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                   Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe 
                    (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 536-545 
                     
                    3. Der Zweikampf. 
                     
                      
                    Der Zweikampf ist die letzte Erzählung des zweiten Theiles 
                    von 1811: eine durch des Dichters Kunst glaubhaft gemachte 
                    Ver- und Entwirrung seltsam zusammentreffender Begebenheiten, 
                    in deren Mitte, nicht in augenblicklicher Entscheidung, sondern 
                    in allmählicher Bewährung der Wahrheit, das Gottesurtheil 
                    eines Zweikampfes tritt. Zwei Dinge, die ursprünglich nichts 
                    mit einander zu thun hatten, sind zu der Einheit der Erzählung 
                    zusammengearbeitet. Erstens die Ermordung des Herzogs von 
                    Breisach, zu der sein Bruder, Graf Jacob der Rothbart, sechs 
                    Wochen vorher den Mörder wirklich gedungen hatte; und 
                    zweitens die Beschimpfung der edlen Frau Littegarde, deren 
                    Gunst Graf Jacob in derselben Nacht erfahren zu haben glaubte. 
                    Zur Entehrung, die er thatsächlich nicht begangen hatte, bekennt 
                    er sich aus freien Stücken, um die Anstiftung zum Morde von 
                    sich abzuwälzen. Die Wahrheit in beiden Fällen an den Tag 
                    zu bringen, ist die complicirte Aufgabe dieser Erzählung. 
                    Wenn wir nun bedenken, wie Kleists künstlerisches Bedürfniß 
                    im Bettelweib oder in der <537:> Heiligen Cäcilie sich 
                    Personen und Umstände frei erfand, so würde es als aussichtslos 
                    erscheinen müssen, beim Zweikampf ohne Hülfsmittel zu den 
                    Anfängen der Arbeit vorzudringen. Die Abendblätter aber gewähren 
                    uns wieder die Hülfe, die wir brauchen. 
                     Im 43. Abendblatt, vom 20. Februar 1811, 
                    beginnt die Geschichte eines merkwürdigen Zweikampfes. 
                    Obwohl anonym, hat sie doch Kleist zum Autor, wie sich zeigen 
                    wird. Froissard erzählt diese Geschichte, und sie ist 
                    Thatsache, bemerkt Kleist am Schlusse. Die Urquelle 
                    war danach leicht zu bestimmen; man trifft sie am bequemsten 
                    in Buchons Ausgabe der Chronik Froissards (1826) 
                    19, 276. Froissard lebte vor und nach der Wende des 15. Jahrhunderts 
                    und schrieb die Geschichte seiner Gegenwart, wie sie ihm von 
                    denen, die die entscheidenden Dinge der Zeit mitgemacht hatten, 
                    geschildert wurde. Er will Berichte geben, nicht Kritik. Sein 
                    Werk, die Chronique de France, dAngleterre, dÉcosse, 
                    dEspagne, de Bretagne, wurde früh in kostbaren 
                    Pariser Drucken hergestellt. Das Exemplar, das Kleist wahrscheinlich 
                    benutzte, war die große Folioausgabe, die der von ihm und 
                    seinen Freunden verehrte greise Pastor Schmid 1803 der Königlichen 
                    Bibliothek zu Berlin geschenkt hatte. 
                     Daß Kleist auf Froissard kam, eröffnet uns wieder 
                    Ausblicke auf die gegenseitigen Anregungen zwischen ihm und 
                    den Heidelbergern. In Heidelberg hatten Arnim und Brentano 
                    Froissard zuerst kennen und lieben gelernt. Dort arbeitete 
                    sich damals wieder die Ueberzeugung empor, daß die Wissenschaft 
                    ein heiliges, ewiges Gut sei, an dem der berufene Mensch in 
                    Demuth sich zu betheiligen habe, das menschlich aber nicht 
                    hervorgebracht werden könne. Diese offene Erhebung gegen die 
                    noch herrschende Richtung, deren innere Unhaltbarkeit im Stillen 
                    sich selbst ihre Anhänger eingestanden, ließ Heidelberg <538:> 
                    so plötzlich und so glänzend vor den deutschen Universitäten 
                    emporsteigen. Creuzer und Böckh haben, von diesem hohen Standpuncte 
                    aus, ihre Reconstructionen des Alterthums unternommen. Als 
                    vorbildliche Geschichtsschreibung galt den Heidelbergern, 
                    im Gegensatz gegen die formalistische Compendienweisheit der 
                    die Lehrstühle beherrschenden Historie, Johannes von Müllers 
                    Schweizergeschichte und  Froissards Geschichtschronik 
                    Frankreichs. Arnim hat sich im Wintergarten, 1809, über diese 
                    Dinge ausgesprochen. Nichts erscheine lächerlicher, sagt er, 
                    als die kritischen Auszüge aus den Weltgeschichten, von deren 
                    Zahlen und Ansichten keine einzige wahr sei. Unter den Einzelnheiten, 
                    die diese Kritiker der Historie wie ausgedrückte Citronenhäute 
                    wegwürfen, bliebe hingegen das Meiste unbezweifelbar und einzig 
                    der Mühe werth, sich um die Vorzeit zu kümmern. Memoiren im 
                    weitesten Sinne seien das Wesen, das Höchste der Geschichte. 
