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                   Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe 
                    (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 511-520 
                     
                     Achtes Capitel. 
                    Heinrich von Kleist als Autor in den Abendblättern. 
                     
                     
                     Ich habe Kleists Freunde 
                    als Mitarbeiter an den Abendblättern voraus behandelt, damit 
                    der Kreis der anonymen Artikel, für die Kleists Autorschaft 
                    in Betracht kommen könnte, möglichst eingeengt würde. Seine 
                    Aufsätze zur Politik, zur Kunst, zum Theater, von denen früher 
                    die Rede war, lasse ich hier bei Seite und behandle nur diejenigen 
                    Stücke von ihm, die allgemeineren Charakters sind. 
                     
                    I. Gedichte . 
                     
                    Außer den Epigrammen, enthalten die Abendblätter nur drei 
                    Gedichte Heinrichs von Kleist: die Ode auf den 
                    Wiedereinzug des Königs im Winter 1809, im 5. Abendblatt 
                    vom 5. October 1810, H. v. K. gezeichnet; und 
                    im 30. und 60. Abendblatte vom 3. November und 8. December 
                    1810 die beiden Legenden nach Hans Sachs: Gleich und 
                    Ungleich und Der Welt Lauf, diese beiden 
                    anonym, und Kleist von Köpke zuerst aus sicherer Conjectur 
                    beigelegt. Das Gedicht auf Iffland (oben S. 189): Singt, 
                    Barden! singt Ihm Lieder, Ihm, der sich treu bewährt; Dem 
                    Künstler, der heut <512:> wieder In Eure Mitte 
                    kehrt ist zu trocken, und noch ein F. L. 
                    gezeichnetes Sonett Zum Geburtstag des Kronprinzen 
                    ist zu schlecht, als daß man an Kleist als Autor denken dürfte. 
                     
                    1. Gleich und Ungleich. 
                     
                    Gleich und Ungleich ist die Ueberschrift, die 
                    Kleist dem Hans Sachsischen Gespräch Sanct Peter mit 
                    dem faulen Pawrenknecht gegeben hat. Der faule Bauernknecht 
                    weigert dem Herrn und Petrus Auskunft über den Weg, den ihnen 
                    die fleißige Magd flink und emsig weist: der Herr bestimmt 
                    beide, weil sie ungleich sind, zur Ehe mit einander. Darüber, 
                    wann Kleist dieses und das andere Reimgespräch bearbeitet 
                    habe, giebt es keinerlei weiteres Zeugniß, als das Erscheinen 
                    in den Abendblättern. Hieran müssen wir uns halten. Wie wir 
                    jetzt in Kleists Verkehr mit Arnim hell hineinsehen, 
                    werden wir die Thatsache, daß dieser 1810 in der Dolores dieselbe 
                    Fabel Hans Sachs nacherzählte, ehe Kleists Arbeit 
                    in den Abendblättern erschien, nicht für Zufall halten wollen, 
                    sondern für einen neuen Beweis der Arbeitsfreundschaft beider 
                    Dichter. Arnim besaß damals schon die (in Wiepersdorf noch 
                    vorhandene) fünfbändige Folio-Ausgabe vom Hans Sachs, in deren 
                    erstem Bande von 1558 beide Gespräche stehen; wahrscheinlich 
                    hat auch Kleist dieses Exemplar benutzt. 
                     Die Gräfin Dolores, durch den Markese zu Fall gebracht, 
                    will an Gottes Gerechtigkeit verzweifeln, der ihrem frommen 
                    Gemahle eine so lasterhafte Frau wie sie gegeben habe (2, 121): 
                    ihr alter Diener tröstet sie mit der Erzählung aus unserm 
                    braven alten Hans Sachs. Arnim bleibt innerhalb der 
                    ursprünglichen Absicht des Reimgespräches, nur er fertigt 
                    einen Prosa-Auszug an. Er kürzt und schiebt zusammen, bis 
                    er das erhält, was er gebrauchen kann. Abweichungen in Nebendingen 
                    beruhen eher auf sorgloser Auffassung, als auf Absicht. <513:> 
                     Kleist verfuhr ganz anders. Er wollte nicht im landläufigen 
                    Sinne Hans Sachs erneuen, noch (was immer Arnims Endziel 
                    war) das Publicum auf die Lectüre älterer deutscher Schriftsteller 
                    hinführen. Sondern er wollte Eigenes, Modernes schaffen: nach 
                    Hans Sachs, in Hans Sachsischer Manier. Darum jedes Mal in 
                    den Abendblättern der Zusatz: Eine Legende nach 
                    Hans Sachs. Darum scheut Kleist sich nicht, seine modernsten 
                    Wendungen, selbst sein lässig-kräftiges Wort Kerl, 
                    in das fromme Gehege der Legende einzulassen. Arnim, welcher 
                    zu gleicher Zeit die gereimte Legende von Unserm Herrn, der 
                    freundlich bei einem fluchenden Schmied eintritt, in Jerusalem 
                    (Werke 16, 370) einlegte, hat dagegen Ton und Sprache 
                    von Goethes Hufeisen-Legende festgehalten. 
                     Kleist kürzt nicht, sondern er dichtet die Scenen 
                    und Motive aus. Er giebt mehr Verse als Hans Sachs. Wie gründlich 
                    hat er, ehe er begann, den Text studirt; und wie fein ist, 
                    bei aller Freiheit, seine Interpretation. Ich wähle eine Stelle, 
                    die Kleist möglichst festgehalten hat. Bei Hans Sachs (1558, 
                    S. 493): 
                     Sanct Peter sprach, o maister mein, 
                     Ich bitt dich durch die güte dein 
                     Diese gutthat du wieder ehr  
                    bei Kleist: 
                     Sanct Peter spricht: O Meister mein! 
                     Ich bitte dich, um deiner Güte willen, 
                     Du wollest dieser Maid die That der Liebe lohnen. 
                     
