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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 471-478

Fouqué’s Erinnerungen an Kleist


VII. Friedrich de la Motte Fouqué.

Die Kriegsregel und der unentschiedene Wettstreit, zwei Stücke, die ich unter den Anekdoten mit behandelte (oben S. 373), zeigten uns schon Fouqué’s Mitarbeit an den Abendblättern Kleist’s. Es wird jetzt erforderlich, Fouqué’s Theilnahme an denselben in ihrem ganzen Umfange ins Auge zu fassen.
Diejenige Dichtung, auf der Fouqué, ehe die Undine erschien, mit seinem Ruhm als Autor beruhte, war Sigurd der Schlangentödter, Fichte zugeeignet: eine dramatisirende Bearbeitung der Wölsungensage. Fouqué stand mit den Berliner Förderern der altdeutschen und altnordischen Litteratur, namentlich mit v. d. Hagen, in Zusammenhang und wie dieser versuchte er schneller zum Ziele zu springen, als nach dem Stande damaliger Kenntniß altnordischer Litteratur möglich war. Mochte das Durchschnittspublicum noch so glücklich über den Besitz des Sigurd sein: Fouqué mußte die Erfahrung machen, daß weder wirkliche Dichter noch Kenner der altgermanischen Litteratur mit seiner Leistung zufrieden waren. Brentano sagte ihm das ohne Schonung ins Gesicht\*\. Wilhelm Grimm bestritt als wissenschaftlicher Forscher Fouqué’s Werk, in einer Heidelberger Recension, deren herbe Wahrheiten Arnim mit ein paar freundlichen Sätzen für den „geachteten Verfasser“ zu mildern suchte. Fouqué war wüthend über diese Recension (nach einem ungedruckten Briefe Ar- <472:> nim’s). Er hat Grimm’s Tadel niemals verwinden können. Daraus allein erklärt es sich, daß er 1812 in seinen Musen (4, 200) dem Berliner Professor Rühs den Raum für persönliche Verunglimpfung der Brüder Grimm zur Verfügung stellte.
Indessen 1810 konnte Kleist recht gut auch Fouqué’s Beihülfe gebrauchen. Als frühere preußische Offiziere, die denselben Rheinfeldzug mitgemacht hatten, kannten sie sich längst. Sie hatten ähnliche, aus dem Militair ins civile Schriftstellerthum hinüberführende Schicksale gehabt. Ihre Productionen verhüteten, daß sie sich aus den Augen verloren. Am Phöbus arbeitete Fouqué mit. Näher aber traten sich die beiden Männer erst, seitdem Kleist 1810 in Berlin erschienen war.
Fouqué hat, als er seine (1840 herausgekommene) Lebensgeschichte aufzeichnete, die Dinge aus sehr verblaßter oder sehr verallgemeinerter Erinnerung heraus beschrieben. Nicht bloß daß er in den Zeitansätzen chronologisch nicht genau gewesen ist: was man niemals bei Werken selbstbiographischer Art erwarten, oder wenn es ausbleibt, tadeln darf. Die schwereren Bedenken liegen anderswo. Fouqué feierte, wenn er die Feder rührte, mit allerlei Leuten, die nach innerer Anlage und Richtung gar nicht zu ihm gehörten, überschwengliche Freundschaftsfeste. Es lag etwas Gutmüthiges, Schwächliches darin, das mit den Jahren zunahm und zu einer Art Specialität bei ihm wurde. Als er sein Leben schrieb, war er der Kämpfe, in denen Kleist arbeitete, und der scharfen Luft, die damals in Berlin wehte, längst entwöhnt und nicht mehr eingedenk. Er bringt es fertig, selbst Ludwig Robert als Vertrauensmann zwischen sich und Kleist einzuschieben. Es sei die Zeit nach Aspern und Wagram gewesen. Bei einer Zusammenkunft mit Berliner <473:> litterarischen Freunden zwischen Berlin und Potsdam habe er durch Robert einen Brief Heinrich’s von Kleist empfangen, im Wesentlichen des Inhalts: „Wir beide sind nun wohl als Dichter mündig geworden, und der Schule ledig. Es wäre darum an der Zeit, daß wir einander auch in dieser Hinsicht die Hände böten zum heitern Bund und Verkehr.“ Er, Fouqué, sei mit hoher Freude darauf eingegangen, noch eigenthümlich ergriffen durch die Andeutung, es werde sich bei einem verheißenen Besuche Kleist’s in Nennhausen eine ganz wunderbare, bis jetzt noch völlig verschwiegene „prästabilirte Harmonie“ zwischen ihnen beiden offenbaren. Fouqué schreibt so, daß in uns die Vorstellung der Anbahnung eines Verkehrs mit Kleist entstehen soll. Die Angabe „nach Aspern und Wagram“ muß das Jahr 1809, allenfalls 1810 bedeuten: und doch soll sich, wie Fouqué weiter schreibt, Kleist „wenige Monde nachher “ an derselben Stelle erschossen haben!
Diese Darstellung entbehrt nun aber des historischen Werthes für uns, weil sie weiter nichts als die mißverständliche Benutzung eines wirklichen Briefes Kleist’s an Fouqué, aus Berlin vom 15. August 1811, ist.
Fouqué hatte nämlich Kleist im Sommer 1811 seine bei Hitzig erschienenen „Vaterländischen Schauspiele“ übersandt, deren erstes ein Trauerspiel „Waldemar der Pilger, Markgraf von Brandenburg“ und zweites das Schauspiel „Die Ritter und die Bauern“ war. Beide Stücke behandelten märkisch-vaterländische Stoffe. Der echte Waldemar erscheint im Brandenburger Lande wieder als Retter aus der Noth. Der Adel, die Bauern und die Städter schließen sich ihm an, selbst der Kaiser tritt auf seine Seite. Verwüstend aber geht der Aufruhr durch Land und Reich; der Gegenkaiser Günther empfängt den Gifttrank aus des eignen Arztes Hand. Tief erschüttert <474:> entsagt der fromme Waldemar dem Thron und zieht sich in die Einsamkeit zurück\*\. Das Schauspiel „Die Ritter und die Bauern“ griff, sichtbarer noch, in die schwebenden Zeitverhältnisse ein. Uralte Treue verbindet die Herrschaft und die Bauern eines märkischen Dorfes. Des Junkherrn wildes Blut, im üppigen Herrendienst verwöhnt, kann sich zwar zu übler That vergessen: in schwerer Prüfung aber wird die ernste Pflicht des Edelmannes und die treue Liebe des Bauern neu geboren. Ganz in dem Sinne der Abendblätter, die die alten patriarchalischen Verhältnisse auf dem Lande bewahren oder, wo sie entartet wären, wiederherstellen wollten.
Manche Stelle in den Stücken hat mich auch heute noch gerührt: indessen episch, nicht dramatisch. Es sind eigentlich dialogisirte Erzählungen, in denen Schiller’s Einfluß sich bemerkbar macht. Das mußte Jedermann empfinden. Kleist wird über den Sigurd und die Vaterländischen Schauspiele nicht viel anders geurtheilt haben, wie alle seine Freunde. Trotzdem hatte er in einem dankenden Brief keine Veranlassung, Fouqué wehe zu thun. In der Gesammttendenz, wie sie auch herauskommen mochte, war er ja mit Fouqué einig. Man höre die Verse des Prologs zum Waldemar, in denen Fouqué von sich, als dem Dichter, sagt:

