3.
Setzen wir auf einen
Augenblick den Begriff des Handelns in seinem
größten Umfange fest: Denken, Erkennen, und welche
unsichtbare Thätigkeit des Menschen wir haben unterscheiden
mögen, sind nichts anders als eben so viele einzelne
Offenbarungen eines allgemeinen Handelns. Wollen wir
auf irgend eine mögliche Weise zur Anschauung dieses
Handelns gelangen, so müssen wir es in zwei nothwendige
Elemente zerlegen, demnächst diese zwei Elemente mit
Selbstthätigkeit organisch verbinden, dann das aus
dieser Verbindung hervorgehende Einfache wieder im
Gegensatz gegen die beiden Elemente betrachten u. s. f. –
Alles Handeln setzt voraus ein Handelndes und ein
Behandeltes, mit andern Worten ein Thätiges und ein
Leidendes. Bevor wir nun zeigen, wie der Begriff des
Handelns aus diesen zwei Elementen her- <13:>
vorgeht, müssen wir uns lebhaft daran erinnern, daß
Leiden und unthätig sein, behandelt werden und nicht
handeln, keineswegs gleichbedeutende Ausdrücke sind:
daß wir demnach nicht sagen dürfen: alles Handeln
setzt voraus ein Handelndes und ein nicht Handelndes,
ein Thätiges und ein Unthätiges. Wir stehen hier an
der bei weiten entscheidendsten Stelle unsrer Untersuchungen.
Wenn wir z. B. mit möglichster Gewalt einen Hammer
auf eine Stange Eisen losschlagen lassen, so werden
wir im gemeinen Leben kein Bedenken tragen, dem Hammer
oder uns, denen, die den Hammer führen, Thätigkeit,
hingegen dem geschlagenen und durch den
Schlag gekrümmten Eisen Unthätigkeit zuzuschreiben.
Wenn wir nun mit gleicher Thätigkeit und Gewalt anstatt
des Hammers die Faust auf die Stange Eisen niederfallen
ließen, so würde ein sehr empfindlicher Schmerz uns
an eine gewisse Gegenthätigkeit des Eisens erinnern:
wir würden zugeben müssen, daß zwar unsre Faust thätig
gewesen und das Eisen einige Veränderung seiner Gestalt
habe leiden müssen, daß dagegen unsre Faust eben sowohl
und noch mehr von der Thätigkeit des Eisens habe leiden
müssen. Vom Blasebalg, von den Werkzeugen, die in
unsrer Werkstatt umher lagen, konnten wir sagen, sie
seien im Bezug auf unsre Handlung unthätig; aber wir,
und das Eisen vor uns, waren einander wahrhaft gegenthätig:
die Thätigkeit des Eisens war die Bedingung unsrer
Thätigkeit. – Ein anderes Beispiel aus der Geschichte
der neueren Philosophie: Fichte in seinem Naturrechte
begründet die Rechte des Mannes über die Frau in der
Ehe, auf die vermeintliche absolute Thätigkeit des
Mannes und die Unthätigkeit der Frau im Beischlaf,
da sich hingegen nicht blos in diesem, sondern in
jedem möglichen Verhältniß der Geschlechter, die größte
Gegenthätigkeit und Wechselwirkung zeigen ließe, und
sich vielleicht an keinem andern Beispiele so deutlich
ergeben würde, wie man sich den Begriff des Leidens
immer falsch denkt, wenn man etwas anderes als Gegenthätigkeit
darunter versteht. *)
Anmerk. 1.
Ein
Verhältniß, ein Handeln läßt sich nicht eher betrachten,
als bis beide Glieder des Verhältnisses, als bis beide
Elemente der Handlung mit gleicher Ruhe und Unpartheilichkeit
erkannt werden. Als wir in der Absicht das Eisen zu
behandeln und zu krümmen mit dem Hammer niederschlugen,
nahmen wir die Parthei des Hammers, hingegen, als
wir nachher die Wirkung des Schlages auf das Eisen
beobachteten, als wir unsre Behandlung des Eisens
behandelten, sahen wir, in wiefern das Eisen uns nachgegeben
oder widerstanden habe, wir betrachteten ruhig den
Gegensatz von Hammer und Eisen, um bei einem zweiten
Schlage kräftiger, wirksamer und geschickter die Parthei
des Hammers nehmen zu können u. s. f. Gab
es aber in dieser Reihe von Handlungen, eine Handlung
die absolut partheiisch zu nennen war, und schwebten
wir im andern Augenblick mit reiner Unpartheilichkeit
über den Gegensatz von Hammer und Eisen? – Auf
den ersten Anblick erscheinen Bewegung und Ruhe, Thätigkeit
und Unthätigkeit, Schlag und Betrachtung einander
abzulösen, aus absolutem Wechsel von beiden scheint
die alle einzelne Handlungen umfassende Handlung des
Schmiedens zu bestehn. Untersuchen wir es indeß näher,
so zeigt es sich <14:> anders. Was sollte geschehn?
