Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 536-545
3. Der Zweikampf.
Der Zweikampf ist die letzte Erzählung des zweiten Theiles
von 1811: eine durch des Dichters Kunst glaubhaft gemachte
Ver- und Entwirrung seltsam zusammentreffender Begebenheiten,
in deren Mitte, nicht in augenblicklicher Entscheidung, sondern
in allmählicher Bewährung der Wahrheit, das Gottesurtheil
eines Zweikampfes tritt. Zwei Dinge, die ursprünglich nichts
mit einander zu thun hatten, sind zu der Einheit der Erzählung
zusammengearbeitet. Erstens die Ermordung des Herzogs von
Breisach, zu der sein Bruder, Graf Jacob der Rothbart, sechs
Wochen vorher den Mörder wirklich gedungen hatte; und
zweitens die Beschimpfung der edlen Frau Littegarde, deren
Gunst Graf Jacob in derselben Nacht erfahren zu haben glaubte.
Zur Entehrung, die er thatsächlich nicht begangen hatte, bekennt
er sich aus freien Stücken, um die Anstiftung zum Morde von
sich abzuwälzen. Die Wahrheit in beiden Fällen an den Tag
zu bringen, ist die complicirte Aufgabe dieser Erzählung.
Wenn wir nun bedenken, wie Kleists künstlerisches Bedürfniß
im Bettelweib oder in der <537:> Heiligen Cäcilie sich
Personen und Umstände frei erfand, so würde es als aussichtslos
erscheinen müssen, beim Zweikampf ohne Hülfsmittel zu den
Anfängen der Arbeit vorzudringen. Die Abendblätter aber gewähren
uns wieder die Hülfe, die wir brauchen.
Im 43. Abendblatt, vom 20. Februar 1811,
beginnt die Geschichte eines merkwürdigen Zweikampfes.
Obwohl anonym, hat sie doch Kleist zum Autor, wie sich zeigen
wird. Froissard erzählt diese Geschichte, und sie ist
Thatsache, bemerkt Kleist am Schlusse. Die Urquelle
war danach leicht zu bestimmen; man trifft sie am bequemsten
in Buchons Ausgabe der Chronik Froissards (1826)
19, 276. Froissard lebte vor und nach der Wende des 15. Jahrhunderts
und schrieb die Geschichte seiner Gegenwart, wie sie ihm von
denen, die die entscheidenden Dinge der Zeit mitgemacht hatten,
geschildert wurde. Er will Berichte geben, nicht Kritik. Sein
Werk, die Chronique de France, dAngleterre, dÉcosse,
dEspagne, de Bretagne, wurde früh in kostbaren
Pariser Drucken hergestellt. Das Exemplar, das Kleist wahrscheinlich
benutzte, war die große Folioausgabe, die der von ihm und
seinen Freunden verehrte greise Pastor Schmid 1803 der Königlichen
Bibliothek zu Berlin geschenkt hatte.
Daß Kleist auf Froissard kam, eröffnet uns wieder
Ausblicke auf die gegenseitigen Anregungen zwischen ihm und
den Heidelbergern. In Heidelberg hatten Arnim und Brentano
Froissard zuerst kennen und lieben gelernt. Dort arbeitete
sich damals wieder die Ueberzeugung empor, daß die Wissenschaft
ein heiliges, ewiges Gut sei, an dem der berufene Mensch in
Demuth sich zu betheiligen habe, das menschlich aber nicht
hervorgebracht werden könne. Diese offene Erhebung gegen die
noch herrschende Richtung, deren innere Unhaltbarkeit im Stillen
sich selbst ihre Anhänger eingestanden, ließ Heidelberg <538:>
so plötzlich und so glänzend vor den deutschen Universitäten
emporsteigen. Creuzer und Böckh haben, von diesem hohen Standpuncte
aus, ihre Reconstructionen des Alterthums unternommen. Als
vorbildliche Geschichtsschreibung galt den Heidelbergern,
im Gegensatz gegen die formalistische Compendienweisheit der
die Lehrstühle beherrschenden Historie, Johannes von Müllers
Schweizergeschichte und Froissards Geschichtschronik
Frankreichs. Arnim hat sich im Wintergarten, 1809, über diese
Dinge ausgesprochen. Nichts erscheine lächerlicher, sagt er,
als die kritischen Auszüge aus den Weltgeschichten, von deren
Zahlen und Ansichten keine einzige wahr sei. Unter den Einzelnheiten,
die diese Kritiker der Historie wie ausgedrückte Citronenhäute
wegwürfen, bliebe hingegen das Meiste unbezweifelbar und einzig
der Mühe werth, sich um die Vorzeit zu kümmern. Memoiren im
weitesten Sinne seien das Wesen, das Höchste der Geschichte.