– froh griff er zu seiner Zither,
Drin er die Brandenburger Namen sang,
Die fast noch unbesungnen Heldennamen,
Und doch des Priesters werth, wie andre je,
Und ihm vor allen andern heimisch lieb;
Denn freudig nennt er Brandenburger sich. <475:>

Als Brandenburger fühlte sich auch Kleist. Er half sich Fouqué gegenüber so, daß er ein Einzelnes mit Lob hervorhob, um das Ganze nicht zu loben: „Ihren vaterländischen Schauspielen bin ich einen Tag der herzlichsten Freude schuldig; besonders ist eine Vergiftungsscene im Waldemar mit wahrhaft großem und freiem dramatischen Geiste gedichtet, und gehört zu dem Musterhaftesten in unserer deutschen Literatur.“ Und nun rasch die verbindlich ablenkende Wendung: „Wenn es Ihnen recht ist, so machen wir einen Vertrag, uns Alles, was wir in den Druck geben, freundschaftlich mitzutheilen.“ Mit dem zweiten Bande seiner Erzählungen macht er gleich den Anfang: „Vielleicht kann ich Ihnen in Kurzem gleichfalls ein vaterländisches Schauspiel, betitelt: „Der Prinz von Homburg“ vorlegen, worin ich auf diesem dürren, aber eben deshalb fast, möcht’ ich sagen, reizenden Felde, mit Ihnen in die Schranken trete.“ Ich empfinde Kleist das stolze, und doch so zart verhüllte Gefühl nach, daß er in diesem Wettstreit nicht verlieren werde. Mit keinem Wort spricht er das aus. Im Gegentheil, wie einen Gleichen behandelt er den Freund. Er wäre gern schon nach Nennhausen gekommen. Vielleicht geschehe es noch im Herbst. Die durch Arbeitsstoff und Arbeitsweise bereits bekundete Gleichheit der Anschauungen werde sich im vertrauten Umgang nur noch mehr bewähren, ein Gedanke, den Kleist’s graziöse Verbindlichkeit so ausdrückte: „inzwischen kommt es mir vor, als ob eine Verwandtschaft zwischen uns prästabilirt werde, die sich in kurzer Zeit (wenn ich nach Nennhausen käme) wunderbar entwickeln müsse.“ Es liegt in dieser Art, Fouqué zu behandeln, etwas ungemein Gutherziges, das Kleist immer eigen blieb.
Jedermann sieht nur, was Fouqué’s Darstellung dem Briefe Kleist’s entnahm. Aber auch noch sein Gedicht: „Ab- <476:> schied von Heinrich von Kleist. Am 27. October 1811“ diente ihm als Quelle\*\. Denn die Verse
So standen wir, nun fest im Männer-Bund
Die Hand uns drückend …
haben einige Färbung später hergeliehen. Wir müssen also, in Anbetracht der Quellen, von Fouqué’s „Erinnerung“ künftig absehen. Auch Robert’s Vermittelung ist wohl abzulehnen. Denn Robert, der jüdischer Abkunft war, stand mit Kleist und seinen Freunden, deren christlich-deutsche Tischgesellschaft gerade Robert’s Kreise ausschloß, nicht auf dem Fuße, den Fouqué’s Gutmüthigkeit für möglich halten konnte. Im Gegentheil, gerade damals hatten sich die Dinge sehr scharf zugespitzt, und in dem Zwiste, der im Sommer 1811 ausbrach, ergriff Robert natürlich die Parthei der Seinigen. Die Dinge trugen sich anders zu, als Fouqué sich erinnerte.
