5.
Sollten wir aber,
da wir neulich mit der Behauptung schlossen, der Körper
sei nichts anders als 1) das Kunstwerk und 2) die
Geschichte der Seele, sollten wir uns da wirkliche
weder auf die Seite des Idealismus noch des Realismus
hinüber geneigt haben? Sollten wir nicht den Ansichten
Fichtes ungebührlich nahe stehn? Wie er, durch einen
reinen Act der Freiheit die Welt aus nichts erschaffen?
Diese
Besorgniß zu zerstreuen, reicht eine leichte Erinnerung
an den Gang unsrer Untersuchung vollständig hin: Wir
haben nemlich weder dem Handelnden noch dem Behandelten
irgend eine Priorität eingeräumt; ausgehend von der
nothwendigen Wechselwirkung zwischen uns und dem Stoffe
unsers Handelns, ausgehend von dem, wie ich glaube,
vollständig geführten Beweise, das alles Kunstwerk
hervorgehe aus dem geschlossenen, von beiden Seiten
vollständig durchgeführten Kampfe zwischen dem Künstler
und dem eben so thätigen, wahrhaft gegenthätigen Material –
konnten wir, die Seele den allgemeinen Künstler des
Lebens nennend, aus dem Kampfe der Seele mit ihrem
Material, den körperlichen Dingen nemlich hervorgehen
lassen das Kunstwerk, nemlich die Idee eines höheren
Körpers, der wieder gegenthätig gegen die immer begleitende,
höher aufgeschwungene Seele, wieder Material eines
noch schöneren Kunstwerks, eines noch höheren Körpers
wird u. s. f. – Man vergleiche meine
Darstellung des Körpers mit den gewöhnlich umlaufenden
Begriffen. – Von der ersten Blume, von der ersten
Puppe an, die das Kind ergreift, spielend und bildend
herzt und sich aneignet, lasse ich den Körper des
kleinen Wesens über das unmittelbare Fleisch hinaus
wachsen, bis der Mann endlich als bildender Künstler,
Staatsmann oder Soldat – große Heere, Staaten,
ganze Epochen der Kunstgeschichte in seinen höheren
erweiterten Körper hineinzieht. Darf eine Armee wirklich
etwas anderes sein als der erweiterte, armirte Arm
des Helden? Sollte die einfache Wirksamkeit tausendfältiger
Individuen im wahren Staate wirklich etwas anders
sein, als das erweiterte Haupt des wahren Beherrschers? –
Betrachten Sie das Wirken eines recht menschlichen
Menschen: greift seine organische Kraft nicht hinaus
über den gesunden, kräftigen, unmittelbaren Körper,
zieht sie nicht weit und breit, aus Nähe und Ferne,
Menschen und Dinge mit unwiderstehlicher Gewalt in
den schönen, harmonischen Kreis ihres Lebens hinein? –
Aus zwei streitenden, aber liebenden Kräften, aus
einem wahren Gegegensatze enspringt der Mensch: zwei
Liebende bilden ein versammeltes Volk, sagt der Dichter.
Wohl! daß sie ohne Ende streiten müssen, daß ihr Streit
ohne Ende steigt, das eben ist ihre Liebe. Und so
wächst und wächst der Strudel des Lebens, und reißt
immer entfernteres in sich hinein. Der alte, selbige
Streit dauert sich selbst ewig gleich noch immer fort,
aber unter welcher Gestalt sehn wir ihn jetzt: Was
erst die Blume und die Puppe leistete, das sind jetzt
große Heere, das ist jetzt ein großer herrlicher Staatsverein
weiter blühender Gebiete des Lebens geworden. Die
Seele des Staatsmanns durchdringt mit dem Geiste des
Streits und der Liebe, der Thätigkeit und des Friedens,
den unendlich großen Körper. Noch immer <23:>
gilt es: „zwei Liebende (der Staatsmann und sein Kunstwerk,
der Staat) bilden ein versammeltes Volk! – Grau,
gebückt und unscheinbar geworden, steht endlich, was
der Pöbel den wirklichen Körper des Helden nennt,
noch da, die eingeschrumpfte Hülse des Kerns, aus
dem der majestätische Baum entsprungen. Die Seele
des Helden säuselt und duftet in allen Zweigen und
Blüthen des Baumes, seines wahren Körpers. Fällt nun
endlich die arme Hülse da unten in Asche zusammen,
so meint der Pöbel, sein Held sei gestorben, sein,
des Helden Körper sei in Asche versunken: und die
Besseren selbst bewundern es und klagen, daß der Keim
dahin muß, wenn die Frucht gedeihen und reifen soll.