                    Und als Beispiel, wie er es meine, giebt Arnim ein Geschichtsbild 
                    nach  Froissard, der rühmlicher Weise die Geschichte 
                    wie Herodot ganz als Memoiren behandelt habe, und der als 
                    Vorbild einer geheimen (d. h. einer der trügenden Zeitungsöffentlichkeit 
                    entgegengesetzten) Geschichte seiner Gegenwart aufgestellt 
                    werden könne. Arnim trägt die wunderbaren Abentheuer vor, 
                    die Olivier Clisson, Kronfeldherr von Frankreich, und der 
                    Herzog von Bretagne gegen und mit einander zu bestehen hatten. 
                     Der Wintergarten führte damit fort, was 1808 die Einsiedlerzeitung 
                    begonnen hatte. Clemens Brentano und Savigny, die Günderode 
                    und Bettina, Arnim und die jugendlichen Brüder Grimm lasen 
                    alle mit Entzücken damals Froissards Chronik. Der eigentliche 
                    Uebersetzer unter ihnen war Clemens. In seiner Uebertragung 
                    erschienen denn auch durch mehrere Nummern der Einsiedlerzeitung, 
                    als Proben gewissermaßen die an die Quelle locken sollten, 
                    die Abschnitte von dem Leben <539:> und Sterben des 
                    Gaston Foix. Brentanos Uebersetzung fließt so rührend 
                    einfach, wie die Sprache eines Kindes. Man merkt nicht, daß 
                    man eine Uebersetzung vor sich hat. Und doch, wird das Original 
                    zur Vergleichung herangezogen, so erstaunt man, wie eng und 
                    wortgetreu sich Brentano seiner Vorlage angeschlossen hat. 
                    Er liefert den Beweis dafür, daß eine gute Uebersetzung nicht 
                    um jeden Preis auch eine freie Uebersetzung sein müsse. Brentano 
                    findet hier bereits den Ton und den Stil, in dem er seine 
                    Märchen, die Chronika eines fahrenden Schülers oder das Tagebuch 
                    der Ahnfrau geschrieben hat. Ganz anders verfährt im Wintergarten 
                    Arnim. Er ist der Darstellung Froissards nicht so treu 
                    geblieben wie Clemens. Er bringt zusammen, was ihm für seinen 
                    Zweck, ein Bild jener ganzen Zeit in dem einiger Männer und 
                    eines ihrer wunderbarsten Abentheuer nachzuschaffen, tauglich 
                    schien. Während Brentano die wunderbare Stimmung seines eigenen 
                    Empfindens, eine Art lyrischen Elementes in seine Uebersetzung 
                    fließen ließ, legte Arnim die Lebensskizze vom Kronfeldherrn 
                    Olivier Clisson und dem Herzog von Bretagne in breiten, episch 
                    fast zerfließenden Strichen an, sorglos um die Ausführung 
                    des Einzelnen, das wieder Brentano auf das reizendste zu behandeln 
                    liebte. Wenn nun Kleist ebenfalls auf Froissard kommt, so 
                    werden wir auf inneren Zusammenhang schließen dürfen. Gleichwohl 
                    kam der Anstoß zur Geschichte eines merkwürdigen Zweikampfes 
                    von außen her. 
