael im ersten Act das Handelnde, wird im zweiten Act Behandeltes Werk, Product der italienischen Malerei, die nun als Handelndes gedacht wird: die italienische Malerei, das Handelnde im zweiten Act wird im dritten Acte Behandeltes, Werk, Product der Kunst überhaupt u. s. f. Verbinden wir nun den Raphael des ersten Acts mit dem Raphael des zweiten, oder vielmehr, vereinigen wir in Eins, was wir, um es als Einfaches anzuschauen, uns in zwei Acte oder Zeitelemente getrennt denken mußten, was aber in der Wirklichkeit als zugleich existirte: so sehen wir, daß das Handeln, genannt Raphael nichts anderes sei als die gegensätzische Identität, der Antigegensatz von Handelndem, producirendem Raphael, und vom Behandelten, producirten Raphael, von der italienischen Malerei producirtem Raphael sei. Ich lobe die Ehrfurcht vor der Kunst, welche einzene Kunstfreunde so weit begeistert, daß sie den recht großen Künstler ausser aller, über alle Zeit setzen; daß sie den Künstler selbst nicht wieder denken wollen als Werk eines höheren Künstlers, den wir Kunstgeschichte oder Natur nennen können: aber die ächt philosophische Kritik und Geschichte kann solche absolute Schöpfer, solche Principe der Kunst nicht annehmen ohne sich selbst zu tödten. – Wir können, und dies sei das Resultat unsrer bisherigen Auseinandersetzung, durchaus keine Kunsthandlung denken, die nicht zugleich wieder Kunstwerk einer höheren über sie waltenden, sie umfangenden Kunsthandlung wäre; ausgedehnt auf alles <20:> Handeln: wir können uns durchaus kein Handelndes denken, daß nicht wieder behandelt würde. Sehen wir einmal das Werk des Künstlers näher an! sollte er nicht grade das behandeln was ihn behandelt? die italienische Malerei, sagten wir, producire den Raphael, und ist nicht eben die Welt, aus der Raphael entsprungen, grade der Stoff seiner Kunst; ist nicht in jedem Kunstwerke sichtbar die Kunstgeschichte: wir tragen diese nicht eben etwa hinein, sondern wir finden sie heraus. Jeder einzelne wahre Künstler nimmt das von ihm erkannte Pantheon der Kunst betrachtend, Stein für Stein auseinander, und fügt es zu einem stolzeren, schöneren Bau wieder zusammen. Der ewige Künstler, der Künstler aller Künstler, der Lebensgeist, die Natur, oder wie wir ihn nennen mögen, dieser freilich kennt nur ein einziges Schöne, ein ewiges Pantheon, in dem er lebt und webt. Die Losung aller einzelnen Künstler muß immer sein: besser und noch besser: die Losung jenes Geistes aller Kunst ist: alles, was ich gemacht habe, ist gut. – Unter allen Kunsterscheinungen, die dem Künstler vorgekommen, die sein Kunstgefühl entwickelt und gebildet, schließt er in jedem Augenblicke seines künstlerischen Daseins einen höheren Verein; er bildet in jedem Augenblicke sein ganzes künstlerisches Leben, seine eigne Kunstgeschichte (welche individuelle Kunstgeschichte in sich enthält von der universellen Kunstgeschichte alles, was zu seiner Betrachtung und Kenntniß gekommen,) dieses sein künstlerisches Leben bildet er in jedem Augenblicke aus, er hinterläßt unaufhörlich Ausdrücke seines Lebens, Kunstwerke. Behandelt er also im Grunde nicht dasselbe wieder, was ihn behandelt; erzieht er nicht wieder, was ihn erzog; belebt er nicht wieder, was ihn belebt; giebt er nicht dem, der ihm das Leben gab, auch wieder das Leben zurück. Haben wir hier nicht ganz deutlich das Gegenleben, die Gegenthätigkeit des Stoffs? Siehe da, wie im Kunstgeschäfte sich die Gegensätze durchdringen, wie der Handelnde Raphael und das den Raphael Behandelnde, wie Raphaels Kunst und die Natur, oder der große Künstler, der den Raphael bildete, eins ist: wie wir die Natur immer im Kunstgeschäfte, und die Kunst immer als Naturerzeugniß zu denken genöthigt sind. – Durchaus falsch ist demnach die Ansicht der Natur und Kunst als zweier großen ewig getrennten Reiche, durchaus falsch die Ansicht, als sei eines von beiden mehr werth als das andre, als sei die Natur unerreichbar durch die