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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 607-609

Neuntes Capitel.
Die letzten Kämpfe.


War die politisch unbequeme Kritik der Abendblätter durch Hardenberg erdrückt worden, so lebte die Opposition nichts desto weniger, ungeschrieben und ungedruckt, in den Kreisen Kleist’s und seiner Freunde fort. An der Tafel der christlich-deutschen Tischgesellschaft nahm man kein Blatt vor den Mund. Sie galt den Machthabern als die erneute Vereinigung der mißvergnügten Elemente, gegen die sich, weil sie gesellschaftlich geschlossen war, mit staatlichen Mitteln nicht gut einschreiten ließ. Willkommen konnte der Staatskanzlei die Preßfehde sein, die gegen die christlich-deutsche Tischgesellschaft von Denen, welche sie ausschloß, in Scene gesetzt wurde.
Der Hauptrufer in dem Streit war Saul Ascher. Dieser antinational und kosmopolitisch-französisch gesinnte „Privatgelehrte“ hatte bis dahin auf das schmählichste gegen die preußische Regierung geschrieben und war – ich berichte auf Grund der Acten des Geheimen Staats-Archivs – im Sommer 1810 „wegen seiner bösartigen Schriftstellerei in auswärtigen Zeitungen“ verhaftet und zur Untersuchung gezogen worden. Er correspondirte hauptsächlich in zwei wichtige süd- <608:> deutsche Journale, in das Stuttgarter Morgenblatt und in Heinrich Zschokke’s Miscellen für die neueste Weltkunde; auch der rheinbündische Nürnberger Korrespondent stand ihm offen. Das Morgenblatt war ein rationalistisches, die Miscellen ein kosmopolitisch-französirendes Blatt. Zschokke und Ascher kannten sich seit ihren Jugendjahren von Landsberg a. W. her; Zschokke erzählt in seiner Selbstschau (1, 38), wie er dort von Ascher in das eigenthümliche Leben jüdischer Haushaltungen, in Mosaismus und Talmudismus eingeweiht worden sei. In jene Journale paßten die Aufsätze, die Saul Ascher schrieb. Sowie Hardenberg die Geschäfte übernahm, schlug Ascher mit feiner Witterung für das zukünftig zu Erwartende um. Der Staatskanzler war klug genug, sich die Federn, die er brauchte, zu beschaffen. Er ließ sich mit Ascher persönlich ein. Ende October 1810 durfte dieser bei ihm um Niederschlagung des Processes einkommen. Schon zu Anfang des Jahres 1811 war er so weit, daß er (12. Januar 1811) ein Seiner Excellenz gewidmetes Werk überreichen durfte, worauf er (3. Februar) aus der Staatskanzlei eine gewogene Antwort empfing\*\.
In den von der christlich-deutschen Tischgesellschaft abgelehnten Kreisen wuchs das Mißbehagen und der Groll über den Bestand einer solchen Vereinigung. Denn allmählich <609:> sickerte durch, was in ihr vorging. So scharf, wie in der Theorie, schieden sich im praktischen Leben die Gegensätze nicht. Es fanden hier und da Grenzberührungen Statt, die unvermeidlich waren. Rechnete man unter die „Philister“ auch die neuen Gesetzgeber in Preußen, die Staatskanzlei, ja Hardenberg selber: so konnte doch Niemand von ihnen der Regierung, so prall und patzig wie es Marwitz wirklich that, den Rücken kehren. Der Adel unterhielt geschäftliche Verbindung mit den Juden, und besuchte, obwohl er ihre Gesinnung und Erwerbsgeschicklichkeit mißachtete, einzelne jüdische Salons der Hauptstadt. Die Juden wiederum strebten nach äußerem Verkehr mit dem Adel, dessen bloße Existenz doch für sie eine Hinderung ihrer Emancipation bedeutete, und suchten sich seine Lebensart und Formen anzueignen. Die mit Rahel Lewin zusammenhängenden Briefwechsel reden eine verständliche Sprache dem, der kein Interesse daran hat, die Dinge zu verschieben; und Varnhagen’s Schriftstellerei zeigt, was sich aus unklaren Verhältnissen machen läßt.

\*\ Später wurde er wieder abgeschüttelt. Er sandte nämlich im Juli 1811 eine so gehässige Correspondenz über die Aufhebung des Grafen Finkenstein, Marwitz &c. wegen der Lebuser Eingabe in den Nürnberger Korrespondenten, daß sich die Staatskanzlei zu einer Berichtigung entschließen mußte: Darin heißt es: „Was das revolutionäre und verbrecherische Licht betrifft, welches der erwähnte Zeitungsartikel auf den ganzen Vorgang hat werfen wollen, so reicht es hin, zu bemerken, daß dieser Artikel von einem völlig ununterrichteten jüdischen Instructor, Namens Saul Ascher, herrührt, der vor einem Jahre wegen ähnlicher, durch auswärtige Flugblätter verbreiteter Kalumnien, dem Stadtgefängnisse übergeben worden, und, wie sich zeigt, nur zu früh wieder daraus entlassen ist.“ (Oesterreichischer Beobachter 1811, Nr. 201.)

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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