Und als Beispiel, wie er es meine, giebt Arnim ein Geschichtsbild
nach Froissard, der rühmlicher Weise die Geschichte
wie Herodot ganz als Memoiren behandelt habe, und der als
Vorbild einer geheimen (d. h. einer der trügenden Zeitungsöffentlichkeit
entgegengesetzten) Geschichte seiner Gegenwart aufgestellt
werden könne. Arnim trägt die wunderbaren Abentheuer vor,
die Olivier Clisson, Kronfeldherr von Frankreich, und der
Herzog von Bretagne gegen und mit einander zu bestehen hatten.
Der Wintergarten führte damit fort, was 1808 die Einsiedlerzeitung
begonnen hatte. Clemens Brentano und Savigny, die Günderode
und Bettina, Arnim und die jugendlichen Brüder Grimm lasen
alle mit Entzücken damals Froissards Chronik. Der eigentliche
Uebersetzer unter ihnen war Clemens. In seiner Uebertragung
erschienen denn auch durch mehrere Nummern der Einsiedlerzeitung,
als Proben gewissermaßen die an die Quelle locken sollten,
die Abschnitte von dem Leben <539:> und Sterben des
Gaston Foix. Brentanos Uebersetzung fließt so rührend
einfach, wie die Sprache eines Kindes. Man merkt nicht, daß
man eine Uebersetzung vor sich hat. Und doch, wird das Original
zur Vergleichung herangezogen, so erstaunt man, wie eng und
wortgetreu sich Brentano seiner Vorlage angeschlossen hat.
Er liefert den Beweis dafür, daß eine gute Uebersetzung nicht
um jeden Preis auch eine freie Uebersetzung sein müsse. Brentano
findet hier bereits den Ton und den Stil, in dem er seine
Märchen, die Chronika eines fahrenden Schülers oder das Tagebuch
der Ahnfrau geschrieben hat. Ganz anders verfährt im Wintergarten
Arnim. Er ist der Darstellung Froissards nicht so treu
geblieben wie Clemens. Er bringt zusammen, was ihm für seinen
Zweck, ein Bild jener ganzen Zeit in dem einiger Männer und
eines ihrer wunderbarsten Abentheuer nachzuschaffen, tauglich
schien. Während Brentano die wunderbare Stimmung seines eigenen
Empfindens, eine Art lyrischen Elementes in seine Uebersetzung
fließen ließ, legte Arnim die Lebensskizze vom Kronfeldherrn
Olivier Clisson und dem Herzog von Bretagne in breiten, episch
fast zerfließenden Strichen an, sorglos um die Ausführung
des Einzelnen, das wieder Brentano auf das reizendste zu behandeln
liebte. Wenn nun Kleist ebenfalls auf Froissard kommt, so
werden wir auf inneren Zusammenhang schließen dürfen. Gleichwohl
kam der Anstoß zur Geschichte eines merkwürdigen Zweikampfes
von außen her.
