Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 578-580
13. Von der Ueberlegung.
Eine
Paradoxe.
Dieser Artikel steht im 59. Abendblatt vom 7. December
1810, ist x gezeichnet und findet sich bereits
in Kleists Schriften. Kleist überträgt, was er über Wissen
und Schaffen allgemein ausführte, hier auf das Militärische.
Der Nutzen der Ueberlegung, den man in alle Himmel
rühme, bestreitet er. Er fordert erst die That. Die Ueberlegung
finde ihren Zeitpunct weit schicklicher nach, als vor der That.
Als Deutscher gedenke er dereinst seinem Sohne, besonders wenn
er sich zum Soldaten bestimmen sollte, in diesem Sinne eine
Rede zu halten. So tief steckte Kleist das Militärische in den
Gliedern!
14. Neujahrswunsch für 1811.
In militärischer Einkleidung brachte Kleist seinen Lesern einen
Neujahrsgruß. Er faßte ihn in der Sprache eines Feuerwerkers
Friedericianischer Zeit, glorreichen Angedenkens, ab, die er
selber erst romantisch sich für seine Zwecke schuf, ohne daß
sie jemals so dagewesen wäre. Der Glückwunsch, bisher nicht
gekannt, steht im 3. Abendblatt vom 4. Januar 1811
und lautet:
Neujahrswunsch
eines Feuerwerkers an seinen Hauptmann,
aus dem siebenjährigen Kriege.
Hochwohlgeborner Herr,
Hochzuehrender, Hochgebietender, Vester und
Strenger Herr Hauptmann!
Sintemal und alldieweil
und gleichwie, wenn die ungestüme Wasserfluth und deren schäumende
Wellen einer ganzen Stadt Untergang und Verwüstung drohen,
und dann der zitternde Bürger mit Rettungswerkzeugen herzu
eilet und rennt, um wo möglich den rauschenden, brausenden
und erzürnten Fluthen Einhalt zu thun: so und nicht anders
eile ich <579:> Ew. Hochwohlgeboren bei dem jetzigen
Jahreswechsel von der Unverbesserlichkeit meiner, Ihnen gewidmeten
Ergebenheit bereitwilligst und dienstbeflissentlichst zu versichern
und zu überzeugen und dabei meinem Hochgeehrten Herrn Hauptmann
ein ganzes Arsenal voll aller Glückseligkeit des menschlichen
Lebens erforderlichen Bedürfnisse anzuwünschen.
Es müsse meinem Hochgeehrtesten Herrn Hauptmann weder an Pulver
der edlen Gesundheit, noch an den Kugeln eines immerwährenden
Vergnügens, weder an Bomben der Zufriedenheit, weder an Carcassen
der Gemüthsruhe, noch an der Lunte eines langen Lebens ermangeln.
Es müssen die Feinde unsrer Ruhe, die Pandurenmäßigen Sorgen,
sich nimmer der Citadelle Ihres Herzens nähern; ja, es müsse
ihnen gelingen, die Trancheen ihrer Kränkungen vor der Redoute
ihrer Lustempfindungen zu öffnen. Das Glacis Ihres Wohlergehns
sei bis in das späteste Alter mit den Pallisaden des Seegens
verwahrt, und die Sturmleitern des Kummers müssen vergebens
an das Ravelin Ihrer Freude gelegt werden. Es müssen Ew. Hochwohlgeboren
alle, bei dem beschwerlichen Marsch dieses Lebens vorkommende,
Defiléen ohne Verlust und Schaden passiren, und fehle es zu
keiner Zeit, weder der Cavallerie Ihrer Wünsche, noch der
Infanterie Ihrer Hoffnungen, noch der reitenden Artillerie
Ihrer Projecte an dem Proviant und den Munitionen eines glücklichen
Erfolgs. Uebrigens ermangle ich auch nicht, das Gewehr meiner
mit scharfen Patronen geladenen Dankbarkeit zu der Salve Ihres
gütigen Wohlwollens loszuschießen, und mit ganzen Pelotons
der Erkenntlichkeit durch zu chargiren. Ich verabscheue die
Handgriffe der Falschheit, ich mache den Pfanndeckel der Verstellung
ab, und dringe mit aufgepflanztem Bajonet meiner ergebensten
Bitte in das Bataillon Quarré Ihrer Freundschaft ein, um dieselbe
zu forciren, daß sie mir den Wahlplatz Ihrer Gewogenheit überlassen
müsse, wo ich mich zu mainteniren suchen werde, bis die unvermeidliche
Mine des Todes ihren Effect thut, und mich, nicht in die Luft
sprengen, wohl aber in die dunkle Casematte des Grabes einquartiren
wird. Bis dahin verharre ich meines
Hochzuehrenden
Herrn Hauptmanns
respectmäßiger
Diener N. N.
Die Sprache, die Kleist absichtlich in das Ungewöhnliche versetzt,
ist mit der größten Sorgfalt durchgearbeitet. Sie tritt nirgends,
in Nachbildung der von Kleist gerühmten Shakespeareschen
Eigenschaft, aus der Sphäre eines Feuerwerkers heraus. Man
kann dies Spiel der Dinge und Worte, in geringerem Umfange,
schon im Gebet des Zoroaster beobachten. <580:> Aber
nicht die feierliche Stimmung desselben, sondern ein leichter
Humor beherrscht den Neujahrswunsch, aus dem jedoch mit ernsten
Augen die Absicht Kleists hervorblickt, den Geist altpreußischer
Zuversicht und Soldatentreue in seinem Volke wach zu halten.
|