Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart:
Spemann 1901), 553-557
8. Brief eines Dichters an einen
andern.
Ein zweites Schriftstück Kleists zur poetischen Selbstvertheidigung: im
4. Abendblatt vom 5. Januar 1811. Bereits in Kleists Werke eingereiht:
aber ohne die verbessernde <554:> Hülfe der von Kleist selbst angemerkten
Sinnentstellenden Druckfehler\*\.
Diese litterarische Epistel
steht genau so, wie die Epistel eines Malers an seinen Sohn (oben S. 268): in beiden
kämpft Kleist gegen Schule, Schulzwang, Schuläußerlichkeit, in Kunst wie in Litteratur.
Daher auch die große Aehnlichkeit der Diction in beiden Briefen. Der Maler an seinen
Sohn: Laß dir
sagen, daß dies eine falsche, dir von der Schule, aus
der du herstammst, anklebende Begeisterung ist der Dichter: diese
Unempfindlichkeit gegen
Poesie klebt Deinem Gemüth überhaupt, meine ich, von
der Schule an, aus welcher Du stammst. Solche Gleichkänge helfen uns für den
Brief eines Dichters, der mit Ny (wohl verdruckt für Xy) gezeichnet ist,
Kleists Autorschaft sichern. Wieder in anscheinend allgemeinen Sätzen die
allerpersönlichste Confession und Selbstvertheidigung Kleists. Auf den Gedanken
allein komme ihm Alles an; nur damit der <555:> Gedanke erscheinen (d. h. in
Erscheinung treten) könne, bediene er sich nothgedrungen des gröberen, körperlichen
Materials, der Sprache, von welcher Metrum, Rhythmus, Wohlklang unerläßliche
Eigenschaften seien; seine Kunst gehe auf nichts, als diese Dinge möglichst verschwinden
zu machen.
Kleist stellte sich mit
diesen Grundsätzen einer Gegnerschaft gegenüber, die, ohne daß er sie bezeichnete, doch
hinlänglich erkennbar war. Sie bestand aus denjenigen Leuten, denen umgekehrt das Wort,
die Form, der Rhythmus die Hauptsache war. Diese Gegner bildeten die herrschende Parthei,
die auf Lehrstühlen und in autoritativer Stellung das entscheidende Wort zu sprechen
hatte. Durch Abfassung des Malerbriefes wie des Dichterbriefes erklärte sich Kleist
gewissermaßen als Secessionisten. Und wie er dort den Akademiker Weitsch im Auge hatte,
so blickte er hier einem anderen Akademiker scharf in das Gesicht: Friedrich August Wolf.
In der Berliner Akademie der
Wissenschaften hielt Wolf zur Gedächtnißfeier Friedrichs des Zweiten die Vorlesung
über ein Wort Friedrichs II. von deutscher Verskunst, die dann mit
einer Vorrede vom 6. Februar 1811 im Druck erschien. Wolf sprach, äußerlich
betrachtet, sich nach Kleist über die Dinge aus: was aber gar nichts auf sich hat.
Fertige Leute, wie Kleist und Wolf, zwischen denen zumal ein fortwährendes Vernehmen hin-
und wiederlief, kannten gründlich und genau ihre Stellung in bewegenden Fragen, auch ohne
daß Gedrucktes darüber vorlag. Seit Klopstocks Gelehrtenrepublik waren formale
Erwägungen über Sprache und Sprachrhythmus bei uns im Schwange. Vossens
Homerübersetzung schien denen, die die antike Rhythmik für möglich und nöthig in
deutscher Sprache hielten, den Beweis für die Richtigkeit ihrer Forderung erbracht zu
haben: eine gefährlich kühne Minderheit dagegen sah Vossens Versuch, <556:> wegen
unmöglicher Wortbildungen und unmöglicher Wortrhythmen, als mißlungen an. Man versteht
das Interesse für diese Fragen in einer Zeit, die die Blüthe der deutschen
Uebersetzungskunst hervorrief, und in der jeder Uebersetzer sich mit der Frage theoretisch
und praktisch abfinden mußte, wie nah oder wie fern er seinem Original treten dürfe.
Eben noch, 1808, hatte Solger in der Vorrede zum Sophokles, 1810 Graf Friedrich Leopold
Stolberg im Vaterländischen Museum, jeder aus seinem Standpunkte, die Frage erörtert:
Stolberg zugleich die deutsche Sprache im nationalpatriotischen Sinne preisend. Kleist
benutzte das Vaterländische Museum und empfahl es in den Abendblättern seinem Publicum.
