Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart:
Spemann 1901), 589-595
21. Ueber den Zustand der Schwarzen
in Amerika.
Die Verlobung in St. Domingo
führt in Land und Sitten amerikanischer Neger ein. Beträchtliche
Vorstudien waren nöthig gewesen. Dahin gehört auch die Lectüre
und anonyme Besprechung eines Buches im 10. und 12. Abendblatt,
vom 12. bis 15. Januar 1811: die, wie ich darthun will,
von Kleist geschrieben ist. Ich lasse das bisher unbekannte
Stück folgen.
Ueber den Zustand der
Schwarzen in Amerika.
In dem Werk: A Voyage to the Demerary, containing a statistical account of the
settlements there, and of those of the Essequebo, the Berbice and other contiguous rivers
of Guyana, by Henri Bolingbroke, London, 1810. sind merkwürdige Nachrichten über
den Zustand und die Behandlung der dortigen Neger enthalten.
Während meines
Aufenthaltes zu Demerary, sagt der Vf., hatte ich Gelegenheit, mehrere Mal die
Eigenthümer der reichen Zuckerplantagen zu Reynestein zu besuchen. So oft ich dies that,
benutzte ich dieselbe, mich von dem Zustande und der Arbeit, welche den Negern, in diesen
weitläuftigen Pflanzungen auferlegt ist, zu unterrichten. Von England hatte ich den Wahn
mitgebracht, die Neger wären dergestalt gegen ihre Herren erbittert, daß diese
schlechthin kein Zutrauen gegen sie hättten; das Leben eines Weißen glaubte ich einer
ununterbrochenen Gefahr ausgesetzt und meinte, die Häuser der Europäer wären, aus
Furcht und <590:> Besorgniß, lauter kleine Citadellen. Wie groß war mein
Erstaunen, zu finden, daß die Schwarzen zu Demerary selbst die Behüter ihrer Herren und
ihres Eigenthums sind!
Ich bemerkte, am Abend meiner
Ankunft, mehrere große Feuer, welche auf manchen Punkten der Pflanzung, auf die Art, wie
man einander Signale zu geben pflegt, angezündet waren. Auf meine betroffene Frage an den
Holländer, der mich empfangen hatte: was dies zu bedeuten habe? antwortete er mir: daß
dies eben soviel Negerposten wären, welche ausgestellt wären und sich ablösten,
um, während der Nacht, die Diebstähle zu verhüten. Ich hörte sie, bis zum Anbruch des
Tages, Patrouillen machen, und sich eine Art von Parole zurufen, wie in einem Lager. (Alls
well!) In Folge dieser Maaßregel stehen, während der Nacht, alle Thüren der
Häuser offen, ohne daß sich der mindeste Diebstahl ereignete.
Ich habe mehrere
amerikanische Inseln, als Grenada, St. Christoph &c. besucht, und überall den
Zustand der Neger nicht nur erträglich, sondern sogar so angenehm gefunden, als es, unter
solchen Umständen, nur immer möglich ist.
Die Neger begeben sich, in
der Regel, ein wenig vor Aufgang der Sonne, an ihre Arbeit; man giebt ihnen eine halbe
Stunde zum Frühstücken und zwei Stunden zum Mittagsessen. Sie sind nicht träge bei der
Arbeit, aber ungeschickt; und ein englischer Tagelöhner würde in einem Tage mehr
leisten, als der fleißigste Schwarze.
Jeder Neger bekommt einen
Quadratstrich Erdreichs, den er, nach seiner Laune und seinem Gutdünken, bewirthschaften
kann. Sie gewinnen darauf, wenigstens zweimal des Jahrs, Mais, Ertoffeln, Spinat &c.
Die Geschickteren Ananas, Melonen &c. Alle Produkte, die sie auf ihren Feldern
erzielen, haben sie das Recht, zu verkaufen; ein Erwerb, der bei weitem beträchtlicher
ist, als der Erwerb auch des thätigsten Tagelöhners in Europa. Niemals sieht man, unter
diesen Negern Bettler, oder Gestalten so elender und jämmerlicher Art, wie sie Einem in
Großbrittannien und Irrland begegnen.