                     Die Berliner Freunde hingen, wie wir sahen, mit den 
                    in Hamburg erscheinenden Gemeinnützigen Unterhaltungs-Blättern 
                    zusammen. In diesen findet sich, Nr. 16 vom 21. April 
                    1810, der von C. Baechler gezeichnete Artikel Hildegard 
                    von Carouge und Jacob der Graue, ohne daß Froissard 
                    als Quelle angegeben wäre. Nur wer mit Froissard vertraut 
                    war, konnte die Herkunft erkennen. Mit diesem Artikel deckt 
                    <540:> sich nun genau dem Umfange nach Kleists 
                    Geschichte eines merkwürdigen Zweikampfes, die, 
                    weil sie sonst nicht zugänglich ist, ich zunächst hier folgen 
                    lasse: 
                     
                    Geschichte eines merkwürdigen Zweikampfs. 
                    Der Ritter Hans Carouge, Vasal des Grafen von Alenson, mußte 
                    in häuslichen Angelegenheiten eine Reise übers Meer thun. 
                    Seine junge und schöne Gemahlinn ließ er auf seiner Burg. 
                    Ein anderer Vasal des Grafen, Jakob der Graue genannt, verliebte 
                    sich in diese Dame auf das heftigste. Die Zeugen sagten vor 
                    Gericht aus, daß er zu der und der Stunde, des und des Tages, 
                    in dem und dem Monat, sich auf das Pferd des Grafen gesetzt, 
                    und diese Dame zu Argenteuil, wo sie sich aufhielt, besucht 
                    habe. Sie empfing ihn als den Gefährten ihres Mannes, und 
                    als seinen Freund, und zeigte ihm das ganze Schloß. Er wollte 
                    auch die Warte, oder den Wachthurm der Burg sehen, und die 
                    Dame führte ihn selbst dahin, ohne sich von einem Bedienten 
                    begleiten zu lassen. 
                     Sobald sie im Thurm waren, verschloß Jakob, der sehr 
                    stark war, die Thüre, nahm die Dame in seine Arme, und überließ 
                    sich ganz seiner Leidenschaft. Jakob, Jakob, sagte die Dame 
                    weinend, Du hast mich beschimpft, aber die Schmach wird auf 
                    Dich zurückfallen, sobald mein Mann wiederkömmt. Jakob achtete 
                    nicht viel auf diese Drohung, setzte sich auf sein Pferd, 
                    und kehrte in vollem 
                    Jagen zurück. Um vier Uhr des Morgens war er in der Burg gewesen, 
                    und um neun Uhr desselben Morgens, erschien er auch beim Lever 
                    des Grafen.  Dieser Umstand muß wohl bemerkt werden. 
                    Hans Carouge kam endlich von seiner Reise zurück, und seine 
                    Frau empfing ihn mit den lebhaftesten Beweisen der Zärtlichkeit. 
                    Aber des Abends, als Carouge sich in ihr Schlafgemach und 
                    zu Bette begeben hatte, ging sie lange im Zimmer auf und nieder, 
                    machte von Zeit zu Zeit das Zeichen des Kreuzes vor sich, 
                    fiel zuletzt vor seinem Bette auf die Kniee, und erzählte 
                    ihrem Manne, unter Thränen, was ihr begegnet war. Dieser wollte 
                    es anfangs nicht glauben, doch endlich mußte er den Schwüren 
                    und wiederholten Betheurungen seiner Gemahlinn trauen; und 
                    nun beschäftigte ihn blos der Gedanke der Rache. Er versammelte 
                    seine und seiner Frau Verwandte, und die Meinung aller ging 
                    da hinaus, die Sache bei dem Grafen anzubringen, und ihm die 
                    Entscheidung zu überlassen. 
                     Der Graf ließ die Partheien vor sich kommen, hörte 
                    ihre Gründe an, und nach vielem Hin- und Herstreiten fällte 
                    er den Schluß, daß der Dame die ganze Geschichte geträumt 
                    haben müsse, weil es unmöglich sei, daß ein Mensch 23 Meilen 
                    zurücklegen, <541:> und auch die That, deren er beschuldigt 
                    wurde, mit allen den Nebenumständen, in dem kurzen Zeitraum 
                    von fünfthalb Stunden, begehen könne, welches die einzige 
                    Zwischenzeit war, wo man den Jakob nicht im Schloß gesehen 
                    hatte. Der Graf von Menso\*\ 
                    befahl also, daß man nicht weiter von der Sache sprechen sollte. 