Die Berliner Freunde hingen, wie wir sahen, mit den
in Hamburg erscheinenden Gemeinnützigen Unterhaltungs-Blättern
zusammen. In diesen findet sich, Nr. 16 vom 21. April
1810, der von C. Baechler gezeichnete Artikel Hildegard
von Carouge und Jacob der Graue, ohne daß Froissard
als Quelle angegeben wäre. Nur wer mit Froissard vertraut
war, konnte die Herkunft erkennen. Mit diesem Artikel deckt
<540:> sich nun genau dem Umfange nach Kleists
Geschichte eines merkwürdigen Zweikampfes, die,
weil sie sonst nicht zugänglich ist, ich zunächst hier folgen
lasse:
Geschichte eines merkwürdigen Zweikampfs.
Der Ritter Hans Carouge, Vasal des Grafen von Alenson, mußte
in häuslichen Angelegenheiten eine Reise übers Meer thun.
Seine junge und schöne Gemahlinn ließ er auf seiner Burg.
Ein anderer Vasal des Grafen, Jakob der Graue genannt, verliebte
sich in diese Dame auf das heftigste. Die Zeugen sagten vor
Gericht aus, daß er zu der und der Stunde, des und des Tages,
in dem und dem Monat, sich auf das Pferd des Grafen gesetzt,
und diese Dame zu Argenteuil, wo sie sich aufhielt, besucht
habe. Sie empfing ihn als den Gefährten ihres Mannes, und
als seinen Freund, und zeigte ihm das ganze Schloß. Er wollte
auch die Warte, oder den Wachthurm der Burg sehen, und die
Dame führte ihn selbst dahin, ohne sich von einem Bedienten
begleiten zu lassen.
Sobald sie im Thurm waren, verschloß Jakob, der sehr
stark war, die Thüre, nahm die Dame in seine Arme, und überließ
sich ganz seiner Leidenschaft. Jakob, Jakob, sagte die Dame
weinend, Du hast mich beschimpft, aber die Schmach wird auf
Dich zurückfallen, sobald mein Mann wiederkömmt. Jakob achtete
nicht viel auf diese Drohung, setzte sich auf sein Pferd,
und kehrte in vollem
Jagen zurück. Um vier Uhr des Morgens war er in der Burg gewesen,
und um neun Uhr desselben Morgens, erschien er auch beim Lever
des Grafen. Dieser Umstand muß wohl bemerkt werden.
Hans Carouge kam endlich von seiner Reise zurück, und seine
Frau empfing ihn mit den lebhaftesten Beweisen der Zärtlichkeit.
Aber des Abends, als Carouge sich in ihr Schlafgemach und
zu Bette begeben hatte, ging sie lange im Zimmer auf und nieder,
machte von Zeit zu Zeit das Zeichen des Kreuzes vor sich,
fiel zuletzt vor seinem Bette auf die Kniee, und erzählte
ihrem Manne, unter Thränen, was ihr begegnet war. Dieser wollte
es anfangs nicht glauben, doch endlich mußte er den Schwüren
und wiederholten Betheurungen seiner Gemahlinn trauen; und
nun beschäftigte ihn blos der Gedanke der Rache. Er versammelte
seine und seiner Frau Verwandte, und die Meinung aller ging
da hinaus, die Sache bei dem Grafen anzubringen, und ihm die
Entscheidung zu überlassen.
Der Graf ließ die Partheien vor sich kommen, hörte
ihre Gründe an, und nach vielem Hin- und Herstreiten fällte
er den Schluß, daß der Dame die ganze Geschichte geträumt
haben müsse, weil es unmöglich sei, daß ein Mensch 23 Meilen
zurücklegen, <541:> und auch die That, deren er beschuldigt
wurde, mit allen den Nebenumständen, in dem kurzen Zeitraum
von fünfthalb Stunden, begehen könne, welches die einzige
Zwischenzeit war, wo man den Jakob nicht im Schloß gesehen
hatte. Der Graf von Menso\*\
befahl also, daß man nicht weiter von der Sache sprechen sollte.
