BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

[ ]


S

Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 502-504

3. Die Denkwürdigkeiten der Prinzessin von Bayreuth.


Im Jahre 1810 erschienen plötzlich, in deutscher Uebersetzung bei Cotta, die Denkwürdigkeiten aus dem Leben der <503:> Königl. Preußischen Prinzessin Friederike Sophie, Markgräfinn von Bayreuth, der Schwester Friedrich’s des Großen, und brachten eine unmuthige Stimmung unter den preußischen Patrioten hervor. Nicht als ob die Memoiren etwas ganz Neues gewesen wären. Im Gegentheil, ihre Existenz und ihr Inhalt waren schon lange bekannt. Es circulirten handschriftliche Exemplare, deren eines Arnim selbst besaß. Er und seine Gesinnungsgenossen sahen bewundernd auf den großen Flug, den Friedrich II., trotz der geschilderten Widerwärtigkeiten, aufwärts nahm. Friedrich erschien Arnim wie ein gejagter Wallfisch, der mit tausend Harpunen im Leibe sich immer wieder durcharbeite, ein Bild der Zeit, wie es kein anderes gebe, und um so ergreifender, weil der Charakter der Prinzessin aus drei sehr einfachen Elementen zusammengesetzt sei, etwas Stolz, etwas Eigensinn und Einbildung von Klugheit, die sich bisweilen in hoher Besonnenheit bewähre: „übrigens eine schändliche, stumpfe Roheit in allen Verhältnissen, daß man unsere Zeit tausendmal segnet, die ein so widriges Gemisch von Barbarei und Sittenverderbniß nicht mehr ertragen würde“.
So schrieb Arnim vor 1806. Jetzt, 1810, kam zu all dem Unglück, das über Preußen und sein Königshaus hereingebrochen war, noch die Widerwärtigkeit dieser unberechtigten Veröffentlichung. Sie war schlimmer als Cölln’s Feuerbrände, weil sich, um der Person der Verfasserin willen, nichts dagegen sagen ließ. Die antipreußischen Zeitungen machten sich das willkommene Thema zu Nutze und zogen gerade Das hervor, was zu krasser Blosstellung geeignet schien.
Es war ein litterarisches Kunststück, das Adam Müller für die Abendblätter Kleist’s leistete, als er die Memoiren aus der niedrigen Sphäre des Besprochenwerdens wieder heraus- und emporriß: <504:>
Das größte aber und theuerste, was wir eben jetzt aus Frauenhänden erhalten, sind die unvergleichlichen Denkwürdigkeiten der Prinzessin Friederike von Baireuth. Was könnte uns aufregen, erheben und entzücken, wie eine Fürstinn unsers Hauses, die, groß und gut geworden, unter unnachlassenden Leiden, ihr Leben mit dem eignen und völlig unabsichtlichen Tiefsinn der Weiblichkeit erzählt? – Und ist nicht diese Leidensschönheit das besondere Erbtheil aller Frauen unsers Fürstenhauses?
Man bemerke, wie jedes Wort mit der größten Sorgfalt ausgewählt worden ist. Das frauenhaft-Unhistorische wird ganz leise angedeutet. Das Leiden tritt wieder als Durchgang zu höheren Formen des Daseins, wie bei Arnim, hervor und weiht die Prinzessin gleichsam zur Vorläuferin der verklärten Königin Luise.

[ S ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]