Alle Schwarze werden in
Krankheiten gepflegt; besonders aber die Weiber derselben während ihrer Niederkunft.
Jedem Weibe, das in Wochen liegt, wird eine Hebamme und eine Wärterinn zugeordnet; man
fordert auch nicht die mindeste Arbeit von ihr, bis sie völlig wieder hergestellt ist. Ueberhaupt
aber dürfen die Weiber nicht in schlechtem Wetter arbeiten: ein Aufseher, der zu strenge
gegen sie wäre, würde weggejagt und nirgends wieder angestellt werden. Auf den Mord
steht unerbittlich der Tod.
Seitdem die Engländer
Meister vom holländischen Guyana sind, <591:> haben sie eine große Menge freier
Schwarzen und Halbneger ins Land gezogen, welche (als Schuster, Schneider, Zimmermeister,
Maurer) Professionen betreiben. Diese Menschen arbeiten anfänglich unter der Anleitung
englischer und schottischer Meister; nachher werden sie selbst gebraucht, um die jungen
Schwarzen zu unterrichten. Man hat bemerkt, daß diejenigen, die aus den Völkerschaften
von Congo und Elbo abstammen, geschickter und gelehriger sind, als die übrigen Afrikaner.
Der Verf. war jedesmal bei
der Ankunft eines Fahrzeuges mit Negern und bei dem Verkauf derselben gegenwärtig.
Gewöhnlich sind auf Anstiften der Herren die Schwarzen alsdann in dem sogenannten
Verkaufssaal versammelt; sie tanzen und singen, und man giebt ihnen zu essen. Der Verf.
bemerkte bei einer solchen Gelegenheit zwei Knaben unter den Angekommenen, die, ohne Theil
an der Lustbarkeit zu nehmen, traurig und nachdenkend in der Ferne standen. Er näherte
sich ihnen freundlich, und sprach mit ihnen; worauf der Aeltere von beiden, mehr durch
Zeichen, als durch das schlechte Englisch, das er, während seiner Ueberfahrt, gelernt
hatte, ihm zu verstehen gab: sein Camerad habe eine entsetzliche Furcht davor, verkauft zu
werden, weil er meine, daß man sie nur kaufe, um sie zu essen. Herr B. nahm den
Knaben bei der Hand, und führte ihn auf den Hof; er gab ihm einen Hammer, und bemühte
sich, ihm verständlich zu machen, daß man ihn brauchen würde, Holz, zum Bau der Schiffe
und Häuser, zu bezimmern. Der Knabe that, mit einem fragenden Blick, mehrere Schläge auf
das Holz; und da er sich überzeugt hatte, daß er recht gehört habe, sprang er und sang,
mit einer ausschweifenden Freude; kehrte aber plötzlich traurig zur Hrn. B. zurück,
und legte ihm seinen Finger auf den Mund, gleichsam, um ihn zu fragen, ob er auch ihn
nicht essen würde. Hr. B. nahm darauf ein Brod und ein Stück Fleisch, und bedeutete
ihm, daß dies die gewöhnliche Nahrung der Europäer sei; er ergriff den Arm des Knaben,
führte ihn an seinen Mund, und stieß ihn, mit dem Ausdruck des Abscheus und des Ekels,
wieder von sich. Der junge Afrikaner verstand ihn vollkommen; er stürzte sich zu seinen
Füßen, und stand nur auf, um zu tanzen und zu singen, mit einer Ausgelassenheit und
Fröhlichkeit, die Hr. B. ein besonderes Vergnügen hatte, zu beobachten.
Ich komme noch einmal, sagt
der Verf. am Schluß, zu meinem Lieblingsgedanken zurück, nämlich für die Erneuerung
und den Wachsthum der schwarzen Bevölkerung in den Colonien der Inseln und des Continents
von Europa\*\ Sorge zu tragen. Man müßte
Neger, welche während zwanzig Jahre Beweise an Treue und Anhänglichkeit in den
europäischen <592:> Niederlassungen gegeben haben, nach den Küsten von Afrika
zurückschicken. Ich zweifle nicht, daß diese Emissarien ganze Völkerschaften, die ihnen
freiwillig folgten, mitbringen würden: so erträglich ist der Zustand der Neger in
Amerika im Vergleich mit dem Elend, dem sie unter der grimmigen Herrschaft ihrer
einheimischen Despoten ausgesetzt sind.
