Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 623-630
3. Aufnahme der Philister-Abhandlung.
Der Philister machte, als er im Mai 1811 gedruckt erschien,
privatim und öffentlich das lebhafteste Aufsehen. Man amüsirte
und ärgerte sich, je nach der Partheistellung, die man einnahm.
Varnhagens Wuth auf Brentano, wie sie sich schon 1811
und 1812 in seinen Prager Briefen an Rahel tummelt, schöpft
aus dem Philister; er verräth es selber, indem er (2, 272)
statt Brentano schlechthin nur Philister sagt.
Man drängte sich zu dem Büchlein. Frau Antonie Brentano in
Wien bat sich (7. Jänner 1812, ungedruckt) von ihrem
Schwager Clemens dringend den Philister aus: Baron Quast,
den ich im Bade kennen lernte, hat mir Wunder davon erzählt.
Ebenso
verhielt sich die öffentliche Presse. Das Morgenblatt stürzte
sich mit zwei Artikeln, kurz hinter einander, auf den Philister.
Der erste Artikel, eine Berliner Correspondenz vom 22. Mai
1811, in Nr. 143 des Morgenblattes, hat etwas unfähig-Gutmüthiges
an sich. Der Verfasser möchte auch gern geistreich sein und
bringt z. B. eine Leistung folgender Art <624:>
zu Stande: eine scherzhafte muß wohl
heißen schmerzhafte Abhandlung, denn es ist darin
um mich eines ähnlichen Stils zu befleißigen ein
Ringen, Zwingen, Springen, Schwingen, Dringen und Schwitzen
nach Witzen und Spitzen, die nicht blitzen noch ritzen, und
das ewige Fechten und Fichten mit Worten &c. Ich
mache auf den Ausdruck Fichten aufmerksam, weil
Ununterrichtete wirklich Fichte für den Verfasser hielten.
Mit biedrem Gerechtigkeitssinn aber erkennt der anonyme Verfasser
an, was über liederliche Anstalten und das Theater gesagt
sei; auch dem wohlthätigen Zwecke giebt er seine Billigung,
und er schließt mit dem Humor unfreiwilliger Selbsterkenntniß,
daß sein Tadel dem Himmel sei Dank!
keinen Schaden thun werde, denn je mehr eine so profane Person
als der Einsender zu rügen wisse, je mehr würden die rechtgläubigen
Seelen die Schrift kaufen.
Dieser
philiströse Correspondent des Morgenblattes war
fixer gewesen, als der andere Berliner Correspondent Saul
Ascher. Die Berliner Correspondenzen des Morgenblattes wurden
nämlich von zwei verschiedenen Federn geliefert, die man,
nach Stil und Denkart der Schriftstücke, wohl zu unterscheiden
hat. Die Schriften Julius von Voß bieten den Schlüssel
dazu. Von Saul Ascher war nun auch, ungleich giftiger, ein
Schreiben über den Philister unterwegs, das unter dem Titel
Fragmente aus Briefen über die Tendenz der wissenschaftlichen
Bildung zu Berlin schon wieder in Nr. 156 (vom
1. Juli 1811) aufgenommen wurde. Ich sagte von Saul Ascher.
Unterzeichnet ist es: A u s l a c e r
s. Man setze die Buchstaben um und Saul
Ascher entpuppt sich. Vom Auslachen aber ist wenig
zu verspüren: im Gegentheil, Ascher kennt nur den einen Wunsch,
in hassender Feindschaft den und die Gegner zu vernichten.
Er verhütet äußerlich, daß er als Jude erkannt werde, und
spielt sich als Deutschen auf. <625:>
Er
befinde sich, sagt er, in Berlin, wo für Deutschland im vorigen
Jahrhundert so mancher heilsame Strahl der Aufklärung und
des Wissens ausgebrochen. Jetzt sei die Universität eröffnet.