Da
können sie dann nicht begreifen, wie der kleine, spannenlange
Raum, den sie Körper nennen, mit der großen, unbändigen
Seele zurecht kommt. Statt ruhig um sich her zu sehn,
wo alles verkündigen und sagen würde, daß er, er
selbst geblieben ist, und allenthalben um sie
lebt und webt, soll die Seele, Gott weiß wohin, gezogen
sein, und die Armseligen in Thränen und Jammer allein
zurückgelassen haben. – Ungefähr eben so, wie
sie vorher sich den Kopf zerbrechen, an welcher Stelle
des kleinen Körpers denn eigentlich die Seele ihres
Helden sich einquartirt habe, ob im Gehirn oder in
den Beinen, in dem Blut oder in den Händen. Da mag
noch Jahrtausende hindurch das Wort welches er gesprochen,
über sie herklingen, sie begeistern, zu den Waffen
rufen; da mag das Gesetz, das er gegeben, die That,
die er gethan, ihren Enkeln noch Sicherheit und Freiheit
geben – das sind seine Worte, seine Thaten –
das ist er selbst nicht mehr, meinen sie. Fragt ihn
selbst einmal den sterbenden Helden, der er selbst
sich längst übergegangen, ausgedehnt, ausgeflossen
fühlt, in das Glück und die Ruhe von tausenden, ob
er nicht in dem größern Hause, das er sich erbaut,
längst wohnt, und des kleinen Gerüstes, der Erdhütte,
die ihr seinen Körper nennt, längst nicht mehr bedarf,
ob er eine Anweisung braucht, eine Verheissung, daß
er jenseits, in jenem Leben oder wie ihr es nennen
mögt, wieder Haus und Hof und eigne kleine Wirthschaft
haben werde?
Ich
habe den wahren Menschen, dessen Untergang hier beschrieben
worden, einen Helden genannt, weil nach den früheren
Voraussetzungen der Mensch überhaupt nur im Streite
und im Heldenleben geschaut wird. Künstlerisches,
militärisches, wissenschaftliches, politisches Leben,
alles ist eine Heldengenossenschaft, wenn es wahr
ist, worin Gefühl und Erkenntniß aller schönen Seelen
mir beipflichten, daß jeder Stoff, jedes Object menschlicher
Thätigkeit gegenthätig ist und erobert, überwunden,
aber nicht unterdrückt, bei Seite geworfen, vernichtet
oder gar, wie der transcendentale Idealismus vermeinte,
aus nichts absolut erschaffen werden will. Eine idealistische
Verirrung kann und wird man mir nicht vorwerfen. –
Nun aber betrachten wir die gewöhnliche Ansicht des
Verhältnisses von Körper und Seele. Ist der Fehler
nicht wieder der, daß man sich das Gegenthätige, die
Seele, das Negative, wenn der Körper das Positive
genannt wird, daß man sich dieses Negative, Gegen-
<24:> thätige denkt, als Negation als Unthätiges,
dem Körper gegenüber. Man hat die Seele nur als unkörperliches,
unsichtbares, da sie doch ein wahrhaft antisichtbares,
gegenkörperliches ist, begriffen. Freilich konnte
man ihr eine eigenthümlich große Thätigkeit nicht
absprechen, aber dieses, ihr Wesen, glaubte man, triebe
sie für sich, gleichsam auf ihre eigne Hand. Daraus
entsprang eine eigne, ehrenwerthe Wissenschaft von
den abgesonderten Motionen der Seele, von ihren Sprüngen,
ihren Späßen und Einfällen, von der wunderlichen Art,
in der sie den alten ehrlichen Körper neckte und zum
Besten habe. – Man sieht, ich spreche von der,
von allen seichten und platten Köpfen, so werthgeachteten
Psychologie, oder Seelenlehre: gewöhnlich die
Empirische genannt, weil sie von den Erfahrungen meistentheils
der Kranken- und Irrenhäuser, auch gern von den sehr
instruktiven armen Sündern ausgehend, ohne sich weiter
in das Gebiet der Rationalität zu versteigen, gewöhnlich
wieder kurz umlenkte in das nahe liegende Taubstummen-
oder Blindeninstitut, die wohlfeil erlangte Empirie
sogleich wieder philanthropisch für Juristen, Ärzte
und Seelsorger applicirend. Höchst characteristisch
für den rohen Geist unsrer Tage, ist der besonders
unglückliche Name dieser Wissenschaft: die zarte,
geflügelte Psyche, gebunden an die Weisheit eines
demonstrirenden Nicolai: ein Unterfangen der Seelenlosen,
die Seele nicht blos zu sehn, sondern von ihr zu lehren. –
Ziehen
wir jetzt einen Schluß aus unsern Betrachtungen: der
Wirkungskreis des Menschen, die Sphäre seines Lebens,
deren bloßes Symbol der Körper im gewöhnlichen Sinne
des Worts ist, das ist sein wahrer Körper. Was ist
der Meissel, was ist der schön geformte Marmor anders
als die erweiterte Hand: die Hand selbst ist ein allegorisches
Zeichen, ewig unverständlich dem, der sie absolut
ohne ihre unendlichen Bewegungen und Bildungen betrachtet.
