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 Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart:
        Spemann 1901), 643-648 
           
                    7. Angriffe auf Heinrich von 
                    Kleist.  
                      
        Auch gegen Heinrich von Kleist wurde die litterarische Bekämpfung Seitens der
        Gegenparthei systematisch betrieben. 
         Das Nächste, was seit dem
        Phöbus von ihm gedruckt in die Hände des Publicums gelangte, waren zur Michaelismesse
        1810 das Käthchen von Heilbronn und der erste Theil der Erzählungen, welcher den
        Kohlhaas, die Marquise von O
 und das Erdbeben in Chili enthielt. Das Erscheinen
        beider Werke fiel also in eine Zeit, wo Kleist durch seine Abendblätter mehr und mehr die
        Stellung eines politischen Partheimannes einnahm, den die antiromantische Gegnerschaft um
        so mutiger bekämpfte, je sicherer sie war, den Dank der preußischen Staatskanzlei sich
        zu verdienen. Die offiziösen Federn verbreiteten über die Abendblätter nur üble
        Nachrichten. Saul Ascher bediente das Morgenblatt und Zschokkes Miscellen, mit dem
        Unterschiede nur, daß im Morgenblatte Kleists Name vogelfrei geworden war, Zschokke
        gegenüber aber der lebende Kleist seit der frühen Schweizer Bekanntschaft schonend
        behandelt werden mußte. Sowie Kleist die ersten Schwierigkeiten mit der Staatskanzlei
        hatte, die nach außen gar nicht hervortraten, correspondirte der sehr gut instruirte
        Ascher unter dem 13. November 1810 dem Morgenblatte (Nr. 291), die Abendblätter
        würden, seitdem die Polizeiberichte von ganz gewöhnlichen Dingen, nicht mehr von Mord
        und Brand sprächen, nicht mehr begierig gelesen; sie müßten einschlafen, wenn die
        Herausgeber nicht den Volkston fänden. Die Witze mit dem Worte Abendblätter
        sind fortan ständig; bemerkenswerth das unfreiwillige Zugeständniß, daß sie bis dahin
        begierig gelesen <644:> wurden. Vom 29. December 1810 im
        Morgenblatt (1811 Nr. 17): die Abendblätter erschienen jetzt im Kunst- und
        Industrie-Comptoir, der erste Verleger Hitzig habe sie aufgegeben aus Mangel an Theilnahme
        von Seiten des Publikums. Und schadenfroh prophezeiend im neuen Jahre 1811 (S. 107),
        es würde später noch irgend eine Todesanzeige der hiesigen Zeitschriften bekannt werden;
        bis Saul Ascher am 10. April 1811 (Nr. 105) höhnend melden konnte: Das
        Abendblatt hat den Abend seines Lebens erreicht, und dadurch sich und die etwaigen
        übergeduldigen Leser in den Ruhestand versetzt. Daß Saul Ascher hier als
        Officiosus fungirte, erhellt auch aus den Hamburger Nordischen Miscellen. Diese
        Zeitschrift, erst Kleist und den Abendblättern durchaus günstig gesinnt (oben
        S. 182), war von der Staatskanzlei gewonnen worden, um in dem französisch gewordenen
        Hamburg ein gefügiges Organ zu besitzen. Da heißt es (Extrablatt zu Nr. 51) aus
        Berlin, 20. December 1810, die Berliner journalistische Literatur erhalte auch mit
        Anfang des künftigen Jahres eine andere Constellation: Die vor einigen Monaten
        begonnenen Abendblätter sowohl, als auch der Preußische Hausfreund, vollenden mit diesem
        Jahr ihr Ziel; um dann Anfang Januar 1811 (Extrablatt zu Nr. 2) widerwillig zu
        melden: die schon ihrem Schicksal überlassen gewesenen Abendblätter hätten einen
        hülfreichen Lotsen an dem Redacteur des Freimüthigen gefunden, der sie wieder flott
        machen dürfte. Das stimmt mit Aschers Instructionen; Cöln könnte der geheime
        Instructeur gewesen sein (oben S. 486). Es lag System darin. Darnach ermißt man
        erst, welche Widerstände Kleist niederzwang, um seine Zeitung in das zweite Quartal
        hinüber zu leiten. 