                    Aber der Ritter Carouge, der ein Mann von Herz, und sehr empfindlich 
                    im Punkt der Ehre war, ließ es nicht bei dieser Entscheidung 
                    bewenden, sondern machte die Sache vor dem Parlament zu Paris 
                    anhängig. Dieses Tribunal erkannte auf einen Zweikampf. Der 
                    König, der damals zu Sluys in Flandern war, sandte einen Kurier 
                    mit dem Befehl ab, den Tag des Zweikampfs bis zu seiner Zurückkunft 
                    zu verschieben, weil er selbst dabei zugegen sein wollte. 
                    Die Herzoge von Berry, Burgund und Bourbon kamen ebenfalls 
                    von Paris, um dies Schauspiel mit anzusehen. Man hatte zum 
                    Kampfplatz den St. Katharinenplatz gewählt, und Gerüste 
                    für die Zuschauer aufgebaut. Die Kämpfer erschienen vom Kopf 
                    bis zu den Füßen gewaffnet. Die Dame saß auf einem Wagen, 
                    und war ganz schwarz gekleidet. Ihr Mann näherte sich ihr 
                    und sagte: Madame, in eurer Fehde, und auf eure Versicherung 
                    schlage ich jetzt mein Leben in die Schanze, und fechte mit 
                    Jakob dem Grauen; niemand weiß besser als ihr, ob meine Sache 
                    gut und gerecht ist.  Ritter, antwortete die Dame, 
                    ihr könnt euch auf die Gerechtigkeit eurer Sache verlassen, 
                    und mit Zuversicht in den Kampf gehen. Hierauf ergriff Carouge 
                    ihre Hand, küßte sie, machte das Zeichen des Kreuzes, und 
                    begab sich in die Schranken. Die Dame blieb während des Gefechts 
                    im Gebet. Ihre Lage war kritisch; wurde Hans Carouge überwunden, 
                    so wurde er gehangen, und sie ohne Barmherzigkeit verbrannt. 
                    Als das Feld und die Sonne gehörig zwischen beiden Kämpfern 
                    vertheilt war, sprengten sie an, und gingen mit der Lanze 
                    aufeinander los. Aber sie waren beide zu geschickt, als daß 
                    sie sich hätten was anhaben können. Sie stiegen also von ihren 
                    Pferden, und griffen zum Schwerdt. Carouge wurde am Schenkel 
                    verwundet; seine Freunde zitterten für ihn, und seine Frau 
                    war mehr todt als lebendig. Aber er drang auf seinen Gegner 
                    mit so vieler Wuth und Geschicklichkeit ein, daß er ihn zu 
                    Boden warf, und ihm das Schwerdt in die Brust stieß. Hierauf 
                    wandte er sich gegen die Zuschauer, und fragte sie mit lauter 
                    Stimme: Ob er seine Schuldigkeit gethan habe? Alle antworteten 
                    einstimmig, Ja! Sogleich bemächtigte sich der Scharfrichter 
                    des Leichnams des Jakobs, und hing ihn an den Galgen. Ritter 
                    Carouge warf sich dem König zu Füßen, der seine Tapferkeit 
                    lobte, ihm auf der Stelle <542:> 1000 Livres auszahlen 
                    ließ, einen lebenslänglichen Gehalt von 200 Livres aussetzte, 
                    und seinen Sohn zum Kammerherrn ernannte. Carouge eilte nunmehr 
                    zu seiner Frau, umarmte sie öffentlich, und begab sich mit 
                    ihr in die Kirche, um Gott zu danken, und auf dem Altar zu 
                    opfern. Froissard erzählt diese Geschichte, und sie ist Thatsache. 
                     
                    Man müßte, um das Entstehungs- und Abhängigkeits-Verhältniß 
                    des vorstehenden Aufsatzes zu durchschauen, die drei Texte, 
                    den Froissards, Baechlers und Kleists neben 
                    einander vor den Augen haben: wie ich, während ich dies schreibe. 