eine gerade Stange Eisen sollte gebogen werden, die
eine Hälfte der Stange sollte aus ihrer Lage gebracht
werden. Indem wir also losschlugen, schwebten wir
schon über den Gegensatz der beiden Hälften der Stange,
indem wir auf die eine Hälfte losschlugen, mußten
wir zugleich die andre in ihrer Lage erhalten. Hätten
wir absolut partheiisch auf die eine Hälfte losgeschlagen,
und nicht zugleich die Gegenthätigkeit der andern
Hälfte durch unser Festhalten noch verstärkt, so würden
wir ewig nichts bewirkt haben. Mein Werkzeug, ich,
der Schmied, der Inbegriff von schlagendem Hammer
und festhaltender Hand – soll die Thätigkeit
genannt werden: meine Gegenthätigkeit ist der Streit,
der Gegensatz in der Stange, der durch mich geschlichtet
und aufgehoben werden soll. – Der Schlag ist
geschehn: ich betrachte die Wirkung, die Stange hat
sich etwas gekrümmt. Meine Thätigkeit zeigt sich nun
unter einer neuen Gestalt, unter der Gestalt des Betrachters,
des Beurtheilers. In dieser thätigen Betrachtung erscheint
anstatt des vorherigen Gegensatzes der beiden Hälften,
nun der Gegensatz gebogene Stange und biegender Schmied.
Ich werde unter dieser Betrachtung zu einem zweiten
höheren besseren Schmied, der sich in einem zweiten
wirksameren Schlage äussert u. s. f. Der
Faden meiner Thätigkeit ist bei der ganzen Operation
nicht einen Augenblick abgerissen; allzeit hat unter
der Gestalt eines Gegensatzes ein wahrhaft Gegenthätiges
mir gegenüber gestanden, wonach mein Handeln, wie
nach meinem Handeln das Gegenhandeln mir gegenüber
sich modificiren mußte. Werkzeug und Eisen waren nur
wechselnde, vermittelnde Mittler zwischen Kraft und
Gegenkraft, die hier wechselwirkend operirten. Nennen
wir im Gegensatze des sichtbaren gleichsam angewandten
Schmiedes, die unsichtbar, unfixirbar operirende Kraft
den reinen Schmied, und im Gegensatze des sichtbaren
angewandten Eisens, die unsichtbar, unfixirbar operirende
Gegenkraft, das reine Eisen, so haben wir es
mit nichts minderem als dem Handelnden und dem Behandelten
zu thun, die beide ich im Anfange Elemente des Handelns
nannte. – Wir, in diesem ganzen Beispiele haben
den Gegensatz von Handelnden und Behandelten wieder
behandelt, den Gegensatz von Schmied und Eisen wieder
geschmiedet; dieser Gegensatz war die Gegenthätigkeit
unsrer thätigen Betrachtung. Hätten wir auf Rückwirkung,
auf Gegenthätigkeit im Behandelten keine Rücksicht
genommen, behauptend, der Schmied sei ein handelndes,
vernünftiges Wesen, das Eisen dagegen eine rohe leblose
Materie, das Eisen sei bloße Negation, sei bloßes
Nichtich, im Gegensatze des Ichs von dem Schmiede,
wie Fichte gesagt haben würde, so hätten wir in der
Darstellung der ganzen Operation, nicht aus der Stelle,
nicht einmal bis zum ersten Schlage kommen können,
unser Schmied würde ins Blaue hinein geschmiedet und
wir ins Blaue hinein philosophirt haben. Recht kräftigen,
recht thätigen Naturen, lebhaften Kindern, tüchtigen
Handwerkern würden wir mit unsrer Lehre von der Gegenthätigkeit
des behandelten Stoffs nichts neues gesagt haben;
sie wissen recht gut, daß ihr Spielzeug, ihr Handwerksmaterial,
sein Gegenleben, seine Gegenpersönlichkeit hat: sie
sprechen mit ihm, sie leben mit ihm: nur kränklichen
oder einseitigen Philosophen muß man dies Gegenleben
bewei- <15:> sen. – Die Aufmerksamen ahnden
vielleicht schon, wie nahe wir an dieser Stelle der
wahren Lehre von der Posie stehn, wie der Tod als
Zustand, als bestimmter bleibender Stoff mit dieser
Ansicht unverträglich ist, und wie alles Leben unendliches
Gegenleben voraussetzt. Verlassen wir indeß den Weg
der ruhigen Untersuchung nicht zu früh, belohnen wir
uns mit Aussichten in die Unendlichkeit nicht eher,
als bis wir der Festigkeit und Gefahrlosigkeit unsers
Standpuncts gewiß sind.