Aber die Theologie und Philosophie, die an ihr gelehrt werde,
bewege sich nicht in den alten Berliner Bahnen, sondern bringe
neue, dem berlinischen und preußischen Geiste fremde Ideen
in Umlauf. Er bezeichnet Schleiermacher und Fichte, die natürlich
seiner Anschauung als gemeinsame, gleichwerthige Feinde erscheinen
mußten. Nie habe Berlin so viele Denker, Gläubige und Dichter
nach der neuen Façon gezählt wie jetzt. Ihm sei nun unerwartet
der Text zu der Predigt, die er halten wolle, in die Hände
gespielt worden: Der Philister vor, in, und nach der Geschichte.
Die christlich-deutsche Tischgesellschaft, aus der die Schrift
hervorgegangen, bilde in dem humanen und toleranten Berlin
ein eigenes Phänomen. Er macht dunkle Andeutungen über die
Gesellschaft, berichtet den Inhalt der Schrift, und giebt
Glossen folgender Art hinzu: Vor allem aber muß man
wissen, daß die Ton-Angeber in dieser Gesellschaft eingefleischte
transscendentale Idealisten und sozunennende Naturphilosophaster
sind Ich habe an so mancher Figur,
die ich von den Mitgliedern der christlich-deutschen Gesellschaft
gesehen, so viel abzunehmen Gelegenheit gehabt, daß der Ton,
den sie verrathen, eben nicht von dem, aus dem Juden und Philister
bestehen, verschieden ist; es müßte denn sein, daß man sich
durch ihre verzerrte, verdrehte und verkrüppelte Denk- und
Schreibart irre machen ließe Man vergesse
nicht, daß es allgemein heißt: Hr. Brentano
credat Iudaeus Apella sei der Hauptverfasser
dieser elegant geschriebenen Diatribe. Saul Ascher referirt
die Stelle über das Theaterwesen: Hier, Iffland und
Schröder, könnt ihr und wir mit euch in die Schule gehen.
Er erwartet, daß die preußische Regierung eingreifen werde:
Da jetzt <626:> an der Spitze der Section für
den Cultus ein Mann von geprüften und wahren Kenntnissen,
der vormalige Kammer-Director von Schuckmann, steht.
Schuckmann galt allgemein für einen Erzphilister! Ascher thut
so, als ob man in den Universitätskreisen kopfscheu geworden
sei. Er habe von Studirenden gehört: Wenn man Fichte
und Schleiermacher Brentano zur Seite setzte, so wäre das
Kleeblatt des excentrischen Wissens und die wahre Dreieinigkeit
aller speculativen Doctrin der neuern Schule in ihrer ganzen
Glorie vollendet. Aber, erklärt er: Der Geist
der idealistischen Philosophie, der mystischen Theologie und
der romantischen Poesie hat sich nie mit dem Berlinismus amalgamiren
lassen. Ein wunderliches Schlußtableau: Saul Ascher,
ohne Berliner zu sein, in der Maske eines echten Berliners!
und Fichte, Schleiermacher, Brentano, die sich in Wahrheit
persönlich nicht leiden mochten, Arm in Arm, als drei gleiche
Brüder mit gleichen Kappen! Diesen Artikel Aschers nahm
die ganze rationalistisch und rheinbündisch gesinnte Presse
auf und vermittelte ihn den großen französischen Zeitungen,
ein Erfolg, der für die preußische Regierung, wenn von französischer
Seite reclamirt wurde, recht unbequem werden konnte.
Innerhalb
der preußischen Monarchie war in Breslau allmählich eine Bewegung
gegen die Aufklärung in Fluß gekommen. Der schlesische, zum
Theil katholische, Adel war mit dem Geiste des neuen Regimes
unzufrieden, die Unruhen der durch die neuen Agrarmaßregeln
verführten Landbevölkerung machten böses Blut, und die schlesischen
Großen gingen, mit einer über die von Hardenberg protegirte
jüngste Schrift Cöllns (oben S. 156) an den König
gerichteten Vorstellung, direct gegen die Person des Staatskanzlers
vor. Aehnlich wie in Berlin, thaten sich neben der alten privilegirten
Breslauer Zeitung jetzt Preßunternehmungen auf, die in den
neuen anti- <627:> rationalistischen Curs einschwenkten.
