Reinhold Steig, Heinrich
von Kleists Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart:
Spemann 1901), 433-440
III. Clemens Brentano.
Clemens Brentanos Mitarbeit
an den Berliner Abendblättern erschöpfte sich leider mit den
beiden Beiträgen, die Friedrichs Seelandschaft und Otto
Runges kurz bemessene Künstlerlaufbahn behandelten.
Ein dritter Aufsatz ist ihm, bei Verlesung der Unterzeichnung
L. B. (= Ludolph Beckedorff), irrthümlich zugeschrieben
worden. Ich hätte, da die beiden Aufsätze in dem Kunst-Capitel
ihre Stelle fanden, keinen Anlaß mehr, über Brentano hier
zu sprechen, wäre mir nicht klar geworden, daß eines seiner
groß angelegten Gedichte, das der zweite Band seiner Gesammelten
Schriften, S. 70, im ersten Druck uns bietet, ursprünglich
für Kleists Abendblätter gedichtet wurde und in ihnen
erscheinen sollte. Ich meine das Gedicht Vom großen
Kurfürsten. Gesicht eines alten Soldaten in Berlin vor der
Wiederherstellung des preußischen Staates am 14. October.
Kein Interpret hat das Gedicht bisher vorgenommen: gleichwie
auch die Einordnung in die Gesammelten Schriften chronologisch
irrig ist. Brentanos Berliner <434:> Wirksamkeit
in preußisch-patriotischer Richtung hat deshalb die Beachtung,
die ihr gebührte, nicht finden können.
Die Dichtung Vom großen Kurfürsten ist
das tief bedeutsame Traumgesicht eines Fridericianischen Sergeanten
am 14. October 1810! dem unseligen Gedenktage
der Schlacht von Jena, die Preußen niederstreckte. Gram und
Kummer um sein Vaterland erfüllt die Seele des alten Kriegers.
Er erzählt den schweren Traum, den er die Nacht geträumt.
Es war mir gestern trüb der Tag, beginnt
der Sergeant. Was ihm sonst lieb sei, habe er unwirsch gestern
von sich gestoßen. Sein Dompfaff sang ihm gar noch den Siegesmarsch
vom alten Dessauer vor. Da hielt es ihn nicht länger in dem
Hause. Er schleicht hinaus auf
die stillen, vom Mond beschienenen Straßen, die er heute von
Herzen hassen muß. Die Himmelssterne kommen ihm vor wie ein
zersprengter Heldenchor. Der Mond steht ihm am Himmel wie
ein bestochener Commandant. Wir fühlen, auf welche Ereignisse
von 1806 das gehen soll. So gelangt der Veteran zum Großen
Kurfürsten auf der Langen (jetzt Kurfürsten-) Brücke, und
hier, wo Preußens Macht und Größe unerschütterlich von Schlüters
Hand verkörpert steht, setzt er sich am Sockel zu den gefesselten
Sklaven nieder, schläft ein und träumt.
Die vier Riesen, diese Allegorie von Monarchie
und Victorie, wollen die harten Eisenschellen ablegen.
Die Zeit nimmt, merken sie, einen anderen Lauf. Da erscheint,
geisterhaft, auf der Langen Brücke das Sinnbild des Unglückstages
von Jena und Saalfeld: ein Jüngling in bittrem Leid und tiefer
Trauer:
Eine blutge Fahn war sein Gewand,
Ein blutig Schwerdt trug seine Hand,
In seinem Haupt eine große Wund, <435:>
über die ein Adler, der preußische Adler, seine Fänge spreitet,
die herabhängenden Flügel in das verworrene Haar des Jünglings
mischend. Ringsum wird Trauer laut:
Da zog die Luft mit wildem Schauer,
Und tiefaufklagend seufzt die Spree,
Das weite Königsschloß hallt Weh.
Die vier Sklaven, still erbebend, bitten den Jüngling, ihnen
die Fesseln lösen zu helfen. Er thut es auf des Kurfürsten
Geheiß; denn sein ungebeugter Hohenzollernsinn ist ohne
sie gleich eben reich. Sie aber kehren nach langem Rath,
wohin sie sich begeben könnten, ungefesselt zu den Füßen ihres
Helden zurück als an die Stelle, wo sie hingehören: denn die
Männer, die einst Friedrich Wilhelms kräftige Hand,
zum Segen ihres Landes, dem Hohenzollernstaate dienstbar machte,
wollen jetzt, in der Zeit der Noth, dem königlichen Enkel
nicht die Treue brechen.
Der arme Jüngling wird vom Kurfürsten fortgewiesen.
Die Ketten, mit denen er sich nun belastet, und die
ihm der Sergeant mitleidig tragen hilft, will er in das Zeughaus
(die heutige Ruhmeshalle) hinübertragen. Sein Weg führt ihn
durch den Hof des Königlichen Schlosses (der früher als Durchgang
dem allgemeinen Verkehre offen stand). Da ruft das Schloß:
O weich hinaus!
