Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 508-510
2. Fragment über Erziehung.
Beckedorff hat in späteren Jahren, als hoher Beamter im preußischen
Cultusministerium, das Volksschulwesen geleitet, und darum
sehen wir mit Interesse, daß sich die ersten Anfänge seines
die allgemeine Erziehung betreffenden Nachdenkens in Kleists
Abendblättern aufweisen lassen. Sein lb gezeichnetes Fragment
über Erziehung steht im 13. Abendblatt vom 16. Januar
1811.
Er
betrachtet die Erziehung der Knaben und der Mädchen gesondert.
Was er über die Knaben sagt, ist beeinflußt durch die damalige
Lage des Preußischen Staates, zu deren gründlicher Umgestaltung
einem Patrioten jedes Mittel der Wehrhaftmachung des Volkes
recht und willkommen war. In <509:> fühlbarer Anlehnung
an platonische Gedanken fordert er für die Knaben, nach der
unmittelbaren mütterlichen Pflege und Sorge, eine öffentliche
Erziehung, durch die sie gleich gewöhnt würden, unter
ihres Gleichen mit Ordnung und gegenseitiger Anerkennung in
gemeinschaftlichem Bestreben kriegerisch ausgerüstet und friedlich
gesinnt leben zu müssen eine Utopie, von
der er selber natürlich, als die Freiheitskriege geschlagen
waren, zurückgekommen ist. Aber man gewahrt auch hier den
Gegensatz zu Pestalozzi, mit dessen Erziehungsideal sich die
wehrhaft-nationale Ausbildung der Knaben nicht vertrug.
Dagegen
wird Beckedorff in Dem, was die Erziehung der Mädchen betrifft,
gerade heute wieder von Vielen Beifall gegeben werden. Er
sagt:
Ihre Bestimmung ist eine häusliche, ihr ganzes künftiges Leben
hat eine fortdauernde Beziehung auf die Männer, und zu dieser
Bestimmung müssen sie von Jugend auf angeleitet werden. Nur
ein Mädchen, welches mit der Mutter für Vater und Bruder fortdauernd
sich beschäftigt und gesorgt hat, das schon gewohnt ist, von
ihnen geliebt, geneckt und beschützt zu werden, und sie wieder
zu lieben, zu necken und zu ehren, die in alle Geheimnisse
eines unbefangenen Verkehrs mit Männern schon geweiht ist,
nur ein solches wird eine gute, tüchtige, ordentliche und
züchtige Hausfrau werden, die für Mann und Söhne zu sorgen
und von ihnen geachtet zu werden versteht, die ihre Würde
behauptet, und ihre Abhängigkeit empfindet, und die endlich
wieder Töchter bildet, die ihr gleichen. Daher wird die Klage
über Frauen, die in allgemeinen Anstalten erzogen werden,
so häufig gehört; und daher sind Frauen aus einem Hause, worin
es viele Söhne gab, in der Regel die besten, gewandtesten,
ordentlichsten und klügsten.
Ich müßte mehr, als die bisherigen Quellen bieten, über Beckedorffs
Leben wissen, um meine Empfindung bestätigen zu können, wie
Beckedorff hier das Bild der eignen Mutter und der eignen
Schwestern vor den Augen schwebt. Der Grundsatz, die Frau
gehöre in das Haus, nimmt schon Angesichts der damals
sich regenden Frauenbewegung pole- <510:>
mischen Charakter an. Beckedorff stand in dieser Frage wie
sein Freund Adam Müller, der Frau von Fouqués Weibliche
Bildung mit galanter Artigkeit ablehnte; wie Clemens
Brentano, der von den zwei verkehrten Arten weiblichen Philisterthums
die eine, die Genialität des Wortes, als die Eigenschaft
gelehrter Frauen gründlich verspottete; und wie Heinrich von
Kleist, der, was er als den Werth echter Weiblichkeit empfand,
die selbstvergessene Hingabe an den geliebten Mann, im Käthchen
von Heilbronn uns ausgesprochen hat.
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