                    Im Druck läßt sich das nicht ermöglichen. Baechler hat für 
                    seinen Zweck den Umfang des Originals auf ein Drittel oder 
                    Viertel reducirt, und diese Reductionen sind meist durch Auslassung 
                    entbehrlich erschienener Stellen, weniger durch Veränderungen, 
                    erzielt worden. Beide Merkmale erbringen nun den Beweis der 
                    Abhängigkeit Kleists von Baechler. Denn es ist eine 
                    absolute Unmöglichkeit, daß innerhalb einer so umfangreichen, 
                    schwierigen Originalstelle zwei Bearbeiter, unabhängig von 
                    einander, genau dasselbe Verfahren einschlagen sollten. Die 
                    Uebereinstimmung ist sachlicher wie sprachlicher Natur. Z. B. 
                    der Eingang der Zweikampfgeschichte ließ sich unmöglich, wie 
                    er bei Froissard lautet, geben. Sie mußte, aus dem Zusammenhang 
                    gelöst, selbstständig eingeleitet werden. Baechler begann: 
                    Der Ritter Johann von Carouge, Vasall des Grafen von 
                    Alençon, war genöthigt, in seinen eigenen Angelegenheiten 
                    eine bedeutende Seereise zu unternehmen. Wir lesen fast 
                    dieselben Eingangsworte oben bei Kleist. Aber durch ihre Verschiedenheit 
                    bewähren sie, daß Kleist den Froissard neben der verdeutschten 
                    Vorlage mitbenutzt hat; denn er erst bringt Froissards 
                    Sinn-Nuance de voyager oultremer 
                    wieder in den deutschen Text hinein. Wie Hans Carouge von 
                    seiner Reise zurückkam, da la dame sa femme 
 
                    lui fit très bonne chère, erzählt Froissard; Baechler 
                    überträgt: seine Gemahlin empfing ihn mit der innigsten 
                    Zärtlichkeit; Kleist <543:> dagegen: seine 
                    Frau empfing ihn mit den lebhaftesten Beweisen der Zärtlichkeit. 
                    Der Beginn des Zweikampfes wird von Baechler, wie folgt, geschildert: 
                    beide bestiegen die Streitrosse, die Kampfrichter theilten 
                    Feld und Sonne, der Trompetenstoß schmetterte und wüthend 
                    rannten die Kämpfer mit sausendem Speer auf einander ein  
                    eine Schilderung, für die sich bei Froissard, außer ils 
                    montèrent sur leurs chevaux und 
 joûtèrent 
, 
                    keine Unterlage findet. Kleist, wiewohl den Satz kürzend, 
                    behielt das Bild von Feld und Sonne bei. 
                     Ich beschränke mich auf diese (nur ihrer Kürze wegen) 
                    ausgesuchten Beispiele, die das durchgehende Verhältniß 
                    der beiden deutschen Texte zu einander darthun mögen. Kleist 
                    drängt die Fülle noch mehr zusammen, er stilisirt bereits 
                    in seinem Sinne. Schon bemerken wir auch die ersten Ansätze 
                    zur novellistischen Construction des Kleist eigenthümlichen 
                    Indicienbeweises. Ohne das Vorbild Froissards oder Baechlers 
                    läßt er schon ziemlich früh die Zeugen auftreten, die vor 
                    Gericht aussagen, daß Jakob der Graue die Dame zu der und 
                    der Stunde besucht habe. Als Jakob, um 4 Uhr noch auf 
                    der Burg, um 9 Uhr nach einem rasenden Ritte beim Lever 
                    seines Grafen erscheint, schiebt allein Kleist das Sätzchen 
                    ein: Dieser Umstand muß wohl bemerkt werden, gerade 
                    wie er sonst den Leser (z. B. man muß wissen, daß) 
                    mitten in der Darstellung subjectiv auf entscheidende Momente 
                    aufmerksam zu machen liebt. Weiter ist er in der Hinsicht 
                    aber noch nicht gegangen. 
