Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 479f.
2. Ueber Lectüre.
Eine gleich praktische Tendenz zeigt Fouqués Beantwortung
der Frage: Welche Bücher soll man öfter lesen?
im 35. Abendblatt, vom 9. November 1810. Goethes
Benvenuto Cellini, meinte Fouqué, ziehe durch ein unbeschreibliches
Wohlgefallen uns zum Lesen und Wiederlesen an. Anders sei
es mit Werken, die uns zusammenschüttern, daß wir erschrecken
und unserer eigenen Verderbtheit inne werden. An solche ernstlichen
Warner wagten wir uns nicht so leicht wieder heran:
Trete aber doch um Gotteswillen, seiner trägen Verderbtheit
zum Trotze, Jedermann, der es ehrlich mit sich meint, aber
und abermals hinzu, und erkenne eben diese Scheu als Kriterium
der Heilsamkeit des Genesungsmittels. Man kann wohl annehmen,
daß sich viele Leser hierbei an Fichtesche Werke, z. B.
an die Anweisung zu einem gottseligen Leben, erinnert fühlen
werden. So schließt Fouqué ab. <480:>
Man muß staunen über die Verquickung hochkirchlicher
Anschauungen bei Fouqué mit denjenigen Ideen, die Fichte in
der Anweisung zum seeligen Leben oder auch der Religionslehre
(Berlin 1806) vorgetragen hatte. Man schlage Fichtes
sechste Vorlesung auf, wie er da seine Stellung zum Christenthum
und zu den Quellen, aus denen wir schöpfen, zu bestimmen sucht.
Nur mit Johannes (sagt Fichte selbstbewußt) kann der
Philosoph zusammenkommen, denn dieser allein hat Achtung
für die Vernunft, und beruft sich auf den Beweis,
den der Philosoph allein gelten läßt: den inneren. Die
anderen Verkündiger des Christenthums aber bauten, meint er,
auf die äußere Beweisführung durch Wunder: welche, für
uns wenigstens, nichts beweiset. Von Fichte war also
gerade die Position negirt worden, die Fouqué und seine hochkirchlichen
Gesinnungsgenossen hielten. In späteren Jahren jat Fouqué
gefühlt, daß seinen Worten das Entscheidende fehle. Als er
diesen Antheil an den Abendblättern, ohne Quellangabe, 1819
in seine Sammlung kleiner prosaischer Schriften aufnahm (1, 3),
fügte er hinzu: Aber vor allen Dingen laßt uns an das
Buch der Bücher denken, das mit göttlicher Strenge Wunden
schlägt, um sie mit göttlicher Milde zu heilen! Wie
wunderbar, daß Fichtes, des wegen Atheismus Verfolgten,
Religionslehre hier in Parallele mit der Bibel selbst gestellt
werden konnte.
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