                    Kein Meister deutscher Philologie hätte die Worte, auf die 
                    es ankommt, feiner übertragen können. Aber dann wieder schwingt 
                    sich Kleist mit glänzendem Gefieder über Sachs hinaus. Wie 
                    der Herr seinen Willen kund gethan, daß der faule Schelm der 
                    flinken Maid zu Theil werden soll, da <514:> 
                     Sanct Peter sprach, das wöll Gott nit 
                     O Herr das wer ye immer schad 
                     Ich bitt dich Herr sie baß begnad 
                     Laß sie dieser gutthat geniessen. 
                    Kleist aber, erst noch bei Sachs aushaltend, dichtet freien 
                    Schwungs: 
                     Sanct Peter spricht: Nein Herr, das wolle Gott 
                    verhüten. 
                     Das wär ja ewig Schad um sie, 
                     Müßt all ihr Schweiß und Müh verloren 
                    gehn. 
                     Laß einen Mann, ihr ähnlicher, sie finden, 
                     Auf daß sich, wie sie wünscht, hoch bis zum Giebel 
                    ihr 
                     Der Reichthum in der Tenne fülle. 
                     
                    Man bemerke zugleich aus diesen Proben, daß Kleist den Endreim 
                    aufgegeben hat, und daß die Zahl der jambischen Füße seines 
                    Verses keine Beschränkung leidet. Es gilt dies für beide Hans 
                    Sachsischen Gedichte Kleists. Nur ein einziger Vers, 
                    am Schlusse von Gleich und Ungleich, hat gestörten 
                    Rhythmus und, wie ich glaube, auch gestörten Sinn. Der Herr 
                    belehrt Petrus zuletzt: 
                     
                     O Petre, das verstehst du nicht. 
                     Der Schelm, der kann doch nicht zur Höllen fahren. 
                     Die Maid auch, frischen Lebens voll, 
                     Die könnte leicht zu stolz und üppig werden. 
                     Drum, wo die Schwinge sich ihr allzuflüchtig regt, 
                     Henk ich ihr ein Gewichtlein an, 
                     Auf daß sies beide im Maaße treffen, 
                     Und fröhlich, wenn es ruft, hinkommen, er wie sie, 
                     Wo ich sie Alle gern versammeln mögte. 
                     
