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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 504-506

4. Arnim’s Spiel Halle und Jerusalem.


In der Zeit, wo Arnim mit Müller und Kleist 1810 tagtäglich zusammen war, schrieb er die Gräfin Dolores und das Spiel Halle und Jerusalem. Die Gräfin Dolores las er parthienweise Müller vor, sich seines Beifalls erfreuend; und als er im Juni 1810 ein Empfehlungsschreiben an Gentz in Teplitz mitnahm, empfahl Müller zugleich diese „neueste und vortrefflichste“ Arbeit Arnim’s als ein Buch, das man lesen müsse. Natürlich: denn in den politischen Grundanschauungen waren sich Müller und Arnim einig.
Nun kam, gegen Ende des Jahres 1810, Halle und Jerusalem heraus. Die gegnerische Kritik, die an der Dolores arg herumgezaust hatte, und der Arnim’s fehlerhafte Sorglosigkeit das Geschäft auch gar zu sehr erleichterte, schäumte nun erst recht bei der „neuromantischen Mystik“ des dramatischen Gedichtes auf. Das Tadelnswerthe wurde dermaßen aufgebauscht, daß es das Tüchtige völlig überdeckte. Da traten doch die Abendblätter dazwischen, und in ihrer 76. <505:> Nummer, vom 29. December 1810, brachten sie folgendes Schriftstück:

Literatur.
Das soeben erschienene Halle und Jerusalem, Studentenspiel und Pilgerabentheuer von L. A. v. Arnim wird in der Folge dieser Blätter zugleich mit dem Roman desselben Dichters: Armuth, Reichthum, Schuld und Buße der Gräfinn Dolores, einer näheren Betrachtung unterzogen werden. Vorläufig begnügen wir uns, auf die großartige und durchaus eigenthümliche Natur jenes dramatischen Gedichtes aufmerksam zu machen. Erfüllt wie wir von dem ersten Eindruck sind, fehlt uns noch der Maaßstab des Urtheils, der unter den übrigen Alltäglichkeiten der dermaligen deutschen Poesie leicht abhanden kommt.
Wenn hier oder dort uns eine Wendung des wunderbaren Gedichtes befremdete, so sind wir doch nicht Barbaren genug, um irgend eine angewöhnte, unserm Ohr längst eingesungene poetische Weise für die Regel alles Gesanges zu halten. Der Dichter hat mehr auszusprechen, als das besondere uns in engen Schulen anempfundene Gute und Schöne. Alles Vortrefliche führt etwas Befremdendes mit sich, am meisten in Zeiten, wo die Wunder der Poesie der großen Mehrzahl der Menschen auf Erden fremd geworden sind.rs.

Es ist dies natürlich Adam Müller’s gehaltene, andeutende Ausdruckweise, und da dies Blatt eine der ersten Nummern ist, die im neuen Kuhn’schen Verlage von noch nicht eingewöhnten Setzern hergestellt wurden, so wird rs, das man sich mit lateinischen Lettern dargestellt denke, nichts als ein verlesenes ps, das bekannte Zeichen Adam Müller’s, sein. Ich kann ein fremdes Zeugnis dafür beibringen. Wilhelm Grimm schrieb, zu Anfang 1811, an Clemens Brentano über seinen Runge gewidmeten Abendblatt-Artikel (oben S. 288) und fuhr dann fort (ungedruckt): „Ich habe Arnim meine Meinung über Halle und Jerusalem kürzlich geschrieben … Adam Müller will ja in den Abendblättern darüber urtheilen: gewiß ist vieles Gute und Richtige in dem was er sagt.“ Aber wenn wir uns der alten Antipathie Wilhelm Grimm’s gegen Müller erinnern, so können wir verstehen, daß er hin- <506:> zufügte: „es ist seltsam, daß mich das Gute in seinen (Müller’s) Schriften ärgert, weil ich meine, er habe es auf Borg.“ Gewiß würde es für uns heute werthvoll sein, wenn Adam Müller die verheißene Besprechung geliefert hätte. Es ist nicht dazu gekommen. Adam Müller’s Kraft und Zeit wurde durch das Einschwenken in die politischen Kämpfe gänzlich aufgebraucht, so daß er das Litterarisch-Aesthetische, das er sonst so gerne pflegte, bei Seite schieben mußte.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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