                     Diese Unfertigkeit brauchte für Kleist kein Grund 
                    zu sein, das Schriftstück im Tagesbedürfniß eines Zeitungsunternehmens 
                    nicht zu verwerthen. Es that auch so seine Wirkung. Ich finde, 
                    daß es über einen Monat später zu Wien in Hormayrs angesehenem 
                    Archiv für Geographie, Historie, Staats- <544:> und 
                    Kriegskunst (Nr. 36 und 37, vom 25. und 27. März 
                    1811) in wortgetreuem Abdruck wieder auftaucht, nur mit dem 
                    gekürzten Titel: Ein merkwürdiger Zweykampf\*\. Indessen fühlte Kleist, daß 
                    das Stück unverändert in seine Erzählungen nicht übergehen 
                    dürfe. Den Stoff jedoch ließ er nicht fallen. Er complicirte 
                    ihn vielmehr mit einer zweiten Geschichte und arbeitete ihn 
                    so in die an Umfang, Situationen und Motiven unendlich reicher 
                    ausgestattete Novelle Der Zweikampf ein. Die Entehrung 
                    der Dame, der versuchte Alibibeweis, der Zweikampf, die Bestrafung 
                    des Frevlers, die Vereinigung des Herrn und der Dame die für 
                    einander gehören  alle diese Momente sind aus Froissard, 
                    nun aber eigenartig neu gewendet, in Kleists Erzählung 
                    eingegangen. Jakob der Graue ist zu Jakob dem Rothbart umgeformt 
                    (wohl weil kleine, röthlich überschattete Augen, dem gemeinen 
                    Glauben zufolge, die Zeichen tückischen Charakters sind). 
                    Die Dame, deren Namen bei Froissard überhaupt fehlt, bei Baechler 
                    aber Hildegard heißt, heißt bei Kleist nicht ohne Anklang 
                    an Hildegard: Littegarde. Sprachlich bemerken wir zwar 
                    gleiche Wendungen, wie: von Kopf zu Fuß in schimmerndes 
                    Erz gerüstet, oder während die Richter Licht und 
                    Schatten zwischen den Kämpfern theilten. Aber im übrigen 
                    scheint der Abstand hier am weitesten. Dies hat seinen guten 
                    Grund. Kleists erste Niederschriften zeigen häufig einfache, 
                    kurze Sätze, in denen sich das Bestreben kund giebt, die Dinge 
                    möglichst rasch und glatt zu bewältigen. Dann erst tritt, 
                    zu einer höheren Stufe, die kunstbewußte, subordinirende Stilisirung 
                    der Sätze ein. Gerade bei dem Zweikampf läßt sich 
                    der kunstbewußte Umbildungsproceß des Stiles sehr gut beobachten. 
                    Der Zweikampf wurde, <545:> um Ostern 1811, 
                    fertig geschrieben, nachdem die Sprache des Bettelweibes 
                    und der Heiligen Cäcilie, durch die Neubearbeitung für die 
                    Erzählungen, frisch auf Kleist gewirkt hatte. 
                    Das Bettelweib wird auf Stroh, das man ihr unterschüttete, 
                    gebettet; in der Heiligen Cäcilie begegnet die Wendung: Aber 
                    wer beschreibt das Entsetzen der armen Frau, als sie 
                    ihre wahnsinnigen Söhne wiedersieht. Ich stelle dazu einen 
                    einzigen Satz des Zweikampfes in Parallele: Aber 
                    wer beschreibt das Entsetzen der unglücklichen Littegarde, 
                    als sie sich, bei dem an der Thür entstehenden Geräusch, mit 
                    halb offner Brust und aufgelöstem Haar, von dem Stroh, das 
                    ihr untergeschüttet war, erhob. Hier sieht man, wie 
                    Kleists Novellenstil gleichsam von neuem auflebt und 
                    den bis dahin fremden Stoff sich unterwirft. Jetzt erst hat 
                    Kleist die freie Stellung, die sein poetisches Schaffen brauchte, 
                    auch Froissard gegenüber sich erobert. 
                     Arnims, Brentanos, Kleists und anderer 
                    Uebertragungen aus Froissard sind vergessen heute, nur der 
                    Litterarhistoriker braucht von ihnen Kenntniß zu nehmen. Kleists 
                    dichterisches Kunstwerk aber, seine Novelle lebt und hört 
                    nicht auf, das deutsche Publicum mit dem, was in Froissards 
                    Chronik das Unvergängliche ist, fort und fort zu beschenken. 
                     
                    \*\ Menso 
                    in den Abendblättern Setzerfehler für undeutlich geschriebenes 
                    Alenson. 
                    \*\ Sogar der Schreib- 
                    oder Druckfehler Menso hat sich nicht verloren, ist aber weiter 
                    zu Menjo verdorben worden. 
                     
                    Emendationen 
                    und] nud D 
                    beschenken.] 
                    beschenken D 
                     
                    
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