Aber der Ritter Carouge, der ein Mann von Herz, und sehr empfindlich
im Punkt der Ehre war, ließ es nicht bei dieser Entscheidung
bewenden, sondern machte die Sache vor dem Parlament zu Paris
anhängig. Dieses Tribunal erkannte auf einen Zweikampf. Der
König, der damals zu Sluys in Flandern war, sandte einen Kurier
mit dem Befehl ab, den Tag des Zweikampfs bis zu seiner Zurückkunft
zu verschieben, weil er selbst dabei zugegen sein wollte.
Die Herzoge von Berry, Burgund und Bourbon kamen ebenfalls
von Paris, um dies Schauspiel mit anzusehen. Man hatte zum
Kampfplatz den St. Katharinenplatz gewählt, und Gerüste
für die Zuschauer aufgebaut. Die Kämpfer erschienen vom Kopf
bis zu den Füßen gewaffnet. Die Dame saß auf einem Wagen,
und war ganz schwarz gekleidet. Ihr Mann näherte sich ihr
und sagte: Madame, in eurer Fehde, und auf eure Versicherung
schlage ich jetzt mein Leben in die Schanze, und fechte mit
Jakob dem Grauen; niemand weiß besser als ihr, ob meine Sache
gut und gerecht ist. Ritter, antwortete die Dame,
ihr könnt euch auf die Gerechtigkeit eurer Sache verlassen,
und mit Zuversicht in den Kampf gehen. Hierauf ergriff Carouge
ihre Hand, küßte sie, machte das Zeichen des Kreuzes, und
begab sich in die Schranken. Die Dame blieb während des Gefechts
im Gebet. Ihre Lage war kritisch; wurde Hans Carouge überwunden,
so wurde er gehangen, und sie ohne Barmherzigkeit verbrannt.
Als das Feld und die Sonne gehörig zwischen beiden Kämpfern
vertheilt war, sprengten sie an, und gingen mit der Lanze
aufeinander los. Aber sie waren beide zu geschickt, als daß
sie sich hätten was anhaben können. Sie stiegen also von ihren
Pferden, und griffen zum Schwerdt. Carouge wurde am Schenkel
verwundet; seine Freunde zitterten für ihn, und seine Frau
war mehr todt als lebendig. Aber er drang auf seinen Gegner
mit so vieler Wuth und Geschicklichkeit ein, daß er ihn zu
Boden warf, und ihm das Schwerdt in die Brust stieß. Hierauf
wandte er sich gegen die Zuschauer, und fragte sie mit lauter
Stimme: Ob er seine Schuldigkeit gethan habe? Alle antworteten
einstimmig, Ja! Sogleich bemächtigte sich der Scharfrichter
des Leichnams des Jakobs, und hing ihn an den Galgen. Ritter
Carouge warf sich dem König zu Füßen, der seine Tapferkeit
lobte, ihm auf der Stelle <542:> 1000 Livres auszahlen
ließ, einen lebenslänglichen Gehalt von 200 Livres aussetzte,
und seinen Sohn zum Kammerherrn ernannte. Carouge eilte nunmehr
zu seiner Frau, umarmte sie öffentlich, und begab sich mit
ihr in die Kirche, um Gott zu danken, und auf dem Altar zu
opfern. Froissard erzählt diese Geschichte, und sie ist Thatsache.
Man müßte, um das Entstehungs- und Abhängigkeits-Verhältniß
des vorstehenden Aufsatzes zu durchschauen, die drei Texte,
den Froissards, Baechlers und Kleists neben
einander vor den Augen haben: wie ich, während ich dies schreibe.
