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Adam Müller, I. Prolegomena einer Kunst-Philosophie, 3-27; darin: 22-25

5.

Sollten wir aber, da wir neulich mit der Behauptung schlossen, der Körper sei nichts anders als 1) das Kunstwerk und 2) die Geschichte der Seele, sollten wir uns da wirkliche weder auf die Seite des Idealismus noch des Realismus hinüber geneigt haben? Sollten wir nicht den Ansichten Fichtes ungebührlich nahe stehn? Wie er, durch einen reinen Act der Freiheit die Welt aus nichts erschaffen?
Diese Besorgniß zu zerstreuen, reicht eine leichte Erinnerung an den Gang unsrer Untersuchung vollständig hin: Wir haben nemlich weder dem Handelnden noch dem Behandelten irgend eine Priorität eingeräumt; ausgehend von der nothwendigen Wechselwirkung zwischen uns und dem Stoffe unsers Handelns, ausgehend von dem, wie ich glaube, vollständig geführten Beweise, das alles Kunstwerk hervorgehe aus dem geschlossenen, von beiden Seiten vollständig durchgeführten Kampfe zwischen dem Künstler und dem eben so thätigen, wahrhaft gegenthätigen Material – konnten wir, die Seele den allgemeinen Künstler des Lebens nennend, aus dem Kampfe der Seele mit ihrem Material, den körperlichen Dingen nemlich hervorgehen lassen das Kunstwerk, nemlich die Idee eines höheren Körpers, der wieder gegenthätig gegen die immer begleitende, höher aufgeschwungene Seele, wieder Material eines noch schöneren Kunstwerks, eines noch höheren Körpers wird u. s. f. – Man vergleiche meine Darstellung des Körpers mit den gewöhnlich umlaufenden Begriffen. – Von der ersten Blume, von der ersten Puppe an, die das Kind ergreift, spielend und bildend herzt und sich aneignet, lasse ich den Körper des kleinen Wesens über das unmittelbare Fleisch hinaus wachsen, bis der Mann endlich als bildender Künstler, Staatsmann oder Soldat – große Heere, Staaten, ganze Epochen der Kunstgeschichte in seinen höheren erweiterten Körper hineinzieht. Darf eine Armee wirklich etwas anderes sein als der erweiterte, armirte Arm des Helden? Sollte die einfache Wirksamkeit tausendfältiger Individuen im wahren Staate wirklich etwas anders sein, als das erweiterte Haupt des wahren Beherrschers? – Betrachten Sie das Wirken eines recht menschlichen Menschen: greift seine organische Kraft nicht hinaus über den gesunden, kräftigen, unmittelbaren Körper, zieht sie nicht weit und breit, aus Nähe und Ferne, Menschen und Dinge mit unwiderstehlicher Gewalt in den schönen, harmonischen Kreis ihres Lebens hinein? – Aus zwei streitenden, aber liebenden Kräften, aus einem wahren Gegegensatze enspringt der Mensch: zwei Liebende bilden ein versammeltes Volk, sagt der Dichter. Wohl! daß sie ohne Ende streiten müssen, daß ihr Streit ohne Ende steigt, das eben ist ihre Liebe. Und so wächst und wächst der Strudel des Lebens, und reißt immer entfernteres in sich hinein. Der alte, selbige Streit dauert sich selbst ewig gleich noch immer fort, aber unter welcher Gestalt sehn wir ihn jetzt: Was erst die Blume und die Puppe leistete, das sind jetzt große Heere, das ist jetzt ein großer herrlicher Staatsverein weiter blühender Gebiete des Lebens geworden. Die Seele des Staatsmanns durchdringt mit dem Geiste des Streits und der Liebe, der Thätigkeit und des Friedens, den unendlich großen Körper. Noch immer <23:> gilt es: „zwei Liebende (der Staatsmann und sein Kunstwerk, der Staat) bilden ein versammeltes Volk! – Grau, gebückt und unscheinbar geworden, steht endlich, was der Pöbel den wirklichen Körper des Helden nennt, noch da, die eingeschrumpfte Hülse des Kerns, aus dem der majestätische Baum entsprungen. Die Seele des Helden säuselt und duftet in allen Zweigen und Blüthen des Baumes, seines wahren Körpers. Fällt nun endlich die arme Hülse da unten in Asche zusammen, so meint der Pöbel, sein Held sei gestorben, sein, des Helden Körper sei in Asche versunken: und die Besseren selbst bewundern es und klagen, daß der Keim dahin muß, wenn die Frucht gedeihen und reifen soll.
