Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 441-447
Aus der Hervararsaga
IV. Wilhelm Grimm.
Bei der Zugehörigkeit der Brüder Grimm, als sie noch junge
Männer waren, zur Heidelberger Romantik, kann es nicht fehlen,
daß auch zwischen ihnen und Kleist Beziehungen irgend welcher
Art hinüber und herüber spielten. Je weniger noch davon greifbar
hervorgetreten ist, desto mehr scheint es mir nöthig, darüber
jetzt Etwas zu sagen.
Es ist bekannt, daß die Brüder Grimm schon früh mit
planmäßiger Sammlung von Büchern, Manuscripten und Zeitschriften
begannen, denen, nach ihrem Gefühle, eine künftige Bedeutung
beiwohnen werde. Sie hielten sich daher 1808, wie ihre Heidelberger
Freunde von der Einsiedlerzeitung, Kleists und Müllers
Phöbus, von dem ein schönes Exemplar in ihrem Nachlaß vorhanden
ist (im Handexemplar des dritten Bandes der Märchenausgabe
von 1822 finde ich aus Kleists Phöbus das
Märchen von der langen Nase zum Märchen Der Krautesel
notirt). Kleists Erzählungen und die organischen Fragmente
aus seinen dramatischen Dichtungen liebten und bewunderten
sie. Daneben durften die geschichtsphilosophischen Betrachtungen
Müllers über die deutsche Sprache von ihnen nicht unbeachtet
bleiben. Ich verweise auf das Märzheft von 1808. Müller spricht
da über Wesen und Entfaltung unserer Sprache, über das Pedantische
und den Purismus bereits Meinungen aus, die von der wissenschaftlichen
Arbeit der Brüder nachher als Grundsätze festgestellt worden
sind. Ohne daß Müllers Construction dieser Dinge ihnen
jedoch hätte zusagen können. Seit dem Phöbus waren sie vielmehr
mißtrauisch gegen Müller, aber herzlich eingenommen für Kleist.
Als Wilhelm 1809 in Berlin erfuhr, Heinrich von Kleist sollte
in dem Kloster der Barmherzigen Brüder <442:> zu Prag
gestorben sein, theilte er Jacob diese Nachricht als das Traurigste
mit, das er vernommen habe: in Kleist stecke undenklich mehr
als in seinem Freunde und Mitherausgeber Müller. Und weil
die Brüder Kleists Schaffen im Auge hielten, darum gaben
ihnen Arnim und Brentano, als Kleist 1810 in Berlin eingetroffen
war, ausführlichere Berichte über ihn, die, bisher unbekannt,
hier in ihrer Gesammtheit hervortreten mögen.
Clemens Brentano 1810, Anfang April, an Wilhelm Grimm:
Unsre Tischgesellschaft hat sich jetzt sehr vermehrt.
Der Poet Kleist, den Müller einmal todt gesagt, und nachdem
er ihn hier wieder besucht und darauf aufs Land gegangen,
mir als einen plötzlich mystisch verschwundenen angekündigt,
ist frisch und gesund unser Mitesser, ein untersetzter Zweiunddreißigjähriger,
mit einem erlebten runden stumpfen Kopf, gemischt launigt,
kindergut, arm und fest. Von seinen Arbeiten habe ich im Phöbus
mit ungemeinem Vergnügen die zwei ersten Akte des Trauerspiels
Käthchen von Heilbronn und die Erzählung Kohlhaas gelesen,
worinn vieles sehr hart, vieles aber ganz ungemein rührend
und vortrefflich gedichtet ist, es macht Ihnen gewiß Vergnügen.
Was mich aber bei der Sache ängstigt, ist, daß er sehr, sehr
schwer und mühsam arbeitet. Er erzählt weiter noch von
einem Abendschmause beim dicken guten, alle Jahre einmal
verrückten Buchhändler Sander, der außer ihm Bernhardi,
Fouqué, den Kapellmeister Weber, Pistor, Kleist, Müller u. a.
geladen hatte. Und Arnim schrieb zu gleicher Zeit mit Clemens,
Fouqué sei da, empfindlich über seine und Wilhelms Recension
des Sigurd in den Heidelberger Jahrbüchern: Nach ihm
ist Kleist angekommen, eine sehr eigenthümliche, ein wenig
verdrehte Natur, wie das fast immer der Fall, wo sich Talent
aus der alten Preußischen Montirung durcharbeitete. Hast Du
seinen Kohlhaas im Phöbus gelesen? eine treffliche Erzählung
<443:> wie es wenige giebt. Er ist der unbefangenste,
fast cynische Mensch, der mir lange begegnet, hat eine gewisse
Unbestimmtheit in der Rede, die sich dem Stammern nähert und
in seinen Arbeiten durch stetes Ausstreichen und Abändern
sich äußert. Er lebt sehr wunderlich, oft ganze Tage im Bette,
um da ungestörter bei der Tabakspfeife zu arbeiten.