Im Druck läßt sich das nicht ermöglichen. Baechler hat für
seinen Zweck den Umfang des Originals auf ein Drittel oder
Viertel reducirt, und diese Reductionen sind meist durch Auslassung
entbehrlich erschienener Stellen, weniger durch Veränderungen,
erzielt worden. Beide Merkmale erbringen nun den Beweis der
Abhängigkeit Kleists von Baechler. Denn es ist eine
absolute Unmöglichkeit, daß innerhalb einer so umfangreichen,
schwierigen Originalstelle zwei Bearbeiter, unabhängig von
einander, genau dasselbe Verfahren einschlagen sollten. Die
Uebereinstimmung ist sachlicher wie sprachlicher Natur. Z. B.
der Eingang der Zweikampfgeschichte ließ sich unmöglich, wie
er bei Froissard lautet, geben. Sie mußte, aus dem Zusammenhang
gelöst, selbstständig eingeleitet werden. Baechler begann:
Der Ritter Johann von Carouge, Vasall des Grafen von
Alençon, war genöthigt, in seinen eigenen Angelegenheiten
eine bedeutende Seereise zu unternehmen. Wir lesen fast
dieselben Eingangsworte oben bei Kleist. Aber durch ihre Verschiedenheit
bewähren sie, daß Kleist den Froissard neben der verdeutschten
Vorlage mitbenutzt hat; denn er erst bringt Froissards
Sinn-Nuance de voyager oultremer
wieder in den deutschen Text hinein. Wie Hans Carouge von
seiner Reise zurückkam, da la dame sa femme
lui fit très bonne chère, erzählt Froissard; Baechler
überträgt: seine Gemahlin empfing ihn mit der innigsten
Zärtlichkeit; Kleist <543:> dagegen: seine
Frau empfing ihn mit den lebhaftesten Beweisen der Zärtlichkeit.
Der Beginn des Zweikampfes wird von Baechler, wie folgt, geschildert:
beide bestiegen die Streitrosse, die Kampfrichter theilten
Feld und Sonne, der Trompetenstoß schmetterte und wüthend
rannten die Kämpfer mit sausendem Speer auf einander ein
eine Schilderung, für die sich bei Froissard, außer ils
montèrent sur leurs chevaux und
joûtèrent
,
keine Unterlage findet. Kleist, wiewohl den Satz kürzend,
behielt das Bild von Feld und Sonne bei.
Ich beschränke mich auf diese (nur ihrer Kürze wegen)
ausgesuchten Beispiele, die das durchgehende Verhältniß
der beiden deutschen Texte zu einander darthun mögen. Kleist
drängt die Fülle noch mehr zusammen, er stilisirt bereits
in seinem Sinne. Schon bemerken wir auch die ersten Ansätze
zur novellistischen Construction des Kleist eigenthümlichen
Indicienbeweises. Ohne das Vorbild Froissards oder Baechlers
läßt er schon ziemlich früh die Zeugen auftreten, die vor
Gericht aussagen, daß Jakob der Graue die Dame zu der und
der Stunde besucht habe. Als Jakob, um 4 Uhr noch auf
der Burg, um 9 Uhr nach einem rasenden Ritte beim Lever
seines Grafen erscheint, schiebt allein Kleist das Sätzchen
ein: Dieser Umstand muß wohl bemerkt werden, gerade
wie er sonst den Leser (z. B. man muß wissen, daß)
mitten in der Darstellung subjectiv auf entscheidende Momente
aufmerksam zu machen liebt. Weiter ist er in der Hinsicht
aber noch nicht gegangen.