So die schlesischen Provinzialblätter, in denen ein Aufsatz
des Grafen Kalkreuth, ob ein Christ das Schauspiel
er meinte: das entsittlichende Schauspiel besuchen
dürfe, sich das öffentliche Mißfallen Saul Aschers zuzog.
Dann aber der Neue Breslauische Erzähler, der wöchentlich
herauskam, und als dessen Herausgeber der Professor Menzel
und der, damals 1811 auf der Berliner Bühne sogar aufführende,
Dichter Carl Schall zeichneten. Kleists Abendblätter
wurden, sowie sie nach Breslau drangen, eine ergiebig ausgeschöpfte
Quelle für den Breslauer Erzähler. Adam Müllers Schriften,
Arnims Halle und Jerusalem, worin gerade die jüdischen
Scenen hervorgehoben wurden, kamen sehr gut fort (Nr. 5.
9. 41 von 1811). Und nun erschienen von Nr. 22 den 8. Juni
1811 an durch eine ganze Anzahl von Blättern wörtliche Bruchstücke
aus der Philister-Abhandlung. In das Blatt Nr. 25 fiel
das Bruchstück über die öffentliche Sittlichkeit.
Der
Neue Breslauische Erzähler erregte der Berliner Censurbehörde
im Ministerium des Innern schwere Bedenken. Man beanstandete
darin gerade die Ausführungen über die öffentliche Sittlichkeit,
und der Professor und Staatsrath Hoffmann berichtete, ohne
eine Ahnung von der Herkunft der Stelle zu haben, unter dem
7. Juli 1811 an den Geheimen Staatsrath Sack: Die
nebenstehend im Auszuge gehorsamst vorgelegte Stelle ist aus
einem durch mehrere Stücke des Breslauer Erzählers fortlaufenden,
im Ganzen sehr gut geschriebenen Aufsatze genommen, worin
die fade Alltäglichkeit, welche dennoch wichtig thun will,
unter der Benennung Philisterei sehr treffend zur Schau
gestellt wird. Nach meiner auch sonst officiell ausgesprochenen
Ueberzeugung ist es ein Mißgriff, daß unser Allgemeines Landrecht
die Anstellung von Bordellwirthschaften unter polizeilicher
Aufsicht aus- <628:> drücklich gestattet, und ich wünsche
sehr, daß bei einer Revision dieses Gesetzbuchs, welche in
so vieler Rücksicht nothwendig wird, auch dieser Fleck getilgt
werde. Auch würde ich selbst kein Bedenken tragen, dies mit
vollständiger Darlegung der Gründe für meine Ansicht öffentlich
zu äußern, wenn ich jemals dazu Veranlassung hätte. Nach dieser
Erklärung hoffe ich nicht mißverstanden zu werden, wenn ich
dennoch glaube, es sei, solange die Concessionirung von Bordellen
gesetzlich erlaubt ist, wider die den Gesetzen gebührende
Achtung, in unserm Staate drucken zu lassen: ,daß eine solche
Duldung der Bordelle nur durch eine Philistergesinnung
habe eingeführt werden können, und es scheint mir nöthig,
die Breslauer Censur auf eine vorsichtige, nicht Schüchternheit
aufregende Weise zu mehrerer Achtsamkeit aufzufordern.
Wäre eine solche Entscheidung in einem ähnlichen Falle früher
ergangen und hätte sie Brentano gekannt: wie würde sie seiner
Abhandlung als Zeichen echtester Philister-Gesinnung eingefügt
worden sein.
Sack
indessen war besser unterrichtet, als sein Staatsrath Hoffmann.