Jedes neue wunderbare Werk des Menschen macht diese
Hand ehrwürdiger, bedeutender, begreiflicher. So der
Mensch sein Körper überhaupt, der nichts ist, als
schönes symmetrisches Zeichen der Natur, Mikrokosmos,
für sich nichts, aber ein Heiligthum, wenn er in und
neben dem Makrokosmos gedacht wird. Die Sprache zeigt
uns den Menschen sowohl als ein einziges Sein, als
auch wie ein einziges Haben. Alle Attribute des menschlichen
Seins können ausgedrückt werden als Besitzthümer des
Seienden, z. B. meine Brust, meine Hand, meine
Seele: diese Besitzthümer können aber auch wieder
ausgedrückt werden als bloße Actionen des Seins, als
bloße Bewegungen der Ichheit, z. B. ich athme,
ich greife, ich denke. Man bemerke, daß wir im ersteren
Falle, wo wir das Sein, im Haben, im Mein und Dein,
im Besitz darstellen, uns der Substantiven Brust,
Hand, Seele, bedienen mußten: im zweiten Falle hingegen,
wo wir das Haben im Seyn betrachteten, der Verba athmen,
greifen, denken, bedienen mußten. Wie nun alle Substantiva
in der Sprache das Bleibende, alle Verba hingegen
die Bewegung bezeichnen; wie ferner nach den Forderungen
des Gegensatzes das Bleibende nichts ist, als durchdrungenes
von der Bewegung, als im Gegensatze der Bewegung;
wie nur die wahrhafte Bewegung bleibt, und das wahrhaft
Bleibende sich bewegt, und Verände- <25:> rung
und Wechsel nur möglich ist, in wiefern sie einem
wahrhaft Bleibenden widerfahren – so erscheint
uns der Mensch oder der Wirkungskreis des Menschen
bald 1) als das ganze seines Besitzes, als ein einziges
Mein, d. h. als Körper, im wahren Sinne
des Worts; bald 2) als das ganze seines Handelns,
seines Wirkens, als ein einziges Seyn, als Ich, d. h.
als Seele. – Mit andern Worten, damit
wir unsre Untersuchung an das Grundzeichen anknüpfen,
das wir einstweilen festgesetzt haben, nemlich an
den Gegensatz von Handelndem und Behandeltem: der
Mensch erscheint bald 1) als Behandeltes, als Körper,
als sein eigenes Kunstwerk; bald 2) als Handelndes,
als Seele – als seine eigne Geschichte,
sagten wir. – Dieser Ausdruck verdient noch eine
kurze Beleuchtung, die uns nach unseren Voraussetzungen
nicht schwierig sein kann. Handelndes und Behandeltes,
Seyn und Haben, Körper und Seele, Bewegung und Bleibendes
sind wahre Gegensätze. Aber Kunstwerk und Geschichte?
Sollte nicht vielmehr dem Kunstwerk (behandeltem)
der Künstler (handelndes) entgegenstehn? Sehr wahr!
wir wollen indeß nicht vergessen, daß wir den Gegensatz
von Handelndem und Behandeltem wieder behandelten,
daß wir Antigegensatz des Gegensatzes von Handelndem
und Behandeltem waren; daß der Gegensatz Körper und
Seele, den Körper der höheren Seele bildete, von der
aus wir ihn betrachteten. Nennen wir also die höhere
Seele, die den Gegensatz von Körper und Seele betrachtet,
Ich; den Gegensatz hingegen von mein Körper
und meine Seele: Gegenich. Das Wesen
des Ichs ist das Seyn; das Wesen des Gegenichs
ist das Haben, oder gehabt werden, welches
ausgedrückt wird durch das Wort mein, welches
wir sowohl dem Körper als der Seele vorsetzen. Was
haben wir nun? was enthält der Gegensatz von
Körper und Seele? Antwort: eben wieder das angeschaute
Haben (den Körper) und das angeschaute Seyn (die Seele).
Angeschautes Seyn, d. h. doch wohl betrachtetes,
behandeltes, leidendes Seyn? dies wird uns die Sprache
wohl aufs natürlichste bezeichnen durch das Passivum
des Verbums Seyn, d. h. durch Werden.
So ist es auch: der betrachtenden Seele erscheint
der betrachtete Körper als bleibender Besitz, als
Kunstwerk, und die betrachtete Seele als unendliches
Werden, als Natur, als Geschichte. – Ich
hatte demnach ein Recht zu sagen, der wahre Körper
der wahren betrachtenden Seele, sei sowohl ihr Kunstwerk
als ihre Geschichte: indem Körper und Seele,
beide gemeinschaftlich, einen höheren Körper bilden,
den die betrachtende, höhere Seele bewohnt, und sich
dort bald als ihr Werk, bald als ihre Entstehung,
beides in gleicher Klarheit und mit unendlicher Thätigkeit
anschaut, gegen Natur und Kunst gleich gerecht, im
Bewußtsein freier Erzeugung der Zukunft und nothwendigen
Hervorgehens aus der Vergangenheit, in des ewigen
Handelns und des ewigen Behandeltwerdens gleich innigem
Gefühle.
Adam Müller.