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                   Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe 
                    (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 520f. 
                     
                    II. Prosa.  
                      
                    Ich schicke die allgemeine Bemerkung voraus, die ich im Einzelnen 
                    zu bewähren hoffe, daß Kleists Arbeiten für die Abendblätter 
                    ihre Wurzeln und Ranken weiter in seine größeren Werke, die 
                    vor oder nach denselben liegen, erstrecken. Sie zeigen uns, 
                    wie Kleist, im raschen Bedürfniß des Tages, früher Erworbenes 
                    jetzt benützte, und wie er neuen Vorrath von allen Seiten 
                    sich verschaffte. Er muß unglaublich viel gelesen haben, ältere, 
                    neuere und modernste Litteratur durcheinander. Neben der deutschen 
                    hielt er stets die französische und englische Litteratur im 
                    Auge. Keiner von den Beiträgen aber, die er in die Abendblätter 
                    lieferte, hat ihm in der Form, keiner außer dem Bettelweib 
                    von Locarno ihm dem Inhalte nach genügt. <521:> So verschieden 
                    empfand er die Ansprüche, die der vergehende Tag machen dürfe, 
                    und die die dauernde Zukunft an ihn stellen werde. 
                     Auf die Abendblätter folgte nur noch Ein Berliner 
                    Werk, das zugleich Kleists letztes war: der zweite Theil 
                    der Erzählungen, bei Reimer in Verlag, ein Band 
                    von 240 Seiten, um ein Drittel schwächer als der erste 
                    Theil von 1810. Der Zerbrochene Krug, der gleichfalls bei 
                    Reimer 1811 gedruckt wurde, scheidet als einer früheren Zeit 
                    angehörig für diese Dinge aus. Jener zweite Theil enthält 
                    die fünf Erzählungen: die Verlobung in St. Domingo, das 
                    Bettelweib von Locarno, der Findling, die heilige Cäcilie 
                    oder die Gewalt der Musik (Eine Legende), den Zweikampf. Kleist 
                    muß in den Monaten März, April, in denen er die Vorlagen herrichtete 
                    und den Druck überwachte, auf das angestrengteste gearbeitet 
                    haben. Die Frage entsteht, ob ein Zusammenhang und welcher 
                    zwischen Abendblättern und Erzählungen obwalte. Zwei Erzählungen, 
                    das Bettelweib und die heilige Cäcilie, treffen wir mit gleicher 
                    Aufschrift an beiden Stellen an. 
                     
                    
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