         Nicht anders geberdeten sich
        die Kritiker des Morgenblattes gegen das Käthchen von Heilbronn. Schamlos wurden
        Kleists poetische Werke heruntergerissen. Auf eine kurze <645:> Vornotiz in
        Aschers Correspondenz vom 13. November 1810 (Nr. 291), erschienen sei das
        Käthchen von Heilbronn, Schauspiel von Hrn. von Kleist, unterhaltend für alle, die
        mit der Vernunft fertig geworden seien  folgte dann in einer Litteratur-Uebersicht
        zu Nr. 302, kurz vor Weihnachten, die eigentliche Ergießung. Bei Lesung der ersten
        Blätter habe der Recensent geglaubt, eine Parodie auf den romantischen Schnickschnack der
        Zeit zu finden. Bald aber sei er dessen gewiß geworden, daß es Herrn von Kleist baarer,
        brennender Ernst sei. Der Stoff möchte noch ergiebig genug sein. Die ganze Anlage aber
        und besonders der Ausdruck: nein, etwas Tolleres sei ihm seit des im Frieden entschlafenen
        Cramers Haspa a Spada nicht wieder vorgekommen. Als Beispiel dafür könne gelten,
        was Theobald von Käthchen sage, welche, halb wahnsinnig, dem Grafen Wetter über dick und
        dünn nachlaufe (1, 1): Seit jenem Tage folgt sie ihm nun, gleich einer Metze
        &c. Nicht minder drollig prophetisch laute der Monolog des Grafen Wetter
        (2, 1). Einige Stellen aber, wie die Rede Theobalds vor dem Kaiser (5, 1),
        deuteten auf wahre Geisteszerrüttung. Es ist derselbe Ton, in welchem Saul Ascher über
        die Penthesilea und die Schriftsteller der christlich-deutschen Tischgesellschaft
        überhaupt sich äußern durfte. 
         Die Anzeige des Käthchens
        erscheint als die Leistung eines partheibethörten Menschen. Die der Erzählungen aber, in
        der Litteratur-Uebersicht zu Nr. 311 des Morgenblatts, wirkt durch das Lob, das sie
        spendet, geradezu widerwärtig. Der Recensent freue sich, den Erzählungen des Herrn
        v. Kleist ein weit besseres Zeugniß sprechen zu können, als seinem Käthchen von
        Heilbronn. Besonders anziehend sei ihm die erste, Michael Kohlhaas gewesen. Der
        Versicherung des Verfassers und auch dem Anscheine nach aus einer alten Chronik gezogen:
        ein so eigenthümlich geprägter Charakter gehe auch nicht aus der <646:> Phantasie
        hervor. Auch die Markisinn von O** vereinige mit dem Sonderbaren der Situation die Kunst
        lebhafter und schöner Darstellung. Die dritte habe etwas Empörendes, und sei auch zu
        skizzenhaft behandelt. Man empfindet sofort, was für die erste Novelle einnahm: nämlich
        die Auflehnung des Roßkamms gegen den Junker. Unsäglich trivial sind die Ausführungen
        über den Charakter Kohlhaasens und über die dichterische Phantasie überhaupt. 
         Nirgends begegnet damals eine
        freie, edle Würdigung der Dichtungen Kleists. Kein aufmunterndes Wort ist seinem
        Streben und Ringen von einer maßgebenden Stelle aus zu Theil geworden. Wie wurde Arnim in
        dem Kampfe um das Wunderhorn durch Goethes öffentliche Empfehlung gestärkt. Die
        großen Recensiranstalten jener Tage, die Jenaische, die Hallische, die Leipziger, die
        Göttingische, selbst die Heidelbergische gingen achtlos an Kleists Dichtungen
        vorüber. In den üblichen Meßübersichten der gewöhnlichen Zeitungen fand ich
        Kleists Namen selten erwähnt, und wo es geschah, meist mit einem häßlichen
        Nebenaccent. Seine journalistischen Productionen dagegen wurden von der Tagespresse
        bepflückt, meist immer ohne die Angabe, was ihm oder seiner Zeitung entnommen sei. Das
        Alles, wie nach einem verabredeten System arbeitend, lastete auf dem Absatz, auf dem
        Verleger, und am letzten Ende auf Kleist selbst. Von außen her betrachtet, ein
        niederdrückendes Resultat, dem Kleist nichts als das eigne Bewußtsein und die eigne
        Energie entgegen zu setzen hatte. Niemals aber ist einer seiner Gegner, am wenigsten Saul
        Ascher, einer Zeile von Kleist gewürdigt worden. Kleist ging wohl auf Goethe oder
        Hardenberg los, wenn es sein mußte; aber auf Saul Ascher  der stand zu tief
        für ihn. Die paar gutmüthig-wirkungslosen Anzeigen aber in der Dresdener Zeitung für
        die elegante Welt konnten nicht gut <647:> machen, was Morgenblatt und ähnliche
        Journale an Kleist verbrachen. 