Demnächst lud Arnim die Brüder zur Mitarbeit an den
Abendblättern ein. Am 3. September 1810: Kleist ist
der beste Kerl, er giebt jetzt ein Abendblatt heraus, wozu
Ihr einige Casseler Notizen, Späße und dergleichen liefern
müßt. Dazu kam es nun freilich während des ersten Quartals,
der guten Zeit des Unternehmens, nicht. Aber am 15. December
1810 meldete Wilhelm Arnim, er lerne jetzt isländisch und
arbeite fleißig an den nordischen Sagen, es sei oft eine große
gewaltige Poesie darin, meist aber roh und unbeholfen ausgedrückt:
Die Hervararsage, eine der ältesten und schönsten, hab
ich mir fast fertig übersetzt; ich lege Dir einige Räthsel
daraus bei, die sicher Volksräthsel waren und mir sehr
schön vorkommen. Wäre es Dir in irgend einer Hinsicht lieb,
eine Abschrift vom Ganzen zu haben, so brauchst Du es nur
zu äußern: es ist eine große Bedeutung in dem Gedicht, vielleicht
möchtest Du etwas davon benutzen. Ebenso hatte Wilhelm
Grimm damals Görres Proben angeboten. Von seiner Uebersetzung
der ganzen Hervararsage nach dem Originaltexte spricht Grimm
auch im Sendschreiben an Gräter 1813 öffentlich. Wo Poestion
in seiner altnordischen Waffensage: Das Tyrsingschwert
(Hagen und Leipzig 1883) eine Uebersetzungsgeschichte der
Hervararsage giebt, käme also diese Uebersetzung als unerläßlich
hinzu.
Arnim erwiderte in seinem Neujahrsbriefe auf 1811:
Deine Räthsel sind sehr angenehm, ich will sie dem Kleist
für die Abendblätter geben; freilich kommen sie da nicht immer
<444:> in die beste Gesellschaft, aber der arme Kerl
hat seine bittre Noth mit der Censur. Die Absendung
des Neujahrsbriefes verzögerte sich aber, durch Arnims
Verheirathung, bis in den März 1811 und inzwischen hatte Wilhelm
Grimm am 22. Januar 1811 noch einige nordische
Räthsel an Arnim gesandt, um dann plötzlich verwundert
in den Abendblättern, die er für die Casseler Lesegesellschaft
hielt, zu bemerken, daß nach dem ersten Manuscripte Räthsel
aus der Hervararsage im 19. Blatte des zweiten
Quartals, vom 23. Januar 1811, anonym abgedruckt worden
waren. An die Möglichkeit oder Absicht einer Veröffentlichung
bei Kleist hatte Wilhelm Grimm ursprünglich nicht gedacht;
und deshalb nahm er in seinem kritisch-antikritischen Sendschreiben
an Gräter Anlaß zu erklären, daß er das, was aus seiner nie
zum Druck bestimmt gewesenen Uebersetzung der Hervararsage
gelegentlich gedruckt sei, selbst als unrichtig oder ungenau
verwerfe. Diese Stelle im Sendschreiben geht auf Kleists
Berliner Abendblätter.
Die erste Sendung Räthsel ist also bei Kleist gedruckt,
und danach, nicht ganz genau, in Wilhelm Grimms Kleineren
Schriften (1, 171) wiederholt; die zweite Sendung liegt
mir, da Arnim sie entweder Kleist nicht mehr übergeben, oder
dieser sie nicht hat drucken mögen, aus Arnims Nachlaß
in der originalen Handschrift vor.
Der Druck bei Kleist (Nr. 19, 1811) hat folgenden
Wortlaut:
Räthsel aus der Hervararsaga.
(Der König Heidrekur hat einem reichen Manne in Gothland,
der Giestur heist, der ihm Feind war und ihm seiner bösen
Thaten wegen oft Unglück gewünscht hatte, die Wahl gelassen,
entweder sich dem Urtheil seiner zwölf weisen Männer zu unterwerfen,
oder mit ihm in Räthseln zu streiten. In der Noth, da er durch
beides gefährdet wurde, hört Giestur Abends an seiner Thüre
pochen; ein Mann tritt ein, der ihm heißt, die Kleider mit
ihm tauschen. Das geschieht, der Ver- <445:> kleidete
geht nun an des Königs Hof, wird dort für den Giestur erkannt,
und will sich auf Räthsel mit dem König einlassen, der es
nicht ahndet, daß es Othin ist, der vor ihm steht.)
Ich wähle nur einige aus.
II. Giestur sprach: heim fuhr ich gestern, sah ich
auf dem Weg Wege: war da Weg unten, Weg oben, und Weg in allen
Wegen. Heidrekur König, denk du an das Räthsel.
König antwortete: Gut ist dein Räthsel, errathen ist
das. Da fährst du über eine Brücke, und Weg war unter dir
nieden, und Vögel flogen über deinem Haupt, und rund um dich:
und war darum Weg auf allen Wegen.
III. G. sprach: Was ist das für ein Trank, den trank
ich gestern? das war nicht Wein, nicht Wasser, nicht Meth,
nicht irgend eine Speise, fuhr doch durstlos davon? Heidrekur
&c.
König antwortete: Errathen &c. Du lagst im Schatten,
als der Thau war gefallen aufs Gras und kühlte dir deine
Lippen.
