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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 583-585

17. Beispiel einer unerhörten Mordbrennerei.


Die Unwahrscheinlichen Wahrhaftigkeiten, der Neujahrswunsch, die Briefe und andere von den vorher besprochenen Aufsätzen haben da, wo sie ursprünglich in den Abendblättern stehen, die Bestimmung, dem einzelnen Blatte, hinter dem Depeschenmateriale, einen allgemein-interessirenden Abschluß zu geben. Zuweilen treten, anstatt eines längeren, zwei kürzere Aufsätze ein. Dies ist der Fall im 6. und 7. Abendblatt, vom 8. und 9. Januar 1811: das sechste enthält „Mordbrennerei“ und „Prophezeihung“, das siebente „Mutterliebe“ und „Naturgeschichte“. Ich halte diese vier anonymen Stücke für eigene Arbeiten Kleist’s.
Eine Entscheidung ist nicht leicht zu treffen. Denn da Kleist fremde Aufsätze auswärtiger Zeitungen, wenn sie ihm werthvoll erschienen und sorgfältig geschrieben waren, stillschweigend in seine Abendblätter übernahm, so ist die Möglichkeit des Irrens immerfort für uns vorhanden. Jacob Grimm hat z. B. auf dem Deckel seines Exemplars der Abendblätter aus sprachlichem Interesse zwei an sich beachtenswerthe Artikel, eine Erörterung des Sprichwortes „Verbessert durch Johann Ballhorn“, sowie einen merkwürdigen Prozeß über den Stadtpfarren und Stadtfarren ausgezeichnet. Aber dennoch gehören sie nicht Kleist. Ich fand beide wörtlich vorher im Nürnberger Korrespondenten vom 31. Januar 1810 (Nr. 365) und vom 5. Januar 1811 (Nr. 5). Derartiges habe <584:> ich mir in zahllosen Fällen notirt. Es würde zwecklos sein, diese massenhaften Nachweise hier schon auszubreiten; ich muß das auf eine andre Gelegenheit versparen. Die vier obigen Stücke aber sind mir in keiner Zeitung von damals begegnet. Sie fehlen noch, bis auf eins, den Schriften Kleist’s.

Beispiel einer unerhörten Mordbrennerei.
Als vor einiger Zeit die Gegend von Berlin von jener berüchtigten Mordbrennerbande heimgesucht ward, war jedem Gemüthe, das Ehrfurcht vor göttlicher und menschlicher Ordnung hat, die entsetzliche Barbarei dieser Gräuel unbegreiflich; und doch war es noch wenigstens nur, um zu stehlen. Was wird man nun zu einem Rechtsfall sagen, der im Jahr 1808 bei dem Kriminalgericht zu Rouen Statt hatte? Daselbst ward die Todesstrafe, der Mordbrennerei wegen, über einen Mann verhängt, der bis in sein 60stes Jahr für einen rechtschaffenen Mann gegolten und die Achtung aller seiner Mitbürger genossen hatte. Johann Mauconduit, Bauer zu Hattenville, war sein Name. Von bloßem Vergnügen an Mordbrennerei geleitet, hatte er, seit längerer Zeit, hie und da Gebäude in Brand gesteckt, ohne daß es jemand einfiel, ihn deshalb als den Thäter anzusehen. Er hatte eine eigene Maschine erfunden, die sich vermittelst einer Batterie entzündete, und warf sie auf die Häuser, denen er den Brand zugedacht hatte. Innerhalb 8 Monaten hatte er nicht weniger als zehnmal dieses Verbrechen begangen, und zuletzt seine eigene Wohnung in Brand gesteckt: er wußte wohl, daß der Besitzer des Grundstücks verpflichtet war, ihm eine neue zu bauen. Aber da fand man in einem seiner Schränke dergleichen Zündmaschinen, wie man schon öfters, in Fällen, wo sie nicht losgebrannt waren, auf den Dächern der Häuser gefunden hatte; und so klärten sich eine Menge anderer Zeugnisse gegen ihn auf, so, daß er sich endlich zu alle den Feuersbrünsten als Urheber angeben mußte, welche in seiner Nachbarschaft vorgefallen waren.

Das Schriftstück ist also, ähnlich wie die „Werther“-Geschichte, aus Anlaß der Berliner Localereignisse, von denen so oft in den Abendblättern die Rede war, und die auch Brentano in seinem Gedichte benutzte (oben S. 438), verfaßt worden. Ein Berliner hat es für Berliner geschrieben. Daß Kleist es war, bewähre folgende Beobachtung. Der Verfasser <585:> ruft als Instanz gegen die entsetzliche Barbarei der Mordbrenner die „Ehrfurcht vor göttlicher und menschlicher Ordnung“ auf: ebenso sagt Kleist in der Verlobung zu St. Domingo, die Engel selbst würden „zur Aufrechthaltung menschlicher und göttlicher Ordnung“ die Sache der Verrathenen nehmen. Beide Male auch, bemerke man, ohne den bestimmten Artikel! Das Beispiel von Rouen muß natürlich französischer Herkunft sein: aber Uebersetzung ist es anscheinend nicht, sondern eigene Darstellung Heinrich’s von Kleist.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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