Da können sie dann nicht begreifen, wie der kleine, spannenlange Raum, den sie Körper nennen, mit der großen, unbändigen Seele zurecht kommt. Statt ruhig um sich her zu sehn, wo alles verkündigen und sagen würde, daß er, er selbst geblieben ist, und allenthalben um sie lebt und webt, soll die Seele, Gott weiß wohin, gezogen sein, und die Armseligen in Thränen und Jammer allein zurückgelassen haben. – Ungefähr eben so, wie sie vorher sich den Kopf zerbrechen, an welcher Stelle des kleinen Körpers denn eigentlich die Seele ihres Helden sich einquartirt habe, ob im Gehirn oder in den Beinen, in dem Blut oder in den Händen. Da mag noch Jahrtausende hindurch das Wort welches er gesprochen, über sie herklingen, sie begeistern, zu den Waffen rufen; da mag das Gesetz, das er gegeben, die That, die er gethan, ihren Enkeln noch Sicherheit und Freiheit geben – das sind seine Worte, seine Thaten – das ist er selbst nicht mehr, meinen sie. Fragt ihn selbst einmal den sterbenden Helden, der er selbst sich längst übergegangen, ausgedehnt, ausgeflossen fühlt, in das Glück und die Ruhe von tausenden, ob er nicht in dem größern Hause, das er sich erbaut, längst wohnt, und des kleinen Gerüstes, der Erdhütte, die ihr seinen Körper nennt, längst nicht mehr bedarf, ob er eine Anweisung braucht, eine Verheissung, daß er jenseits, in jenem Leben oder wie ihr es nennen mögt, wieder Haus und Hof und eigne kleine Wirthschaft haben werde?
Ich habe den wahren Menschen, dessen Untergang hier beschrieben worden, einen Helden genannt, weil nach den früheren Voraussetzungen der Mensch überhaupt nur im Streite und im Heldenleben geschaut wird. Künstlerisches, militärisches, wissenschaftliches, politisches Leben, alles ist eine Heldengenossenschaft, wenn es wahr ist, worin Gefühl und Erkenntniß aller schönen Seelen mir beipflichten, daß jeder Stoff, jedes Object menschlicher Thätigkeit gegenthätig ist und erobert, überwunden, aber nicht unterdrückt, bei Seite geworfen, vernichtet oder gar, wie der transcendentale Idealismus vermeinte, aus nichts absolut erschaffen werden will. Eine idealistische Verirrung kann und wird man mir nicht vorwerfen. – Nun aber betrachten wir die gewöhnliche Ansicht des Verhältnisses von Körper und Seele. Ist der Fehler nicht wieder der, daß man sich das Gegenthätige, die Seele, das Negative, wenn der Körper das Positive genannt wird, daß man sich dieses Negative, Gegen- <24:> thätige denkt, als Negation als Unthätiges, dem Körper gegenüber. Man hat die Seele nur als unkörperliches, unsichtbares, da sie doch ein wahrhaft antisichtbares, gegenkörperliches ist, begriffen. Freilich konnte man ihr eine eigenthümlich große Thätigkeit nicht absprechen, aber dieses, ihr Wesen, glaubte man, triebe sie für sich, gleichsam auf ihre eigne Hand. Daraus entsprang eine eigne, ehrenwerthe Wissenschaft von den abgesonderten Motionen der Seele, von ihren Sprüngen, ihren Späßen und Einfällen, von der wunderlichen Art, in der sie den alten ehrlichen Körper neckte und zum Besten habe. – Man sieht, ich spreche von der, von allen seichten und platten Köpfen, so werthgeachteten Psychologie, oder Seelenlehre: gewöhnlich die Empirische genannt, weil sie von den Erfahrungen meistentheils der Kranken- und Irrenhäuser, auch gern von den sehr instruktiven armen Sündern ausgehend, ohne sich weiter in das Gebiet der Rationalität zu versteigen, gewöhnlich wieder kurz umlenkte in das nahe liegende Taubstummen- oder Blindeninstitut, die wohlfeil erlangte Empirie sogleich wieder philanthropisch für Juristen, Ärzte und Seelsorger applicirend. Höchst characteristisch für den rohen Geist unsrer Tage, ist der besonders unglückliche Name dieser Wissenschaft: die zarte, geflügelte Psyche, gebunden an die Weisheit eines demonstrirenden Nicolai: ein Unterfangen der Seelenlosen, die Seele nicht blos zu sehn, sondern von ihr zu lehren. –