Ich wende mich nun zu dem, was ich positiv zu sagen habe. Fouqué kam, wie jeder märkische Edelmann, der es möglich machen konnte, zu der Königlichen Majestäten Rückkehr (Weihnachten 1809) nach Berlin. Er muß bei Hofe bemerkt worden sein. Denn Gruner’s Polizei-Rapporte melden dem Könige für 31. Januar und 1. Februar 1810: „de la Motte Fouqué, Lieutenant außer Diensten, zurück nach Nennhausen.“ Fouqué’s Rückreise fiel demnach genau mit Kleist’s Ankunft in Berlin zusammen. Aber Fouqué kann nur kurze Zeit von Berlin entfernt gewesen sein. Denn im März 1810 treffen wir Kleist und seine Freunde mit Fouqué zusammen auf dem Abendschmause beim Buchhändler Sander (oben S. 442). Den Sommer 1810 brachte Fouqué auf seinem Gute Nennhausen <477:> zu. Im Herbste kam er wieder nach Berlin, und nun wurden Gesellschaft, Liedertafel, Schriftstellerei und Abendblätter die Verbindung zwischen Herrn und Frau von Fouqué und dem Freundeskreise Heinrich’s von Kleist.
Fouqué erwähnt all dieser Dinge in seiner Lebensgeschichte mit keinem Worte: nicht einmal der Abendblätter gedenkt er, in denen doch von Anfang an eine freundschaftliche Gewogenheit für Fouqué’s Gattin und hernach für Fouqué’s eigene Mitarbeit hervortritt. Im 5. Abendblatt berichtet Adam Müller über litterarische Merkwürdigkeiten, an erster Stelle über Frau von Staël, um dann fortzufahren: „Viel näher steht uns, da wir einmal von geistreichen Frauen reden, die Schrift unsrer Landsmännin, der Frau von Fouqué, „über weibliche Bildung“, welche gleichfalls in diesen Tagen (October 1810) erwartet wird“; in der „eine deutsche Frau, mit ihrer eigenthümlichen Klarheit und Innigkeit, über die Grenzen ihres Geschlechtes reden“ werde. Man empfindet die graziöse Verbindlichkeit dieser Worte gegen die befreundete Dame. Und als das Buch der Frau von Fouqué wirklich erschienen war, prophezeite Adam Müller im 22. Abendblatte allzu galant, daß es in der deutsche Kalenderfluth des Jahres 1811 nicht untergehen werde\*\. Ohne sich für die Ansicht der Frau von Fouqué, daß kein Gebiet des Lebens den Frauen verschlossen sein dürfe, zu entscheiden, rieth er den Leserinnen der Abendblätter dennoch eine eindringliche und zu dem Buche wiederkehrende Lectüre an, das für ein leichtsinniges Aburtheilen in der nächsten Theegesellschaft zu schade sei. Und als die Abendblätter schon eingegangen waren, bezeichnete Kleist das nächste Werk der Frau von Fouqué, die Kleinen <478:> Erzählungen von 1811, in denen die Welt der Weiber und Männer wunderbar gepaart sei, in einem seiner Briefe als vortrefflich.
Fouqué selbst meldete sich im 18. Abendblatte, vom 20. October 1810, zum ersten Male, als ein in Berlin Anwesender, zu Worte; und den bibelfrommen, hochkirchlichen Ton, den er annahm, behielt er für eine Gruppe religiös gefärbter Artikel bei, die nunmehr zu betrachten sind.

\*\ Der in die Werke Brentano’s (8, 165) aufgenommene Brief ist natürlich nicht vom Jahre 1812, wo Brentano nicht mehr in Berlin war, sondern gehört in das Jahr 1810; Fouqué und Brentano sehen wir danach zusammen an der Liedertafel. – Nach Brentano’s „Legende“: Draus bei Schleswig an der Mauer (sic!) dichtete Fouqué das Gedicht „Der Schutz der Mutter“ (Gedichte 1827. 5, 104).
\*\ In anderer Weise hat Arnim, ohne seine Dichtung abzuschließen, in zwei zusammengehörigen Stücken die Geschichte des echten und die des falschen Waldemar behandelt.
\*\ In Fouqué’s Gedichten (1817. 2, 220): „October“ daselbst irrthümlich für „November“.
\*\ Es scheint doch untergegangen zu sein, ich habe es mir nirgends verschaffen können.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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