         Ich weiß nur Zwei, die gegen
        die Schmähungen Kleists öffentlich etwas unternahmen: Wilhelm Grimm und Johannes
        Falck in Weimar. Grimm wollte seinen Widerspruch in einer Anzeige des zweiten Bandes der
        Erzählungen erheben, die aber die Redaction der Heidelberger Jahrbücher unter den Tisch
        fallen ließ (oben S. 451). Falcks Widerspruch ist gedruckt, jedoch nur
        anmerkungsweise, an ganz versteckter Stelle. Falck kannte Kleist von seinem Aufenthalt in
        Weimar her. Er hielt den antikleistischen Weimaranern die Stange. Ein großes Ingenium war
        Falck nicht, aber es verdient doch Anerkennung, daß er 1808 im Prometheus (Anzeiger
        S. 14) über den Zerbrochenen Krug, als er in Weimar durchgefallen war, etwas
        Freundliches sagte, der doch voll genialer und glücklicher Züge sei, und eine Hand
        verrathe, die, des Zeichnens nicht ungewohnt, noch festere und glücklichere Produkte für
        die Zukunft verspreche. Wir dürfen hier Wielandsche Sympathie für Kleist
        verspüren, die Goethe gutgelaunt im Gespräche mit Falck gelten ließ; auch das Käthchen
        von Heilbronn suchte Falck bei Goethe einzuführen. Gerade deswegen nahm er 1811 die
        Gelegenheit, die ihm ein Aufsatz über Frau Hendel-Schütz in sein Taschenbuch für Damen,
        die Urania auf 1812, gewährte, dazu wahr, in einer Anmerkung (S. XXXII) gegen die
        Behandlung Kleists im Morgenblatte zu protestiren. Goethe habe im Tasso gesagt:
        Der Lorbeerkranz ist, wo er Dir erscheint, Ein Zeichen mehr des Leidens, als des
        Glücks. Ein neues Beispiel dafür sei der Empfang, den kürzlich ein kühner,
        junger, feuriger Genius, Heinrich von Kleist, gefunden habe. Hätte dieser reichbegabte,
        herrliche Kopf weiter nichts geschrieben, als seinen Zerbrochenen Krug, oder sein Käthchen
        von Heilbronn: so verdienten seine Versuche Aufmerksamkeit, seine Talente Hochachtung.
        Dagegen, wie verkehrt, wie kalt, wie wenig fördernd, wie lieblos sei fast Alles, was
        dieser junge Dichter, bis jetzt, über seine Producte öffentlich erfahren habe. Gerade
        auch die Sprache Kleists nimmt Falck in Schutz. Wieviel Köpfe (fragt er
        vorwurfsvoll) sind denn dermalen in Deutschland noch übrig, die auch nur eine
        Seite  was Seite?  die auch nur eine Periode, mit dieser Anmuth, mit
        dieser Originalität, mit dieser Neuheit, mit diesem Feuer im Ausdruck, mit dieser
        zugleich zarten und ungestümen Gluth eines echten Shakespearschen Pinsels, wie
        Kleist im Käthchen von Heilbronn zu schreiben im Stande sind? Saul Aschers
        Leistung im Morgenblatt war damit, ohne genannt zu sein, deutlich genug bezeichnet, und
        daß dieser selbst es so empfand, beweist sein mit dem Namen Johannes witzelnder Ausfall
        auf Falck im Morgenblatte (unten S. 673). Geschrieben hat Falck die Vertheidigung
        Kleists noch bei dessen Lebzeiten: wahrscheinlich ist sie Kleist nicht mehr
        zugekommen. Den Freunden erschien sie wie ein Lichblick in all der trüben Zeit, und
        Fouqué war recht erquickt durch die kräftigen, sinnvollen Worte, die Falck
        in der Urania gesprochen hatte (Mittheilungen aus dem Litteraturarchive 1, 112). 
           
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