BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

[ ]


S

Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 574-577

12. Uralte Reichstagsfeierlichkeit, oder Kampf der Blinden mit dem Schweine.


Wie das vorige Schriftstück, giebt auch die obige Erzählung im 42. Abendblatte, vom 17. November 1810, die Gemeinnützigen Unterhaltungs-Blätter als Quelle an. Und in der That, sie beruht auf deren 43. Nummer vom 27. Ocotber 1810, wo sie „Der Kampf der Blinden mit dem Schweine“ betitelt und als „ein alt-deutscher Schwank“ bezeichnet ist. Würde nichts die Quelle andeuten, so müßte man wegen des Stiles auf die Meinung kommen, man habe es mit einem Originalartikel Kleist’s zu thun. Mit welchen, gelinden und energischeren, Mitteln Kleist diesen Eindruck hervorbringt, durchschaut man erst, wenn man die beiden Gestalten dieses Aufsatzes neben einander vergleichen kann: <575:>

Gem. Unterh.-Blätter.
Der Kaiser Maximilian der Erste hielt einmal zu Augsburg einen Reichstag, um die Stände zu einem Türkenzuge zu bewegen. Fürsten und Adel ergötzten sich mit mancherlei ritterlichen Spielen. Aber eine eigene Belustigung für den Kayser hatte sich Kunz von der Rosen, Maximilians Hofnarr sowohl als Obrist, ausgedacht. Einen Schwank, in welchem die damalige Zeit wohl nur das Lächerliche allein auffand, unsere Leser aber auch wohl manches finden werden, was keineswegs lächerlich ist.

Kleist
Als Kaiser Maximilian der Erste zu Augsburg, um die Stände zu einem Türkenkriege zu bewegen, einen Reichstag hielt, ergötzten sich Fürsten und Adel mit mancherlei ritterlichen Spielen. Aber eine eigene Belustigung für den Kaiser hatte sich Kunz von der Rosen, Maximilians Hofnarr sowohl als Obrist ausgedacht.

Auf dem Weinmarkt wurden starke Schranken geschlagen und in der Mitte des dadurch eingeschlossenen Platzes ein Pfahl befestigt, an welchem an einem langen Strick ein fettes Schwein gebunden war. Es traten aber auch zwölf Blinde in die Schranken, aus den niedrigsten Ständen, jeder mit einem Prügel bewaffnet und angethan mit einem alten rostigen Harnisch, um gegen das Schwein zu kämpfen. Kunz von der Rosen hatte verheißen, daß demjenigen Blinden das Schwein gehören würde, der so glücklich wäre, es mit seinem Prügel zu erlegen.

Auf dem Weinmarkt nämlich, in der Mitte eines von starken Schranken eingeschlossenen Platzes, ward ein Pfahl befestigt; an dem Pfahl aber, vermittelst eines langen Stricks, ein fettes Schwein gebunden. Zwölf Blinde, arme Leute, mit einem Prügel bewaffnet, eine Pickelhaube auf, und von Kopf zu Fuß in altes rostiges Eisen gesteckt, traten nun in die Schranken, um gegen das Schwein zu kämpfen; denn Kunz von der Rosen hatte versprochen, daß demjenigen das Schwein gehören solle, der es erlegen würde.

Die Blinden hatten sich in einen Kreis stellen müssen, und da nun, wie bey einem Ritterspiel, trompetet wurde, gieng der Angriff an. Die Blinden tappten auf den Punkt zu, wo die Sau auf etwas Stroh lag und grunzte. Jetzt empfieng <576:> diese einen Streich und fieng an zu schreien und fuhr dabey einem oder zwey Blinden zwischen die Füße und warf die Blinden um. Diese trafen im Fallen auf einige Andere und warfen diese mit um. Die übrigen Stehenden, welche die Sau grunzen und schreien hörten, eilten auch hinzu, schlugen tapfer darauf los und trafen weit eher einen Mitkämpfer, als die Sau. Der Mitkämpfer schlug auf den Angreifer ärgerlich zurück und ein Dritter, der von ihrem Hader nichts wußte, meinte freilich, die Beiden schlügen auf das Schwein und half denn auch nach Herzenslust, mit zuschlagen. Zuweilen waren die Blinden alle mit ihren Prügeln aneinander und arbeiteten so grimmig auf die Pickelhauben der Mitkämpfer, daß es klang, als wären Kesselschmiede und Pfannenflicker in ihren Werkstätten geschäftig. Die Sau, welche den Vortheil hatte, gut sehen, und den Streichen ausweichen zu können, fieng indessen an zu gröllen. Das brachte die Blinden schnell voneinander. Sie giengen auf das Schwein zu, welches sich unterdessen schon wieder eine andre Stelle suchte, gegen die Prügel sicher zu seyn. Bei dem Hineilen zu dem Schweine stießen die Blinden aneinander; Einige fielen über den Strick, an welchen die Sau gelegt war. Mancher lief zu weit, kam an die Schranken und führte auf diese einen gewaltigen Streich. Ein Andrer glaubte, die Sau gewiß zu <577:> haben, hob mit beiden Armen den Prügel und traf das Pflaster so heftig, daß die Waffe ihm aus den Händen fiel, die er mit großer Mühe und vielfältig vergeblichem Tappen dann wieder suchte, indessen ein Anderer dachte, das Schwein kraspele hier, und ihm einen derben Hieb versetzte. Man sieht wohl, wie Noth es that, daß die Blinden so gut geharnischt waren.