Zugleich
mit dem einfachen Begriff des Handelns ist eine Zweiheit,
eine Trennung gesetzt, ein Gegensatz vom Handelnden
und Behandelten, von Action und Reaction, von Thätigkeit
und Gegenthätigkeit, von Kraft und Gegenkraft. Weder
von dem Gegensatz des Handelnden und des Behandelten,
noch von der beiden gemeinschaftlichen Einheit des
Handelns können wir behaupten, daß eines vorangehe:
2 und 1, Gegensatz und Identität werden entweder zugleich
als gleich nothwendig und wesentlich gesetzt, oder
sie werden gar nicht gesetzt. Der Künstler bildet
aus zwei Elementen sein Werk, 1) aus einer Mannichfaltigkeit
von Erscheinungen die ihm die Natur darreicht, 2)
aus einem einfachen Gedanken, den er von der Kunst,
von dem Kunstgefühle in ihm, erhält. Zwei streitende
Charactere, z. B. Tasso und Antonio sollen dienen
und unterthänig sein einer künstlerischen Idee, z. B.
der Einheit aller Kunst, der Staatskunst, der Kriegskunst,
der Dichtkunst. Versuchen wir das Bildungsgeschäft
des Künstlers näher zu betrachten. Auf der einen Seite
der Gegensatz unter den widerstrebenden Gestalten,
Dichter Tasso und Staatsmann Antonio, jeder mit großen,
lebendigen Ansprüchen, daß der Sieg und der Lorbeer
ihm und seiner Kunst zu Theil werde; jeder von beiden
kräftig, reich und beredt genug, um den Dichter auf
seine Parthei herüber zu zwingen. Auf der andern Seite
der Künstler, oder vielmehr die Ahndung der Einheit,
des Friedens zwischen beiden, die Ahndung einer die
Dichtkunst und die Staatskunst vereinigenden Kunst.
Man bemerke wohl, mit einem vollendeten Heldengedichte
tritt Tasso auf: er hat in der Darstellung
seines Gottfried von Bouillon schon gefühlt, wie „gleiches
Streben Held und Dichter bindet,“ er hat gefühlt,
wie der Dichter sich am liebsten zum Helden und zu
seinen Thaten hinneigt. Er hat den Gegensatz vom Helden
und Dichter, vom hohen Leben und von hoher Poesie
schon einmal aufgelöst. Die Einheit, die er gefunden,
aber muß wieder dahin, sie muß zerspaltet werden in
ihre Elemente, damit ein andrer Dichter, Göthe,
einen andern tieferen und innigeren Verein zwischen
Leben und Poesie schließen könne. Handelndes und Behandeltes,
Dichtergeist und die Thaten des heiligen Krieges haben
sich zu einem einzigen gemeinschaftlichen Handeln,
zu einem einfachen poetischen Geiste verbunden: dieses
Handeln heißt Tasso: Handelndes und Behandeltes,
höherer Dichtergeist, und die Leiden des Dichter Tasso
verbinden sich zu einem noch höheren Handeln, zu einem
poetischen Ganzen: dieses Ganze heißt Göthe.
