BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

[ ]


S

Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 595-599

22. Wassermänner und Sirenen.


Ein anonymer Aufsatz im 30. und 31. Abendblatt, vom 5. und 6. Februar 1811, den ich Kleist beilege: seinen Schriften fehlt er noch.
Gotthilf Heinrich Schubert erklärt in seiner Elften Vorlesung: „Bemerkenswerth sind immer, und nicht ohne Weiteres <596:> wegzuläugnen, jene merkwürdigen Seebewohnenden Wesen, welche durch ihre Menschenähnlichkeit nicht blos vor Zeiten die Sage von Sirenen und Seemenschen veranlaßten; sondern diese Sage noch immer von Zeit zu Zeit auffrischen und erneuern … Der beim Felsen Diamant von einer ganzen Seemannschaft – die dies nachher eidlich aussagte – beobachtete, sogenannte Seemensch, war gewiß kein Lamantin, und der von dem wackren Naturforscher Steller so genau und lange betrachtete Seeaffe, konnte auch beweisen, daß sich im großen weiten Meere noch eine ganze kleine Welt von sehr vollkommen organisirten Wesen, dem menschlichen Auge zu entziehen weiß. Andere, gar nicht seltene Fälle, wo die Beobachter zwar keine berühmten Naturforscher, aber auch ehrliche Leute mit gesunden Augen waren, brauchen hier gar nicht in Anschlag zu kommen.“ Es ist, als habe Kleist auch hier, im Allgemeinen mit Schubert Eines Sinnes, einzelne solcher Fälle dem Publicum der Abendblätter vorführen wollen.
Diese einzelnen Fälle sind aus Reisebeschreibungen gezogen. Der neapolitanische Nickel aber ließ sich nirgends von mir in Gehler’s physikalischem Lexikon antreffen: vielleicht hat Kleist sich in seiner Angabe geirrt. Mein eigentliches Interesse wandte sich der Frage zu, wie Kleist mit der Wiener Zeitung verfahren sei. Eine Abschrift\*\ zeigt mir, daß Kleist wieder verstanden hat, die rechten Mittel anzuwenden, um einem ihm fremden Schriftstück das Gepräge seiner eigenen Autorschaft aufzudrücken. <597:>

Wassermänner und Sirenen.

Abendblätter.
In der Wiener Zeitung vom 30. Juli 1803 wird erzählt, daß die Fischereipächter des Königssees in Ungarn mehrmals schon, bei ihrem Geschäft, eine Art nackten, wie sie sagten, vierfüßigen Geschöpfs bemerkt hatten, ohne daß sie unterscheiden konnten, von welcher Gattung es sei, indem es schnell, sobald jemand sich zeigte, vom Ufer ins Wasser lief und verschwand. Die Fischer lauerten endlich so lange, bis sie das vermeintliche Thier, im Frühling des Jahrs 1776, mit ihren ausgesetzten Netzen fiengen. Als sie nun desselben habhaft waren, sahen sie mit Erstaunen, daß es ein Mensch war. Sie schafften ihn sogleich nach Capuvar zu dem fürstlichen Verwalter. Dieser machte eine Anzeige davon an die fürstliche Direction, von welcher der Befehl ergieng, den Wassermann gut zu verwahren und ihn einem Trabanten zur Aufsicht zu übergeben. Derselbe mochte damals etwa 17 Jahr alt sein, seine Bildung war kräftig und wohlgestaltet, bloß die Hände und Füße waren krumm, weil er kroch; zwischen den Zehen und Fingern befand sich ein zartes, entenartiges Häutchen, er konnte, wie jedes Wasserthier, schwimmen, und der größte Theil des Körpers war mit Schuppen bedeckt.
Man lehrte ihn gehen, und gab ihm Anfangs nur rohe Fische und Krebse zur Nahrung, die er mit dem größesten Appetit verzehrte: auch füllte man einen <598:> großen Bottig mit Wasser an, in dem er sich mit großen Freudenbezeugunungen badete. Die Kleider waren ihm öfters zur Last und er warf sie weg, bis er sich nach und nach daran gewöhnte. An gekochte, grüne, Mehl- und Fleischspeisen hat man ihn nie recht gewöhnen können, denn sein Magen vertrug sie nicht; er lernte auch reden und sprach schon viele Worte aus, arbeitete fleißig, war gehorsam und zahm. Allein nach einer Zeit von drei Vierteljahren, wo man ihn nicht mehr so streng beobachtete, gieng er aus dem Schlosse über die Brücke, sah den mit Wasser angefüllten Schloßgraben, sprang mit seinen Kleidern hinein und verschwand.
Man traf sogleich alle Anstalten, um ihn wieder zu fangen, allein alles Nachsuchen war vergebens, und ob man ihn schon nach der Zeit, besonders bei dem Bau des Kanals durch den Königssee, im Jahr 1803, wiedergesehen hat, so hat man seiner doch nie wieder habhaft werden können.

