BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

[ ]


S

Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 609-612

1. Angriffe auf die christlich-deutsche Tischgesellschaft.


Die jüdischen Kreise waren über die christlich-deutsche Gesellschaft empört und suchten sie in Mißcredit zu setzen. Henriette Herz z. B. kam im Frühling 1811 nach Wien, und am 18. Mai schrieb Theodor Körner von da an seinen Vater (Wolf 4, 196), die Herz habe ihnen von einer altchristlichen Gesellschaft in Berlin erzählt, worin keine Juden geduldet würden, Arnim solle ein Mitglied sein. Zur journalistischen Befehdung aber schritt Saul Ascher.
Aus „Berlin im April“ erschien in den Miscellen 1811 Nr. 35 (1. Mai, S. 138) der „Ar.“ unterzeichnete Artikel: <610:> „Da ich von Gesellschaften und Verbindungen spreche, muß ich noch einer erwähnen, die sich seit einiger Zeit unter dem Namen deutsche christliche Gesellschaft gebildet haben soll. Sie soll freilich keine politische Tendenz haben, wie ihr Name auch anzudeuten scheint. Indeß enthalten ihre Statuten einige Curiosa, die über den Geist der zeitigen deutschen Kultur einige Winke zu geben vermögen. Eins ihrer Statute setzt nämlich fest, daß kein Jude, kein getaufter Jude und kein Nachkommen eines getauften Juden sogar, als Mitglied aufgenommen werden soll. Weiter kann doch wahrlich die Reinheit nicht getrieben werden! Wöchentlich versammeln sich die Mitglieder in einem eigends dazu bestimmten Lokal. Unter ihnen nannte man vorzüglich den Professor Brentano, einen Hrn. von Arnim, wahrscheinlich die Herausgeber des Wunderhorns. Bei den Zusammenkünften werden Abhandlungen vorgelesen, und man wird sich leicht von dem Geist derselben einen Begriff machen können, wenn, wie Ref. hinterbracht worden, Excerpte aus dem berüchtigten Eisenmenger von einem der Mitglieder der Gesellschaft zum besten gegeben worden. Es gehört doch gewiß einige Keckheit dazu, unter den Augen einer Regierung, die Europa das Muster der Toleranz und der Duldung gegeben, die eben begriffen ist, dem von ihr seit einem Jahrhundert gepflegten Keim der Duldung für alle Religionspartheien die Krone aufzusetzen, ein Institut solcher Art zu organisiren. Indeß was erlaubt sich die kindische Schwatzhaftigkeit einer faselnden Mystik nicht, der die Regierung Stillschweigen zu gebieten vielleicht unter ihrer Würde halten mag.“
Man erkennt, Saul Ascher hat, wenn auch aus gehöriger Entfernung, die Glocken läuten hören. Ob aus dem culturgeschichtlich doch äußerst wichtigen Werke des Heidelberger Pro- <611:> fessors Johann Andreas Eisenmenger, das den Titel „Entdecktes Judenthum“ führt, vorgelesen worden ist, weiß ich nicht. Möglich ist es schon. Clemens Brentano hat Eisenmenger’s Entdecktes Judenthum besessen, wie man aus dem Kataloge seiner und seines Bruders Christian Bibliothek, Köln 1853 S. 114, ersehen kann. Saul Ascher freilich hätte dieses Werk, das von ihm in einer eigenen Schrift befehdet worden war, am liebsten mit Stumpf und Stiel ausgerottet.
Die Verdächtigung der christlich-deutschen Tischgesellschaft wurde sogar in das Journal de l’Empire hineingespielt, aus dem es in die übrige Schaar abhängiger Zeitungen überging. Die aus „Berlin 2. mai 1811“ datirte Correspondenz erscheint in der Nummer vom 21. Mai im Journal de l’Empire und lautet: „Outre les associations secrètes que le gouvernement a supprimées dernièrement dès leur naissance, il vient de s’en former une qui auroit aussi le même sort, si son nom et sa nature ne prouvoient qu’elle n’a aucun rapport avec la politique; elle se donne le nom de Société chretienne allemande. Un de ses statuts porte qu’ aucun juif, quand même il seroit converti et baptisé, et qu’ aucun descendant d’un juif baptisé ne peut en être membre. Elle se rassemble toutes les semaines dans un local à ce destiné. Parmi ses membres, on nomme un professeur Brentano, et un M. Arnim qui est vraisemblablement l’auteur d’un ouvrage intitulé Wunderhorn (corne merveilleuse).“ Die französische Notiz steht in offenkundiger Abhängigkeit von Ascher’s Texte, dem die Ernennung Clemens Brentano’s zum Professor zu verdanken ist. Da der deutsche Text jedoch erst in der Schweiz am 1. Mai herauskam, die französische Version aber vom 2. Mai aus Berlin datirt, so kann Niemand in Berlin aus den Miscellen übersetzt haben, sondern Saul Ascher <612:> muß selber die Notiz in das Journal de l’Empire geliefert haben.
Ein Brief Ludolph Beckedorff’s an Arnim (aus dessen Nachlaß durch Varnhagen auf die Königliche Bibliothek Berlin gekommen) äußert sich zu diesen Angriffen. Beckedorff schrieb seinem „lieben und verehrten Tischgenossen“ aus Ballenstädt am 9. October 1811. Er empfehle ihm als einen guten Preußen und Deutschen den Ueberbringer des Briefes: „Sollte seine Anwesenheit gerade mit einer Tischversammlung zusammentreffen, so laden Sie ihn gefälligst ein, ein deutscher Gast zu sein. Ich habe, dem Morgenblatte zum Trotz, hier zu viel von unserm christlichen Vereine gesprochen, um nicht zu wünschen, daß ein Ballenstädter das Ding selbst mit ansähe. Empfehlen Sie mich dem Hufeisen angelegentlichst. Halten Sie sich nur brav und streitbar, vor allen Dingen aber lassen Sie sich ja nicht in gedruckten Wortwechsel mit dem Judenvolke ein. Das Zeug muß am Ende das Maul halten, wenn man nicht auf seinen lächerlichen Groll Achtung giebt.“ Diese unverblümten Worte zeigen, wie weit man gegenseitig gekommen war. Beckedorff hatte den Artikelschreiber also auch erkannt. Es ist von der christlich-deutschen Tischgesellschaft in der That weder jetzt noch später erwidert worden. Denn noch toller schrieb Saul Ascher, als er von der Existenz der aus der Tischgesellschaft hervorgegangenen Philisterabhandlung Kenntniß erhielt.

[ S ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]