Es ließe sich ein noch erhabenerer Genius denken,
der den jugendlichen Vollender des Schauspiels Tasso,
Göthen einführte, mit dem eben beendigten Werke, und
aus dem eben geschlossenen Frieden, durch die Disharmonie
der <16:> Welt, oder des Dichters mit ihr, eine
neue noch furchtbarere Zwietracht zwischen Kunst und
Leben erzeugte, um einen noch reineren Frieden zu
schließen. Und so würde, wie wir im Schauspiel Tasso
den Lorbeerkranz von Tassos Haupt auf Göthes übergehen
sehn, der schöne Preis, von diesem auf die Stirne
des Höheren versetzt, steigen, und weiter steigen,
und endlich das Gebet des Tasso erhört und er zwischen
Wolken verklärt werden. – Greifen wir aus den
drei Gestalten Tasso, Göthe und dem Unbekannten, die
gemeinschaftliche Einheit heraus, und nennen wir sie
Geist der Poesie, Lebensgeist. – Wie erscheint
er uns? – Allenthalben einem Gegensatze gegenüber,
einen Gegensatz vermittelnd: er steht im Gegensatze
mit einem Gegensatze. Der Gegensatz streitender Charactere
und Situationen ist die Antikraft, gegen die die Kraft
des Dichters und seines Gedankens streitet, damit
die Gegenkraft sich nach der Kraft, die Kraft nach
der Gegenkraft bequeme, und so aus recht kräftigem
Streite der recht innige Friede hervorgehe. Die Natur
soll aus dem Gegensatz sprechen, sie soll sich als
tiefer, unergründlicher Streit der einzelnen Naturen
darstellen: die Kunst spreche aus dem dichtenden Lebensgeist,
sie erscheine als alle Tiefen der Natur durchdringender
triumphirender Friede. Und wir, die wir über den Gegensatz
von Natur und Kunst, von Leben und Poesie philosophirten
und dichteten, wollen uns, weil wir doch immer einen
Gegensatz vor uns haben, einen Gegensatz behandlen,
einem Gegensatze gegenüber stehn, um deswillen Antigegensatz
nennen. Heiße der alle Gegensätze der Formen des Lebens
durchdringende Lebensgeist ebenfalls Antigegensatz:
auch dem oben erwähnten reinen Schmied, er möge schmieden
oder das Geschmiedete betrachten, können wir den Namen
Antigegensatz nicht verweigern. –
Es
liegt in dem von mir gewählten Ausdruck: Antigegensatz
schon angedeutet, daß das Wesen, welches ich damit
bezeichne, nie als absolutes, letztes erscheinen könne:
anschaubar ist der Antigegensatz nie anders als in
und neben dem Gegensatze, und in demselben Augenblick,
wo ich ihn dem Gegensatze gegenüber stelle, giebt
es in mir schon einen andern höheren Antigegensatz,
der den vorigen Antigegensatz dem Gegensatz entgegenstellt.
Fichte versuchte in seiner Wissenschaftslehre mit
seinem reinen Ich dasselbige zu bezeichnen,
was ich mit einem barbarischen, minder einfachen Worte,
aber, wie mir scheint, auch um so ausdrucksvoller
bezeichne. Er setzte ein reines Ich, welches sich
selbst wieder im Gegensatz mit dem Nichtich setzte:
so entstand, trotz allen Protestationen des Setzers,
ein dreifaches: zwei gesetzte Glieder, ein gleichsam
angewandtes Ich und Nichtich, und ein reines, beide
setzendes Ich. – Dieses reine, ungesetzte und
doch von Fichte gesetzte Ich, sollte die absolute
Thätigkeit, das absolute, selbst nicht wieder behandelt
werdende Handeln ausdrücken. Es war eine Einheit,
der keine Zweiheit entgegenstand und deshalb absolut
nichts. Der Philosoph übersah, daß er selbst wieder
ein einzelnes Glied in der philosophischen Reihe,
des über ihn philosophirenden Natur- und Weltgeists
war. Still, einsam und todt blieb die Darstellung
stehn, die bewegt und lebensvoll sich in den Strom
der Philosophie des Universums zu ergießen streben
sollte. <17:>
Wenn
wir den Menschen im Kampf mit der Natur betrachten,
wenn wir die Kraft mit der Gegenkraft streiten, wenn
wir das Ich dem Gegenich gegenübersehn, so
giebt es allerdings in dem Augenblick ein reineres
Ich; ein Ich das den Gegensatz von Ich und Gegenich
betrachtet, ein Ich, dessen Gegenich der vorige Gegensatz
von Ich und Gegenich genannt werden möge. Übersehen
wir aber nie, daß wir kaum dieses reinere Ich schauten,
als wir schon genöthigt durch den unmittelbar sich
daneben stellenden Gegensatz des vorigen Ichs und
Gegenichs, einen reineren Gegensatz, und deshalb ein
noch reineres Ich annehmen mußten, und so ins Unendliche
fort.
Emendation:
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