Wunderbar, wie sich gewisse Ausführungen Stolbergs mit denen Kleists in dem
Aufsatze über Wissen, Schaffen, Zerstören, Erhalten decken. Stolberg betont
die Mängel unsres Wissens: Kennten wir den Bau unsers Leibes, wie ein Meister sein
Werk, so würden wir uns dennoch, ohne den Finger Gottes, beim Wunsche der Anwendung
unserer Kenntniß, in der Verlegenheit des Archimedes finden, der die Erde mit Hebeln
bewegen wollte, wenn ihm ein Standort, auf die Erde zu wirken, vergönnet würde.
Fast ebenso Kleist, auf das Wissen spöttelnd (unten S. 567): Laßt doch einmal
nur einen solchen Sternschnuppen herabfallen vom Firmament, mit allen eurem physicalischen
und mechanischen Apparat, mit dem ihr die Erde aus den Angeln rücken würdet, wenn sich
nur ein fester Standpunkt fände. Auch ohne daß ich solchen Stellen unbedingte
Beweiskraft zusprechen wollte, kann ich sagen: Kleist hatte Stolbergs Aufsatz
gelesen. Der Aufsatz war litterarisch aufgefallen. Auch Wolf hat in seiner Abhandlung ihn
berücksichtigt.
Wolf, wie gesagt, nimmt
seinen Ausgang von Friedrich dem Großen. Friedrich, ein elegisches Gedicht des von
<557:> Ramler der Feile gewürdigten Dichtes Götz beurtheilend, habe gesagt, der
reimlose Vers aus einer Mischung von Daktylen und Spondeen entspreche unserem Idiom am
meisten. Wolf verficht die Anwendbarkeit der antiken Rhythmen auf unsere Sprache, mit
verbindlichen Artigkeiten gegen Voß und mit ziemlich kühler Absage an die moderne Schule
und die neuen Volksliederbestrebungen (S. 36). Unsere Dichter, deren wir mehr
vorzügliche hätten als erträgliche Verskünstler, so gern sie in Versen dichteten,
eiferten hierin den Alten zu wenig nach: Deshalb (sagt er) klagen über diejenigen
Dichter, die noch am meisten für das Volk arbeiten, schon lange unsere Schauspieler, daß
sie von ihnen viel zu wenig zu thun bekommen. Das konnte Kleist, wenn er wollte, mit
auf sich beziehen. Wolf, der Gelehrte, wollte Studium, formales Studium, auch im modernen
poetischen Schaffen wahrnehmen. Möge Friedrichs Ahndung (sagt er am
Schlusse), wem sie werth ist, eine Sanction immer gelehrterer Bemühungen werden. Es
war ein Haupttrumpf von Wolf, Friedrich den Großen Denen als litterarisches Muster
vorzuhalten, die im politischen Kampfe auf Friedrichs Geist sich beriefen.
In diesen Strömungen will
Kleist feste Stellung nehmen. Dazu schrieb er den Brief eines Dichters an den andern. Wie
tritt Kleist aus jedem schulgemäßen Herkommen heraus! Rhythmus und Metrik und Wohlklang
erklärt er für nothwendige Uebel, die Sprache sogar (wie einst Goethe) für den
gröberen Stoff! Der Geist ist allein sein Element. Wir empfinden, wie Kleist sich zu dem
Höchsten, das die Menschheit besitzt, emporringen möchte.
\*\ Am Schlusse des
7. Abendblattes, vom 9. Januar 1811, bekennt Kleist folgende
Sinnentstellende
Druckfehler in Nr. 4 des Abendblatts.
Seite 14, Zeile 9 von unten [Zolling 4, 30226], hinter
Beredsamkeit, lies: über die Form;
15, 16 von oben [Zolling 4, 30312],
statt Rnde, lies Rede.
16 und 17, statt des Rythmus, Wohlklangs, lies Rythmus,
Wohlklang.
Obwohl diese Berichtigung
nicht ganz correct ist, so glaube ich doch, die von Kleist ursprünglich gewollte Fassung
der betroffenen Sätze folgender Maßen herstellen zu müssen:
Jüngsthin
verbreitetest Du Dich, mit außerordentlicher Beredsamkeit, über die Form; und, unter
beifälligen Rückblicken, über die Schule, nach der ich mich
gebildet
habe.
Darum bediene ich mich,
wenn ich mich Dir mittheilen will, und nur darum bedarfst Du, um mich zu verstehen, der
Rede. Sprache, Rhythmus, Wohlklang u. s. w. [und] so reizend diese Dinge
auch
sein mögen, so sind sie doch
nichts, als ein
Uebelstand.
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