Es giebt damals kein Buch, das dermaßen in die Zeitungs-Oeffentlichkeit gedrungen wäre,
wie das Werk Bolingbrokes. Alle europäischen, wie die deutschen Journale brachten
Artikel. Ich habe zuletzt aufgehört, sie mir zu notiren. Aber sehr bedauere ich, daß das
Buch weder in Berlin noch in Göttingen vorhanden, und unzugänglich ist. Neben dem Reiz
der Darstellung, muß die Sicherheit, mit der ein sachkundiger Mann, wie Bolingbroke, die
Lage der englischen Colonien und den Zustand der erwerbenden wie arbeitenden Bevölkerung,
den landläufigen Anschauungen entgegen, als glänzend darthat, geradezu verblüfft haben.
Die Blätter nahmen, je nach ihrer politischen Haltung, eine verschiedene Stellung zu dem
Buche ein. Den französisch gesinnten war eine so blühende Schilderung britischer
Zustände unbequem; die für Humanität und Freiheit schwärmenden Zeitungsschreiber
konnten nicht begreifen, wie ein Mensch, selbst als Sklave gekauft und als Sklave
arbeitend, in erträglicheren Verhältnissen leben solle, als ein völlig freier, mit
neueuropäischem Segen beglückter Arbeiter.
Kleist ließ sich den
Vortheil, den er für seine und seiner politischen Freunde Haltung aus dem Buche ersehen
mußte, nicht entgehen. Die Vertheidigung der allgemein verrufenen amerikanischen
Sklavenverhältnisse bedeutete, ins Preußische übersetzt, die Vertheidigung
althergebrachter, patriarchalischer Hörigkeit. Die Hörigkeit hatte man, in den damaligen
Kämpfen, oft sogar der amerikanischen Sklaverei gleich gesetzt. Soeben waren, viel
bemerkt, früher geschriebene Briefe Kraus <593:> an Hans von Auerswald
hervorgetreten. Da (S. 226) exemplificirt Kraus, westpreußische
Besiedelungsverhältnisse besprechend, auf die englischen Pflanzer in Westindien, die eine
ähnliche Berechnung gelehrt habe, daß es vortheilhafter sei, die Sklaven lieber
nicht alt werden und sich nicht begatten zu lassen, sondern ihre Kräfte aufs stärkste
und schnellste zu benutzen (wenn sie dann auch vor der Zeit hinstürben) und sie immer
durch Ankauf von frischen Negern zu ersetzen, als sie zu schonen und sich vermehren zu
lassen; ebenso scharf äußert sich Kraus über die kaltherzig vorherberechnete
Mortalität der Schwarzen auf ihrem Transporte nach Westindien hinüber. Durch
Bolingbrokes Werk wurde nun die entgegengesetzte Beweisführung möglich gemacht;
ich glaube, daß Kleist, gerade im Hinblick auf Kraus, die Auswahl aus dem Werke getroffen
hat. Es wäre zu sonderbar, wenn hier ein bloßes Spiel des Zufalls gewaltet haben sollte.
Nehmen wir hinzu, daß das Buch die Position Englands moralisch stärkte, die
Napoleons aber in den großen Wirthschafts-Kämpfen schwächte: so wird begreiflich,
warum Kleist seinen Lesern den Aufsatz über den Zustand der Schwarzen in
Amerika vorlegte.
Und wie hat Kleist
geschrieben! Vergleiche ich z. B. die beiden umfangreichen Aufsätze über
Bolingbroke in Archenholtz Minerva (1810, Februar und November): welch ein
Unterschied zu Gunsten Kleists! Der Nürnberger Korrespondent bespricht, in der
letzten Nummer des Jahres 1810, das Buch ebenfalls: man vergleiche Stellen wie
Die Neger bewachen ihre
Herren. Sie zünden bei Nacht große Feuer bei der Wohnung an, stellen ihre Posten aus,
die sich regelmäßig ablösen. Die Hausthüren bleiben immer offen.
oder:
Wenn ein Neger krank wird, so
wird er sehr gut gepflegt; vorzügliche Sorgfalt erhalten die schwarzen Wöchnerinnen. Man
hält ihnen eine Wehemutter und eine Wächterin, und sie dürfen nicht eher arbeiten,
<594:> als bis sie ganz wieder hergestellt sind. Während des Regens dürfen die
Neger nicht arbeiten. Der Mord eines Sklaven würde mit dem Tode bestraft.
mit den entsprechenden Sätzen Kleists, um den Abstand der Berichte von einander zu
empfinden.
