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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 630-632

4. Angriffe auf Achim von Arnim.


Mehr noch, als Brentano, war Achim von Arnim, weil er neben dem Schriftsteller ein märkischer Junker war und seine Meinung frei heraus sagte, bei den Gegnern verhaßt. Ihm grollten diejenigen Elemente zu Berlin, von denen die bürgerliche Gleichstellung der Juden leidenschaftlich und partheigemäß betrieben wurde. Wie hätte man ihm da die gegen entartete Eigenschaften bei Juden gerichteten Stellen der Gräfin Dolores, oder die jüdischen Geldgeschäfts- und Familienscenen in Halle und Jerusalem vergeben können? Arnim, als Dichter, wahrte sich die Herrschaft über alle Erscheinungen, die sein Auge sah. Gegen sein Gefühl der Wahrheit schied er keinen Theil derselben aus. Er, der das Böse der Zeit in allen Schichten seines Volkes, den Adelsstand nicht ausgenommen, furchtlosen Kampfes zu überwinden trachtete: er hätte vor dem, was ihm bei Juden unerträglich erschien, die Waffe senken sollen? Heute erscheinen uns diese Stellen seiner Werke als culturhistorische Bilder, die wir nicht entbehren möchten. <631:> Damals sind sie erregten Elementen Steine gewesen, an denen sie sich stießen, und wofür sie sich zu rächen suchten.
Nicht bloß, daß das Morgenblatt wüthend über Halle und Jerusalem, zugleich auch über Brentano, Görres und Jacob Grimm’s Meistergesang herfiel: plötzlich tauchte auch, im Sommer 1811, ein vom Zaun gebrochener anonymer Angriff auf Arnim in der Jenaischen Allgemeinen Litteraturzeitung auf. Die Nummer 156, vom 10. Juli 1811, brachte eine Anzeige von Gilbert’s Annalen der Physik, die „von zwei Recensenten“, gezeichnet e*e*e et B, herrühren sollte. Arnim hatte anspruchslos, noch als Student und treuergebner Schüler Gilbert’s, an den Annalen mitarbeiten dürfen, und aus der ungeheuren Masse der in der langen Reihe der Jahresbände aufgespeicherten Abhandlungen holten sich die Recensenten jetzt gerade einen Arnim’schen Aufsatz vom Jahre 1799 heraus und knüpften an ihn (S. 68) folgende Betrachtungen: „Im 8. Bande ist ein Aufsatz des Herrn Acher von Arnim unter dem Titel: Ideen zu einer Theorie des Magneten, Rec. vorzüglich aufgefallen, da er, indem er ihn artistisch betrachtete, und von aller Subjectivität entkleidete, in ihm die Objectivität der mystischen Schule klar und rein dargestellt fand … Da die Sünde, nach dem Ausspruch dieser Schule, der größte Reiz für die Gottheit ist: so ist auch vielleicht die Unwissenheit etwas Gottwohlgefälliges; man muß dies wenigstens aus einigen Aeußerungen derselben schließen.“ Ohne diese Unwissenheit hätte Herr v. Arnim den ganzen Aufsatz nicht wohl schreiben können.
Ich habe nicht die geringste Ahnung, wer die Recensenten waren. Aber die Absicht, gedeckt durch Anonymität und durch die Autorität der Jenaischen Litteratur-Zeitung, Arnim um anderer Dinge willen einen Tritt zu geben, drängt sich jedem Leser auf. Es scheint, daß Arnim wußte, wer sein Gegner <632:> sei. Seine „Antikritik“, welche erst am 2. November im Intelligenzblatt der Jenaischen Litteratur-Zeitung, Nr. 72, zum Abdruck kam, deutet das genugsam an. Er weist zuvörderst darauf hin, daß es sich um einen vor zwölf Jahren von ihm als Student geschriebenen Aufsatz handle: „Uebertreibung ist stets das Schicksal der Ausschreiber gewesen, und wie der Recensent mir meinen Vornamen jüdisch verstümmelt, so verdirbt er Herrn Gilbert’s Untersuchung auf unchristliche Art, um mir in den Augen der alles und nichts glaubenden Welt zu schaden … Ich erkenne Gren und Hermbstädt dankbar als Lehrer, von einer mystischen Schule, die Recensent nennt, ist mir nirgends etwas vorgekommen.“ Arnim war also überzeugt, daß er es mit einem jüdischen Recensenten zu thun habe; die „jüdische Verstümmelung seines Vornamens“ zu Acher deutet wohl auf Ascher hin.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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