Er setzte unter die Eingabe am 13. Juli den Vermerk:
Da der Aufsatz qu. hier zuerst erschienen
und in das Breslauer Blatt bloß übernommen seyn soll, so ist
der Polizei-Präsident v. Schlechtendahl zu befragen,
ob er die Censur bewirkt habe, und warum er die vorgedachte
Stelle habe passiren lassen können. Schlechtendahl ließ
recherchiren und berichtete zurück, daß seine Polizeiorgane
nichts herausgebracht hätten. Worauf nun Sack ziemlich barsch
an Schlechtendahl zurückschrieb: Die Piece werde ja
öffentlich bei dem Kunsthändler Wittig in der Jägerstraße
verkauft, und rühre ohnehin aus der sogenannten deutschen
Gesellschaft, deren Vorsteher der Professor Fichte sein solle,
her. Wie man sieht: auch Sack stand den Personen und
Dingen noch ziemlich fern.
Nun
langte sich der Polizei-Präsident den Buchhändler <629:>
Wittig und den Censor für derartige Druckschriften
den Bibliothekar Biester. Der Letztere gab zu Protokall (23. August
1811): Es ist richtig, daß ich die Piece, betitelt Der
Philister censirt und derselben das Imprimatur gegeben
habe. Es war am Anfang des März d. J. Wer der Verfasser
dieser Schrift ist, weiß ich nicht. Der Herr Achim von Arnim
brachte mir das Manuscript, auf welchem ich nach vorgängiger
Prüfung des Inhalts das Imprimatur vermerkte, und hat hiernächst
der Herr von Arnim es wieder von mir abgeholt. Es hieß, daß
diese Piece für eine geschlossene Tisch-Gesellschaft bestimmt
sei, und daß dieselbe zum öffentlichen Debit nicht kommen
solle. Noch desselbigen Tages berichtete der Polizei-Präsident
seinem Chef: Das Resultat seiner Nachforschung sei,
daß der Wittig zwar keine Exemplare dieser Schrift zum Debit
mehr in Händen habe, daß aber der Verfasser derselben der
privatisirende Gelehrte Clemens Brantano (Mauerstraße 34)
und der Druck der 200 Exemplare in der Deckerschen Offizin,
mit Censur des Herrn Bibliothekar Biester, geschehen sei.
Sack fühlte, daß seine nachgeordneten Behörden sich in der
ganzen Angelegenheit unzulänglich bewiesen hatten, und er
verfügte (am 29. August 1811) an Schlechtendahl: nach
dem Berichteten sei, jedoch ohne besonderes Aufsehen, welches
diese eigentlich schon vergessene Sache nicht verdiene, dem
Kunsthändler Wittig der öffentliche Verkauf der noch übrigen
Exemplare zu untersagen. Das war wieder eine echte Philisterei:
denn Sack hielt die amtliche Auskunft in Händen, daß von den
200 Exemplaren kein einziges mehr im Buchhandel vorhanden
sei. Das Actenstück, dem ich folge, befindet sich auf dem
Geheimen Staats-Archive zu Berlin.
Jahrzehnte
ist nun vom Philister nicht mehr die Rede unter den Betheiligten.
Erst als am Ende der zwanziger Jahre eine Ausgabe der Schriften
Brentanos geplant wurde <630:> (die nicht zu Stande
kam), zog man wieder den Philister hervor. Aber Brentano empfand
jetzt anders, als früher. Er wünschte nicht mehr Kampf und
Abwehr, sondern Frieden. Was er einst in geselliger
Vertraulichkeit ausgelassen niedergeschrieben hatte,
schien ihm nicht mehr vor eine unbegrenzte Oeffentlichkeit
zu gehören. Er fürchtete jetzt, die Ironie der Abhandlung
könne schwächere Gemüther verletzen und ein Aergerniß geben,
das er vermeiden wollte. Er erklärte sich gegen den Abdruck.
Diese späteren Bedenken Brentanos bezeugen uns auch
die ursprüngliche Kampfesrichtung der Philisterabhandlung
und der christlich-deutschen Tischgesellschaft.
|