Die Schreibart des Stückes
läßt schon viele Eigenschaften des guten Kleistischen Prosastiles erkennen. Einige
Beispiele seien dafür beigebracht. Kleist treibt die Dinge oft bis zu einem Puncte
vorwärts, wo er, unerwartet, das Gegentheil von dem einfallen läßt, worauf er das
Gefühl des Lesers sorgsam hingewendet hat; er besitzt dafür bestimmte Formen, die
wiederkehren. Z. B. Aber wer beschreibt das Entsetzen (Erstaunen) der armen Frau
&c. (allein im Zweikampf 1811, S. 188, 214, 142 u. f.); im Kohlhaas
aber (1810, S. 11) Wie groß war aber sein Erstaunen: genau so, wie
Kleist, am Ende des ersten Absatzes, Bolingbroke wie groß war mein Erstaunen
&c. sagen läßt. Kleist baut häufig Perioden so, daß er in den
Vordersatz eine kurze Frage, und in den Nachsatz eine kurze Antwort einschließt; z. B. in
der Heiligen Cäcilie Auf die erstaunte Frage der Nonnen: wo sie
herkomme?
antwortete sie: gleichviel, Freundinnen, gleichviel!
&c.; im Zweikampf aber (1811, S. 173) haben wir den Satzaufbau: Auf
die betroffene Frage des Ritters, ob
, antwortete der Graf: ja! &c.
die selbst bis auf das Lieblingswort betroffen genau übereinstimmende
Parallele zu der Ausdrucksweise des obigen zweiten Absatzes: Auf meine betroffene
Frage
, was &c.
, antwortete er mir &c.
Dem im Zweikampf verwundeten Herrn Friedrich (1811, S. 208) hatte man Aerzte
zugeordnet: so werden den Negerfrauen, oben, Hebammen und Wärterinnen
zugeordnet. Anbruch des Tages ist der ständige, nur
bisweilen mit Einbruch wechselnde, Aus- <595:> druck in den Erzählungen
Kleists. Von dem Worte ausschweifen macht Kleist einen
doppelten, im deutschen Wörterbuche nicht gebuchten Gebrauch: erstens in unsrem heutigen
Sinne, z. B. zweimal im Zweikampf trotz der freien und ausschweifenden
Lebensweise des Grafen und die Folgen ihres ausschweifenden Lebens, dann
aber in der Bedeutung einer extremen Steigerung einer an sich lobenswerthen Eigenschaft,
wie z. B. die Welt würde Kohlhaasens Andenken haben segnen müssen, wenn er in
einer Tugend nicht ausgeschweift hätte (1810, S. 2), oder in der
Heiligen Cäcilie (1811, S. 142) liegen die vier gottverdammten Brüder an der
Ausschweifung einer religiösen Idee krank. Genau so, heißt es oben, sprang und
sang der Negerknabe mit einer ausschweifenden Freude. Ich
gehe diesen Beobachtungen, die sich auch auf die Orthographie erstrecken könnten, nicht
weiter nach, mache aber auf die Wiederbelebung des Wortes bezimmern, das das
deutsche Wörterbuch nur aus älterer Zeit in diesem Sinne belegt, und auf den Plural
Neger aufmerksam, dem in der Verlobung in St. Domingo die Nominativform
Negern gegenübersteht. Was die vorgebrachten Beispiele als Einzelmomente
erhärten möchten, der Gesammteindruck des Aufsatzes aber dem Leser unmittelbar bewähren
wird, ist: daß der Stil dieses Artikels schon nahe an den Stil der letzten
Prosaerzählungen Kleists heranreicht.
\*\ Europa ist Sinn- oder
Setzer-Fehler für Amerika.
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