Diese Unfertigkeit brauchte für Kleist kein Grund
zu sein, das Schriftstück im Tagesbedürfniß eines Zeitungsunternehmens
nicht zu verwerthen. Es that auch so seine Wirkung. Ich finde,
daß es über einen Monat später zu Wien in Hormayrs angesehenem
Archiv für Geographie, Historie, Staats- <544:> und
Kriegskunst (Nr. 36 und 37, vom 25. und 27. März
1811) in wortgetreuem Abdruck wieder auftaucht, nur mit dem
gekürzten Titel: Ein merkwürdiger Zweykampf\*\. Indessen fühlte Kleist, daß
das Stück unverändert in seine Erzählungen nicht übergehen
dürfe. Den Stoff jedoch ließ er nicht fallen. Er complicirte
ihn vielmehr mit einer zweiten Geschichte und arbeitete ihn
so in die an Umfang, Situationen und Motiven unendlich reicher
ausgestattete Novelle Der Zweikampf ein. Die Entehrung
der Dame, der versuchte Alibibeweis, der Zweikampf, die Bestrafung
des Frevlers, die Vereinigung des Herrn und der Dame die für
einander gehören alle diese Momente sind aus Froissard,
nun aber eigenartig neu gewendet, in Kleists Erzählung
eingegangen. Jakob der Graue ist zu Jakob dem Rothbart umgeformt
(wohl weil kleine, röthlich überschattete Augen, dem gemeinen
Glauben zufolge, die Zeichen tückischen Charakters sind).
Die Dame, deren Namen bei Froissard überhaupt fehlt, bei Baechler
aber Hildegard heißt, heißt bei Kleist nicht ohne Anklang
an Hildegard: Littegarde. Sprachlich bemerken wir zwar
gleiche Wendungen, wie: von Kopf zu Fuß in schimmerndes
Erz gerüstet, oder während die Richter Licht und
Schatten zwischen den Kämpfern theilten. Aber im übrigen
scheint der Abstand hier am weitesten. Dies hat seinen guten
Grund. Kleists erste Niederschriften zeigen häufig einfache,
kurze Sätze, in denen sich das Bestreben kund giebt, die Dinge
möglichst rasch und glatt zu bewältigen. Dann erst tritt,
zu einer höheren Stufe, die kunstbewußte, subordinirende Stilisirung
der Sätze ein. Gerade bei dem Zweikampf läßt sich
der kunstbewußte Umbildungsproceß des Stiles sehr gut beobachten.
Der Zweikampf wurde, <545:> um Ostern 1811,
fertig geschrieben, nachdem die Sprache des Bettelweibes
und der Heiligen Cäcilie, durch die Neubearbeitung für die
Erzählungen, frisch auf Kleist gewirkt hatte.
Das Bettelweib wird auf Stroh, das man ihr unterschüttete,
gebettet; in der Heiligen Cäcilie begegnet die Wendung: Aber
wer beschreibt das Entsetzen der armen Frau, als sie
ihre wahnsinnigen Söhne wiedersieht. Ich stelle dazu einen
einzigen Satz des Zweikampfes in Parallele: Aber
wer beschreibt das Entsetzen der unglücklichen Littegarde,
als sie sich, bei dem an der Thür entstehenden Geräusch, mit
halb offner Brust und aufgelöstem Haar, von dem Stroh, das
ihr untergeschüttet war, erhob. Hier sieht man, wie
Kleists Novellenstil gleichsam von neuem auflebt und
den bis dahin fremden Stoff sich unterwirft. Jetzt erst hat
Kleist die freie Stellung, die sein poetisches Schaffen brauchte,
auch Froissard gegenüber sich erobert.
Arnims, Brentanos, Kleists und anderer
Uebertragungen aus Froissard sind vergessen heute, nur der
Litterarhistoriker braucht von ihnen Kenntniß zu nehmen. Kleists
dichterisches Kunstwerk aber, seine Novelle lebt und hört
nicht auf, das deutsche Publicum mit dem, was in Froissards
Chronik das Unvergängliche ist, fort und fort zu beschenken.
\*\ Menso
in den Abendblättern Setzerfehler für undeutlich geschriebenes
Alenson.
\*\ Sogar der Schreib-
oder Druckfehler Menso hat sich nicht verloren, ist aber weiter
zu Menjo verdorben worden.
Emendationen
und] nud D
beschenken.]
beschenken D
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