Drauf, nachdem die Blinden sich in einen Kreis gestellt, geht, auf einen Trompetenstoß, der Angriff an. Die Blinden tappten auf den Punct zu, wo die Sau auf etwas Stroh lag und grunzte. Jetzt empfing diese <576:> einen Streich und fing an zu schreien und fuhr dabei einem oder zwei Blinden zwischen die Füße und warf die Blinden um.

Die übrigen, auf der Seite stehenden, welche die Sau grunzen und schreien hörten, eilten auch hinzu, schlugen tapfer darauf los und trafen eben so oft einen Mitkämpfer, als die Sau. Der Mitkämpfer schlug auf den Angreifer, dem er nichts gethan hatte, ärgerlich zurück; und endlich schlug gar ein Dritter, der von ihrem Hader nichts wußte, indem er meinte, sie schlügen auf das Schwein, auf beide los. Zuweilen waren die Blinden alle mit ihren Prügeln an einander und arbeiteten so grimmig auf die Pickelhauben der Mitkämpfer los, daß es klang, als wären Kesselschmiede und Pfannenflicker in Eisenhütten und Werkstätten geschäftig. Die Sau, welche den Vortheil hatte, gut zu sehen und den Streichen ausweichen zu können, fing indessen an, zu gröllen. Auf dies Gegröll spitzen die Blinden die Ohren; sie verlassen einander und gehen, mit ihren Prügeln, auf das Schwein zu. Aber dies hat sich indessen schon wieder einen andern Platz gesucht; und die Blinden stoßen aneinander, sie fallen über das Seil, woran das Schwein festgebunden ist, sie berühren die Schranke, und führen, weil sie glauben, <577:> das Schwein getroffen zu haben, einen ungeheuren Schlag darauf.

An zwey Stunden hatte das Spiel gedauert und Alle waren völlig von Kräften. Da gelang es denn doch einem Blinden, das Schwein mit mehrern gut angebrachten Prügelstreichen zu erlegen, und ihm wurde dasselbe denn auch zu Theil. Nichts von dem Jubel der Zuschauer, die aus allen Ständen in unglaublicher Anzahl vorhanden waren. Aber es darf nicht unerwähnt bleiben, daß man den blinden Kämpfern des Abends ein herrliches Gastmahl gab. Freilich hatte der Eine einen mit Blut unterlaufenen Kopf; der Andere da und dort und ein Dritter hinkte. Die Meisten mochten beschädigt seyn. Indessen beym Mahle dachte Keiner an seinen Schmerz, sondern alle waren wohlgemuthet und lustig.

Endlich nach vielen Stunden vergeblichen Suchens, gelingt es Einem: er trifft das Schwein mit dem Prügel auf die Schnauze; es fällt – und ein unendliches Jubelgeschrei erhebt sich. Er wird zum Sieger ausgerufen, das Schwein ihm, vom Kampfherold zuerkannt; und blutrünstig

und unterlaufen, wie sie sein mögen, setzen sie sich, sammt und sonders, an einem herrlichen Gastmahl nieder, das die Feierlichkeit beschließt.

Aus dem Verhältniß beider Texte tritt Kleist’s Arbeitsweise lehrreich für uns hervor. Nicht nur die von ihm gestrichenen, sondern auch die beibehaltenen oder umgeformten Stellen sind beachtenswerth. So verfuhr Kleist auch mit fremden Manuscripten, die ihm zukamen.
Unter seine Parerga würde die uralte Reichstagsfeierlichkeit zu setzen sein.

[ S ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]