Kunst, nach welcher Behauptung angenommen sein würde, daß die Natur, die nur als im Kunstgeschäfte producirend gedacht werden kann, nicht producirend gedacht werde. Kurz: Kunst ist nichts anderes als Antinatur; Natur nichts anderes, nichts mehr oder weniger, als Antikunst. Alles Einzelne ist Kunstwerk, aber Einzelnes ist es nur in sofern es im Ganzen ist, daher ist alles auch Natur. Man kann nicht einzelnen Dingen bloßes Sein, bloße Existenz, absolutes Handeln, absolute Ichheit zuschreiben, und wieder andern einzelnen Dingen bloßes Werden, sondern alles ist nur in sofern es wird, handelt, in sofern es behandelt wird, und umgekehrt. Hier zeigen sich die beiden Extreme aller falschen Philosophie, der absolute Idealismus und der absolute Realismus, oder die absolute Ethik und die absolute Physik deutlich vor uns. Aller einseitige absolute Idealismus wird sich aus dem Gegensatz, <21:> Kunst und Natur, die Kunst einzeln herausreissen, oder aus dem Gegensatz, Sein und Werden, den Begriff des Seins, und jene göttliche Schwebung, jenen himmlischen Rhythmus der Philosophie verleugnend, sich in das eine isolirte Glied des Gegensatzes vertiefen, indem er vergißt, allen den besseren Erinnerungen seiner Natur zuwider, daß jenes einzelne Glied nicht entblößt und isolirt gedacht werden könne, sondern überhaupt sei im Gegensatze des andern Gliedes; daß alles, was er sich vom Handeln, von der Kunst, vom Sein denken könne, durchaus abhänge und lebe von dem Behandelten, von der Natur und Werden. Umgekehrt ist es der gleiche Fall mit dem die Natur isolirenden Realisten. Der Mensch, der Künstler ist demnach weder der Natur Sclav, wie der absolute Realist sagen würde, noch Despot der Natur, wie der Idealist, wenn er auch nur diese ihm mögliche geringe Consequenz nicht verleugnen wollte, ohne Wanken behaupten müßte. Er herrscht und wird beherrscht, er herrscht, in sofern er beherrscht wird; er herrscht, in sofern er sich beherrschen läßt. Sein Handeln, in sofern es freies künstlerisches Handeln ist, ist auch zugleich recht nothwendiges, naturgemäßes Handeln. Demnach erhebe der Philosoph das Reale und das Ideale, die Natur und die Kunst zu den beiden ewig nothwendigen Elementen seines Lebens: er sei ruhiger, ewig bleibender Antigegensatz unter allen unendlichen Verwandlungen der Gegensätze vor ihm und in ihm. –
Wenn ich behaupte, die gesammten Kunstwerke eines Künstlers bildeten gleichsam den Körper seiner Kunst, dessen Seele er selbst der Künstler sei, so wird nach meinen obigen Auseinandersetzungen, das Verhältniß von Körper und Seele unter dieser Gestalt keiner weiteren Undeutlichkeit, keinem Zweifel unterworfen sein. Wie aber, wenn ich zum würdigen Schluß meiner philosophischen Betrachtung, wenn ich zur Probe des gründlichen Verständnisses meiner Formel, das Paradoxon hinzusetzte: der Körper des Menschen überhaupt sei 1) Kunstwerk des Menschen und 2) damit ich nicht dadurch in den Verdacht des absoluten Idealismus komme: Naturerscheinung oder Geschichte des Menschen. Mit andern Worten, der Gegensatz: das Kunstwerk, Mensch und die Naturerscheinung, die Geschichte Mensch, das Seiende im Menschen, im Gegensatze des Werdenden im Menschen, sei sein Körper, und der Antigegensatz dieses Gegensatzes sei das, welches wir Seele nennen. Auf diesem gegensätzischen Wege allein werden alle Mißverständnisse, die sich über das Verhältniß von Körper und Seele, über ihren Unterschied und ihren Zusammenhang in der Philosophie festgesetzt haben, leicht und glücklich beseitigt werden können. Alle einzelnen Künste vereinigen sich in der allgemeinen Kunst des Lebens: sie alle sind nichts als Körperbildungen, die sich in der Idee des allgemeinen Körpers des Lebens, oder der alles umfassenden einfachen Natur, vereinigen. – <22:>

Emendation:
Marmor] Mormor D


 

 

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Letzte Aktualisierung 30-Mär-2003
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