                    Kleist verläßt mit diesen Versen gänzlich das Hans Sachsische 
                    Original. Er erst braucht das Bild von der allzuflüchtigen 
                    Schwinge der frischen Maid, die durch ein Gewichtlein 
                    niederzuziehen sei. Sachs hat 
                     Drumb henck jch jr den schlüffel an 
                     das sie hat zu schwimmen vnd waten  <515:> 
                    schlüffel bedeutet den faulen Bauernknecht. Aber 
                    wie soll nun der unrhythmische Vers 
                     Auf daß sies beide im Maaße treffen 
                    verstanden werden? was ist es? Ich meine, es sei 
                    wohl Unfertigkeit des Schlusses, oder ein Druckversehen, das 
                    ich nicht zu berichtigen weiß, anzunehmen; eine Aenderung 
                    von beide in beid kann nicht 
                    genügen. 
                     Kleist hat dem Schlusse, über die ungleiche Ehe hinaus, 
                    eine allgemeinere Wendung gegeben, und damit hängt die erst 
                    von ihm geschaffene Ueberschrift Gleich und Ungleich 
                    zusammen. Gleichheit war die moderne Forderung, die damals 
                    durch Hardenbergs Reformen ihren Einzug in die preußische 
                    Gesetzgebung hielt. Gegen die égalité aber kämpften 
                    Kleist und seine Freunde an. Ihnen galt Ungleich 
                    als das Leben und Segen spendende Princip in Natur, Staat 
                    und Familie. Indem Kleist sein Gleich und Ungleich 
                    in die Abendblätter einrückte, erklärte er sich und seine 
                    Freunde als Gegner des herrschenden Systems. 
                     
                    2. Der Welt Lauf. 
                     
                    Bei Hans Sachs (1558, S. 94) lesen wir Ein gesprech 
                    zwischen Sanct Peter vnd dem Herren, von der jetzigen 
                    Welt Lauf. Petrus fährt mit des Herrn Urlaub zur Erde 
                    nieder, um sich zu Faßnacht einmal gründlich aufzuheitern. 
                    Kein Mensch denkt im Jubel an den Herrn, außer einem Weibe, 
                    das um seine verbrannte Habe jammert. Ein Jahr später sieht 
                    es anders aus. Krieg und Mißwachs war im Lande. Petrus gefällt 
                    sich nicht: nun seufzen und schreien alle früh und spät zum 
                    Herrn. Der Herr erklärt Petrus, dies sei seine Arznei, um 
                    das sündig Fleisch darmit zu dämpfen und dem Geist darmit 
                    helfen kämpfen. <516:> 
                     Kleist empfand, bei der Lectüre, die  romantische!  
                    Parallele zu dem Laufe der Welt, in der er jetzt selber 
                    lebte. Er fühlte sich angeregt, nun auch den Lauf seiner 
                    Welt abzuspiegeln, damit wer in diesen Spiegel blicke, erschrecke 
                    und sich bessere. Kleist schritt zu noch viel größerer Freiheit 
                    der Behandlung vor, als das erste Mal. Er schilderte jetzt, 
                    mit genügender Deutlichkeit, die Stadt Berlin und das Jahr 
                    1810 mit seiner Noth. Früher, ehe das nationale Unglück einbrach, 
                    da war ein lustig Leben in der Hauptstadt, und die Kirchen 
                    standen leer. Aber jetzt, läßt Kleist (nicht Hans Sachs!) 
                    den Sanctus berichten, 
                     
                     Als ich durch eine Hauptstadt kam, 
                     Fand ich, zur Zeit der Mitternacht, 
                     Vom Altarkerzenglanz, durch die Portäle strahlend, 
                     Dir alle Märkt und Straßen hell; 
                     Die Glöckner zogen, daß die Stränge rissen; 
                     Hoch an den Säulen hiengen Knaben, 
                     Und hielten ihre Mützen in der Hand. 
                     Kein Mensch 
 im Weichbild rings zu sehn 
 
                     
                    Des Volkes Noth schildert Kleist an der Noth der Landwirthschaft: 
                    wie in Schillers Glocke etwa die den Acker bebauende 
                    Arbeit als die ideale Grund- und Durchschnittsthätigkeit des 
                    Deutschen auch erscheint. Krieg, Gefängniß, Raub, Mord und 
                    Brand, Plagen die Hans Sachs aufführt, konnte Kleist freilich 
                    jetzt nicht brauchen. 1810 litt das durch den Krieg noch ruinirte 
                    flache Land unter den Folgen einer schlechten Ernte: 
                     