Wiener Zeitung.
Im Frühling 1776 hatten die Pächter der Fischerei in dem Königssee mehrmal eine Art nackenden vierfüßigen Thieres bemerkt, ohne, weil es schnell von dem Ufer in das Wasser lief, und verschwand, unterscheiden zu können, was es sei? Die Fischer lauerten endlich so lange, bis sie mit ihren ausgesetzten Netzen so glücklich waren, das vermeinte Ungeheuer zu fangen. Allein da sie dessen habhaft waren, sahen sie mit Erstaunen, daß es ein Mensch sei, und den die Fischer auch sogleich nach Kapuvar zu dem fürstl. Verwalter brachten. Dieser machte die Anzeige an die fürstl. Direction, von welcher der Befehl ergieng, den Wassermann gut zu verwahren und ihn einem Trabanten zur Aufsicht zu übergeben. Dieser Mensch, damals ein Knabe von beiläufig 17 Jahren, hatte alle menschliche ordentlich gebildete Gliedmaßen, nur die Hände und Füße waren krumm, weil er kroch, zwischen den Fingern und Zehen befand sich zwar ein zartes entenartiges Häutchen, weil er schwamm, wie jedes Wasserthier, und der größte Theil des Körpers war mit Schuppen bedeckt.
Man lernte ihn gehen, und gab ihm Anfangs nur rohe Fische und Krebse zu seiner Nahrung, die er mit dem größten Appetit verzehrte; auch ward ein großer Bo- <598:> ding mit Wasser gefüllt, worin er mit ungemeiner Freudensbezeigung sich badete; die Kleider waren ihm öfters zur Last und er warf sie weg, bis er sie nach und nach gewöhnte. An gekochte grüne Mehl- oder Fleischspeisen hat man ihn nie recht gewöhnen können, denn sein Magen vertrug sie nicht; er lernte auch reden und sprach schon viele Worte verständlich aus, arbeitete fleißig, ward gehorsam und zahm. Nach einer Zeit von dreiviertel Jahren, wo man ihn nicht mehr so streng beobachtete, gieng er aus dem Schloß über die Brücke, sah den mit Wasser gefüllten Schloßgraben, sprang mit sammt seinen Kleidern hinein und verschwand. Es wurden sogleich alle Anstalten getroffen, um ihn wieder zu fangen, allein es war vergebens; gesehen hat man ihn wohl nach einer Zeit, jedoch seiner habhaft werden konnte man nicht mehr, vielleicht glückt es jetzt bei der Grabung des Canals, daß man diesen Wassermann wieder fängt.

Dieser Vorfall wirft Licht über manche, bisher für fabelhaft gehaltene, See-Erscheinungen, die man Sirenen nannte. So sah der Entdecker Grönlands Hudson, auf seiner zweiten Reise, am 15. Juni 1608 eine solche Sirene und die ganze Schiffsmannschaft sah sie mit ihm. Sie schwamm zur Seite des Schiffs und sah die Schiffsleute starr an. Vom Kopfe bis zum Unterleib gleich sie vollkommen einem Weibe von gewöhnlicher Statur. Ihre Haut war weiß; sie hatte lange, schwarze um die Schultern flatternde Haare. Wenn die Sirene sich umkehrte, so sahen die Schiffsleute ihren Fischschwanz, der mit dem eines Meerschweins viel Aehnlichkeit hatte, und wie ein Makrelenschwanz gefleckt war. – Nach einem wüthigen Sturm im Jahre 1740, der die holländischen Dämme von Westfriesland durchbrochen hatte, fand man auf den Wiesen <599:> eine sogenannte Sirene im Wasser. Man brachte sie nach Harlem, kleidete sie und lehrte sie spinnen. Sie nahm gewöhnliche Speise zu sich und lebte einige Jahre. Sprechen lernte sie nicht, ihre Töne glichen dem Aechzen eines Sterbenden. Immer zeigte sie den stärksten Trieb zum Wasser. – Im Jahr 1560 fiengen Fischer von der Insel Ceylan mehrere solcher Ungeheuer auf einmal im Netze. Dimas Bosquez von Valence, der sie untersuchte und einige, die gestorben waren, in Gegenwart mehrerer Missionaire anatomirte, fand alle inneren Theile mit dem menschlichen Körper sehr übereinstimmend. Sie hatten einen runden Kopf, große Augen, ein volles Gesicht, platte Wangen, eine aufgeworfene Nase, sehr weiße Zähne, gräuliche, manchmal bläuliche Haare, und einen langen grauen bis auf den Magen herabhangenden Bart. – Hierher gehört auch noch der sogenannten neapolitanische Fischnikkel, von welchem man in Gehlers physikalischem Lexikon eine authentische Beschreibung findet.

Aber außer Schubert muß ich hier noch einen zweiten Freund Kleist’s namhaft machen: Fouqué den Dichter der Undine. Die Undine erschien im Frühlingsheft der Jahreszeiten 1811. Durch sie führte Fouqué die Poesie des fließenden, rauschenden Wassers in die Romantik ein. Welcher von den Freunden, die den Winter 1810 auf 1811 in Berlin mit Fouqué und seiner Frau so oft zusammensaßen, wäre nicht über das Werden und das bevorstehende Erscheinen der Dichtung unterrichtet gewesen. Einem arbeitenden Menschen liegt, was seine Freunde thun und dichten, wie eigne Arbeit an dem Herzen; er fühlt sich zur Theilnahme in irgend einer Form gedrungen. Und so glaube ich, daß die Wassermänner und Sirenen, die schon längst bei Kleist sich eingefunden hatten, deswegen in den Abendblättern gerade jetzt sich zeigten, weil Undine sie, sich zur Gesellschaft, hervorgelockt hatte.

\*\ die ich der Direction der k. k. Universitäts-Bibliothek in Wien verdanke, gleichwie ich Herrn Director Dr. Gloßy für die Herleihung Wiener Zeitungen verpflichtet bin.

[ S ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]