IV. G. sprach: Wer ist der Schallende, er geht auf
hartem Weg, ist oft vorher weggesprungen, oft küßt er, hat
zwei Münde, und zu Gold nur geht er? Heidrekur &c.
König antwortete: das ist der Hammer, den hat der
Goldschmied.
V. G. sprach: Was sind das für Mägdlein, sie gehen
oft zusammen nach ihrer Natur, manchem Mann haben sie Leid
gebracht?
König antwortete: das sind Meer-Mägdlein (d. h.
Wellen) und thun die manchem Mann Leid an, und sind manche
zusammen.
VI. G. sprach: Was sind das für Wittwen, die gehen
alle zusammen, nach ihrer Natur, selten sind sie günstig den
Männern, und müssen im Winde wachen?
König antwortete: das sind die Meeres-Töchter (die
Wogen), die gehen stets drei zusammen, wenn der Wind sie aufweckt.
VII. G. sprach: Was sind das für Weiber, die gehen
in kleinen Haufen (wie Wasser das mit Schnee hin und wieder
bedeckt ist), haben bleiches Haar und sind weiß geschleiert,
und achten auf nichts?
Heidrekur antwortete: das sind die Meereswellen, die
gehen rauschend und kämmen ihren weißen Scheitel auseinander
und ihren bleichen Schleier: ihnen folgen immer Seemänner
und sind achtlos.
IX. G. sprach: Was ist das für ein Thier, was ich
drinnen sah, unter des Königs Thieren, hat acht Füße und vier
Augen, trägt die Kniee höher, als den Magen?
Heidrekur antwortete: das ist ein klein Thier, das
heißt der Gewebekönig (die Spinne). <446:>
X. G. sprach: Was ist das für ein wunderlich Ding,
das sah ich draußen, hatte sein Gesicht zur Hölle gekehrt,
und seine Füße zur Sonne hinauf?
Heidrekur antwortete: Das ist Spieß-Lauch, der hat
Zwiebel in der Erde und Blatt zur Sonne.
Wilhelm Grimms Manuscript der zweiten, nicht bei Kleist
gedruckten, Sendung enthält noch folgende Räthsel:
Wer ist der Große, der fährt über die Erde, verschlingt
Wasser und Wälder, fürchtet den Wind, aber einen Mann nicht,
und thut der Sonne Leids an?
Das ist der Nebel, der schlägt den Sonnenschein, und
der Wind besiegt ihn, aber kein Mann.
Wer sind die Brüder, die in Schaumkleidern waten, haben auf
dem Meer ihre Fahrt; hartes Bett haben ihre weißgeschleierten
Frauen, und spielen in der Windstille wenig?
Das sind die Wellen, die spielen mit den Felsen, und
waten in dem Meer, und ruhen bei Windstille.
Wer ist der Große, der über manchen herrscht, und neigt sich
zur Hölle halb, heißt Bürge, wird tief in die Erde begraben,
wenn er hat treue Freunde?
Das ist der Anker mit guten Strängen, herrscht über
manches Schiff und treibt den einen Haken in die Erde und
senkt sich so zur Erde und verbürgt manchen Mann.
Was ist das für ein Wunder, das sah ich an des Königs Hof:
zwei unterjochte und leblose trugen was verwundet und an der
Seite hängt?
Das sind die Schmiedsbälge, die sind leblos und unterjocht
und haben doch vor sich manch gutes Schwert geschmiedet.
Zwei Brüder bleichhaarig tragen zwei Mägdlein zur Kammer:
war da keine Thüre, ist nicht von Händen gemacht, vom Hammer
geschmiedet. Draußen war glänzend vor dem Eiland, der es machte?
Das ist das Ei und das Junge darin: die Schale ist
das Haus des Jungen. Das ist weder geschlagen vom Hammer,
noch mit Händen <447:> gemacht. Der Schwan ist der Mann,
der das gethan, und singt glänzend außen vor dem Eiland.
Fahren sah ich der Erd aus Bewohner: saß Aas auf Aas, Blinder
ritt auf Blindem zu dem Seestrand; das Roß war leblos?
Du fandest ein todtes Pferd, das lag auf einem Eisstück,
und ein todter Aar auf dem Pferd. Das magst du gesetzt haben
zu schwimmen allsammen auf dem Wasser.
Viel war jüngst Nasengans gewachsen und wollte Kinder haben,
trug Bauzeug zusammen, bedeckte des Halmbeißers Spieße, und
die Brüllschale lag über der Thüre?
Da fandest du eine Ente mit den Eiern, die lag zwischen
zwei Ochsenkinnladen, die nanntest du Halmbeißers Spieße,
Brüllschale nanntest du den Hirnschädel vom Ochsen.
Sah ich im Sommer, vor Sonnenuntergang tranken Herrn\*\
den Meth schweigend, und rief das Glas, woraus sie tranken?
Da fandst du Ferkel, die tranken stillschweigend,
und das Schwein grunzte dabei.
\*\ Wortspiel mit
Sir (Herr) und Syr (Ferkel).
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