                     Rings sieht das Auge nichts, als Noth und Jammer. 
                     Die Ernte, ascheweiß versengt auf allen Feldern, 
                     Gab für den Hunger nicht, um Brod zu backen, 
                     Viel wenger Kuchen, für die Lust, und Stritzeln. 
                     Und weil der Herbstwind früh der Berge Hang duchreift, 
                     War auch an Wein und Most nicht zu gedenken. <517:> 
                      
                    Nun legten die neuen Agrargesetze den Grund besitzenden Ständen 
                    weitere Lasten auf, viele Familien konnten den ererbten Besitz 
                    nicht mehr halten, die Güter wurden in Lotterien ausgespielt 
                    oder von heraufkommenden Geldleuten erstanden. Einen solchen 
                    Geldmann  einen Kornwucherer  führt 
                    Kleist in sein Zeitgemälde ein. Als noch das Volk im Ueberflusse 
                    schwelgte, da sah Petrus nur einen einzigen Mann murmelnd 
                    in der Kirche: 
                     
                     Der aber war ein Wucherer, 
                     Und hatte Korn, im Herbst erstanden, 
                     Für Mäus und Ratzen hungrig aufgeschüttet\*\. 
                     
                    Jetzt aber, in der Zeit der Noth, wo alle in die Kirchen drängen, 
                    da war auf den Straßen Niemand zu sehn 
                     
                     Als Einer nur, der eine Schaar 
                     Lastträger keuchend von dem Hafen führte: 
                     Der aber war ein Wucherer, 
                     Und häufte Korn auf, lächelnd, fern erkauft, 
                     Um von des Landes Hunger sich zu mästen. 
                     
                    Wie furchtbar wirkt der zweimal einschlagende Vers: Der aber 
                    war ein Wucherer! Welche Beispiele mochten Kleist in seiner 
                    Zeit vor Augen stehen! Arnim schildert in der Gräfin Dolores 
                    (1, 286) einen Fall, wo in einer Residenzstadt sich eine 
                    Judenfamilie, nachdem sie durch Lieferungen schnell reich 
                    geworden, gegen den verarmten Fürsten aufgelehnt habe; und 
                    im (ungedruckten) Briefwechsel mit Grimms giebt er die 
                    Namen und die thatsächlichen Vorgänge dieses Falles an. Das 
                    eben rief so erbitterten Widerstand gegen Hardenbergs 
                    Agrarpolitik hervor, daß man die völlige Zerstörung aller 
                    alten ehrwürdig-festen Verhältnisse glaubte voraussehen zu 
                    <518:> müssen. Arnim und Kleist haben diese Anschauungen 
                    gehegt. In den Abendblättern kämpfte also der Dichter 
                    Kleist mit dem Politiker Müller in Einer Front. 
                     
                    3. Ode auf den Wiedereinzug des Königs im Winter 1809. 
                     
                    Die Kämpfe, in die sich Kleist und seine Freunde gezogen sahen, 
                    berührten ihre Ehrfurcht und Liebe dem angestammten Herrscherhause 
                    gegenüber nicht. Ihre Zeitung war ein königstreues Blatt, 
                    und das grandiose Merkzeichen dieser Königstreue ist darin 
                    Kleists Ode auf den König. 
                     Die Ode ist, als Kleist im Oesterreichischen noch 
                    war, auf die wechselnden Nachrichten hin, der König werde 
                    in seine Hauptstadt zurückkehren, 1809 gedichtet worden. Im 
                    Einzeldruck hatte sie damals in Berlin nicht verbreitet werden 
                    dürfen; das Geh. Staats-Archiv bewahrt, wie bekannt, das Material 
                    darüber. Erst als der König wieder Herr im Hause war, erschien 
                    sie in den Abendblättern. Es lebt in ihr eine Idee, die Kleists 
                    Wesen ganz beherrschte. Als er die Ode dichtete, schuf er 
                    seine Herrmannsschlacht. Crassus ist (5, 23) in Teutoburg 
                    erlegt, Herrmann empfängt die Meldung; da sagt Eginhardt: 
                     
                     Doch hier, o Herr, schau her! das sind die Folgen 
                     Des Kampfs, den Astolf mit den Römern kämpfte: 
                     Ganz Teutoburg siehst Du in Schutt und Asche! 
                    worauf Herrmann königlich erwidert: 
                     Mag sein! wir bauen uns ein schönres auf. 
                     