Ziehen wir jetzt einen Schluß aus unsern Betrachtungen: der Wirkungskreis des Menschen, die Sphäre seines Lebens, deren bloßes Symbol der Körper im gewöhnlichen Sinne des Worts ist, das ist sein wahrer Körper. Was ist der Meissel, was ist der schön geformte Marmor anders als die erweiterte Hand: die Hand selbst ist ein allegorisches Zeichen, ewig unverständlich dem, der sie absolut ohne ihre unendlichen Bewegungen und Bildungen betrachtet. Jedes neue wunderbare Werk des Menschen macht diese Hand ehrwürdiger, bedeutender, begreiflicher. So der Mensch sein Körper überhaupt, der nichts ist, als schönes symmetrisches Zeichen der Natur, Mikrokosmos, für sich nichts, aber ein Heiligthum, wenn er in und neben dem Makrokosmos gedacht wird. Die Sprache zeigt uns den Menschen sowohl als ein einziges Sein, als auch wie ein einziges Haben. Alle Attribute des menschlichen Seins können ausgedrückt werden als Besitzthümer des Seienden, z. B. meine Brust, meine Hand, meine Seele: diese Besitzthümer können aber auch wieder ausgedrückt werden als bloße Actionen des Seins, als bloße Bewegungen der Ichheit, z. B. ich athme, ich greife, ich denke. Man bemerke, daß wir im ersteren Falle, wo wir das Sein, im Haben, im Mein und Dein, im Besitz darstellen, uns der Substantiven Brust, Hand, Seele, bedienen mußten: im zweiten Falle hingegen, wo wir das Haben im Seyn betrachteten, der Verba athmen, greifen, denken, bedienen mußten. Wie nun alle Substantiva in der Sprache das Bleibende, alle Verba hingegen die Bewegung bezeichnen; wie ferner nach den Forderungen des Gegensatzes das Bleibende nichts ist, als durchdrungenes von der Bewegung, als im Gegensatze der Bewegung; wie nur die wahrhafte Bewegung bleibt, und das wahrhaft Bleibende sich bewegt, und Verände- <25:> rung und Wechsel nur möglich ist, in wiefern sie einem wahrhaft Bleibenden widerfahren – so erscheint uns der Mensch oder der Wirkungskreis des Menschen bald 1) als das ganze seines Besitzes, als ein einziges Mein, d. h. als Körper, im wahren Sinne des Worts; bald 2) als das ganze seines Handelns, seines Wirkens, als ein einziges Seyn, als Ich, d. h. als Seele. – Mit andern Worten, damit wir unsre Untersuchung an das Grundzeichen anknüpfen, das wir einstweilen festgesetzt haben, nemlich an den Gegensatz von Handelndem und Behandeltem: der Mensch erscheint bald 1) als Behandeltes, als Körper, als sein eigenes Kunstwerk; bald 2) als Handelndes, als Seele – als seine eigne Geschichte, sagten wir. – Dieser Ausdruck verdient noch eine kurze Beleuchtung, die uns nach unseren Voraussetzungen nicht schwierig sein kann. Handelndes und Behandeltes, Seyn und Haben, Körper und Seele, Bewegung und Bleibendes sind wahre Gegensätze. Aber Kunstwerk und Geschichte? Sollte nicht vielmehr dem Kunstwerk (behandeltem) der Künstler (handelndes) entgegenstehn? Sehr wahr! wir wollen indeß nicht vergessen, daß wir den Gegensatz von Handelndem und Behandeltem wieder behandelten, daß wir Antigegensatz des Gegensatzes von Handelndem und Behandeltem waren; daß der Gegensatz Körper und Seele, den Körper der höheren Seele bildete, von der aus wir ihn betrachteten. Nennen wir also die höhere Seele, die den Gegensatz von Körper und Seele betrachtet, Ich; den Gegensatz hingegen von mein Körper und meine Seele: Gegenich. Das Wesen des Ichs ist das Seyn; das Wesen des Gegenichs ist das Haben, oder gehabt werden, welches ausgedrückt wird durch das Wort mein, welches wir sowohl dem Körper als der Seele vorsetzen. Was haben wir nun? was enthält der Gegensatz von Körper und Seele? Antwort: eben wieder das angeschaute Haben (den Körper) und das angeschaute Seyn (die Seele). Angeschautes Seyn, d. h. doch wohl betrachtetes, behandeltes, leidendes Seyn? dies wird uns die Sprache wohl aufs natürlichste bezeichnen durch das Passivum des Verbums Seyn, d. h. durch Werden. So ist es auch: der betrachtenden Seele erscheint der betrachtete Körper als bleibender Besitz, als Kunstwerk, und die betrachtete Seele als unendliches Werden, als Natur, als Geschichte. – Ich hatte demnach ein Recht zu sagen, der wahre Körper der wahren betrachtenden Seele, sei sowohl ihr Kunstwerk als ihre Geschichte: indem Körper und Seele, beide gemeinschaftlich, einen höheren Körper bilden, den die betrachtende, höhere Seele bewohnt, und sich dort bald als ihr Werk, bald als ihre Entstehung, beides in gleicher Klarheit und mit unendlicher Thätigkeit anschaut, gegen Natur und Kunst gleich gerecht, im Bewußtsein freier Erzeugung der Zukunft und nothwendigen Hervorgehens aus der Vergangenheit, in des ewigen Handelns und des ewigen Behandeltwerdens gleich innigem Gefühle.

 Adam Müller.

 

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