                    Hier finden wir die Gedanken ausgesprochen, aus denen die 
                    Ode an den König erblühte. Für höhere Güter waren Kleist und 
                    seine Freunde bereit, selbst die Thürme Berlins in den Staub 
                    sinken zu lassen; gleichwie nachher, zur rechten <519:> 
                    Stunde, Moskau in Staub und Asche sank. Und zu dieser heroischen 
                    Gesinnung, welche Pracht der Sprache und Kraft der Poesie! 
                    All die überschwenglich-inhaltsleeren Gedichte, die damals 
                    die Majestäten über sich ergehen lassen mußten, sind heute 
                    verschwunden, als ob sie niemals dagewesen wären. Kleists 
                    Ode allein lebt fort: der edelste Ausdruck märkischer Liebe 
                    zu König und Vaterland. 
                     
                    4. Auf die Königin Luise. 
                     
                    Wir wissen, daß Kleist auf die Königin Luise ein gleichgeartetes 
                    Gedicht, wie auf den König, gedichtet hat, das sogar in mehreren 
                    Gestalten aus seinem Nachlaß auf uns gekommen ist. Kleist, 
                    der Dichter, aber schweigt in den Abendblättern über die Königin. 
                    Auch als Redacteur, wenn die thatsächlichen Vorgänge des öffentlichen 
                    Lebens den Lesern zu berichten waren, ließ er über die Königin 
                    das Wort seinen Freunden. Niemand hatte, als Patriot und als 
                    Mensch zugleich, an der Königin so unendlich viel verloren, 
                    wie Heinrich von Kleist. Die Größe des Verlustes machte ihn 
                    stumm. 
                     Um so rührender ist, wie Kleist des Geburtstages der 
                    verklärten Königin 1811 in seinen Abendblättern gedachte. 
                    Welche Kämpfe hatte er 1810, seit dem Fortgang seiner Königlichen 
                    Gönnerin, durchgefochten! Und nun, 1811 zu Anfang, stand er 
                    vor dem unausbleiblichen Niedergange seines Unternehmens, 
                    das für die Gedanken eintreten sollte, deren Beschützerin 
                    die Königin gewesen war. Wie hätte er sein Gefühl mit dürren 
                    Worten öffentlich aussprechen mögen! Die Sprache allein, 
                    die der Menge fremd und nur sein eigen war, durfte er sprechen. 
                    In das 4. Abendblatt, vom 5. Januar 1811, setzte er die 
                    folgende <520:> 
                     
                    Kalender-Betrachtung. 
                     den 10. März 1811. 
                    Im vorigen Jahre waren keine sichtbaren Sonnen- oder Mond-Finsternisse; 
                    also seit ungewöhnlich langer Zeit die erste fällt auf den 
                    Geburtstag unsrer unvergeßlichen Königin. Der Mond, der an 
                    diesem Tage das Zeichen der Jungfrau verläßt, wird in der 
                    sechsten Morgenstunde (die auch ihre Todesstunde war) verfinstert, 
                    und geht in der Verfinsterung unter.  Uebrigens 
                    ist es Sonntag. 
                     
                    Wie ein Hauch mystischer Schwermuth schwebt es um diese wenigen 
                    Sätze. Sie scheinen von Kleists wundem Gefühl eingegeben 
                    zu sein. Man möchte jedes Wort ausdeuten. Uebrigens 
                    ist es Sonntag: eine Mahnung, daß das Volk in die Gotteshäuser 
                    ströme und der todten Königin gedenke. 
                     
                    \*\ Ratzen, 
                    wie vorhin Stritzeln (z. B. in Mohnstritzeln 
                    = berlinisch Mohnpilen) ist allgemein märkisch. 
                     
                    
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