Du führtest einst nen Gast mir zu,
Der mir hinaustrug meine Ruh,
hatte doch gewissermaßen der 14. October es verschuldet,
daß durch das Brandenburger Thor her Napoleon in das Schloß
einziehen durfte. Nun wendet sich der arme Jüngling zum Lustgarten
hinaus. Aber ihn packt die Furcht, daß der alte Dessauer (dessen
von Gottfried Schadow 1800 vollendetes Standbild <436:>
damals seinen Platz vornan im Lustgarten hatte, bis es später,
in Bronce, auf den Wilhelmsplatz versetzt wurde) ihn gleichfalls
hart anschnarchen werde, und er schleicht die Mauer entlang
am Dom vorbei. Doch auch von den Stufen des Domthores herab
schallt ihm Fluch entgegen, aus dem Munde des Steinbildes
eines Jünglings, dem ein Hündchen zu den Füßen liegt, und
der viel Thränen in seinen schwarzen Thränenkrug vergießt.
Ein noch schlimmerer Empfang wird ihm im Zeughause bereitet.
Die Masken der sterbenden Krieger entsetzen sich beim Anblick
des Jünglings, die Medusa oben von dem Bogen sträubt ihr Schlangenhaar.
Er darf die Fesseln in dieser Ruhmeshalle preußischer Waffenehre
nicht niederlegen, verflucht und elend wankt er weiter.
Beide Wanderer kommen bis vor das Palais Heinrich,
die neue Universität. Der arme Jüngling sieht schaudernd nach
dem Brandenburger Thore hin, durch das der Feind in die Stadt
eingezogen war, und dem sein Wahrzeichen, die Victoria, fehlt.
Der Morgenwind erhebt sich, der Hahnenschrei ist nahe. Der
elende Jüngling bittet um Rath, wohin er sich begeben solle.
Ihm wird zur Antwort:
Zu Stralsund lass die Ketten fallen,
Die Fahne lass zu Kolberg wallen;
Den Adler bade in der See,
Er steigt dann wieder frisch zur Höh,
Und du geh still gen Eilau los,
Leg dich dort in der Erde Schooß.
So seis, erschallt die Antwort, und der
Geist des armen Jünglings verschwindet vor dem LEstocqschen
Hause unter den Linden. Der Dichter meint, daß durch Thaten,
wie die zu Stralsund (Schill!), Kolberg (Gneisenau!), Eilau
geschehenen, der Tag von Jena ausgestrichen werden könnte.
Es war dies also die Gesinnung der preußischen Kriegs-
<437:> parthei, die die Freunde von den Berliner Abendblättern
hegten, und drastisch genug ist der Unmuth des Sergeanten
im Eingang des Gedichtes von Anspielungen auf die Abendblätter
und ihren Inhalt angefüllt.
Der alte Querkopf läßt Jeden seine üble Laune fühlen,
der in seine Nähe kommt. Er schimpft seinen alten Knecht einen
läusischen Gesellen und die Magd von sechzig Jahren eine junge
Metze\*\. Am übelsten
ergeht es dem Barbier, der schon seit zwanzig Jahren ihm auf
seiner Backe die Ehrenspur der alten Narbe polirt. Die Scene
ist von Brentano mit behaglicher Breite ausgeführt. Der Barbier
wehrt sich mit komisch-ergiebigem Wortgefäll:
Mein Herr Sergeant, könnt ich es lassen,
All Tag Sie bei der Nas zu fassen,
Wahrhaftig auf der Polizei
Macht ich sogleich ein Klaggeschrei,
Halb eingeseift, der ganzen Stadt
Stellt ich Sie vor im Abendblatt.
Doch findet Ihre Unvernunft
Bei meim Verstand heut Unterkunft
worauf er den Barbiersack nahm und sah, daß er zur Thür naus
kam.
Diese Verse spielen vergnüglich auf Gruners
Polizei-Nachrichten in den Abendblättern an, und parodiren
die Barbierscene in der Muthwille des Himmels
überschriebenen Anekdote (im Abendblatt vom 10. October,
vgl. oben S. 360), derzufolge der Feldprediger den Barbier,
welcher den General bei der Nase gefaßt hielt, hinwegschickte,
und diesen eingeseift und mit halbem Barte begraben
ließ. Wenn die <438:> Anekdote ursprünglich von Arnim
aufgeschrieben wäre, so hätten wir hier in dem Gedichte Brentanos
den analogen Fall wie in den Acten der Tischgesellschaft,
wo Clemens auf den Ernst der Appelmänner seinen
Scherz von dem Gießener Professorensohne folgen
ließ.
Der Sergeant, dem heute nicht einmal sein Schill-Knaster
schmecken will, ärgert sich über die Leute draußen weiter:
Ich glaubt, wer ging am Haus vorbei,
Daß er auch ein Mordbrenner sei;
Mein eigne Handschuh leert ich aus,
Als falle Werg und Schwefel raus
voll neuer Anspielungen auf Berichte der Abendblätter. Die
Einwohnerschaft wurde in den Octobertagen 1810 von einer Reihe
vorsätzlicher Brandstiftungen in Athem gehalten. Der Polizei-Rapport
im 2. Abendblatt meldet, daß auf der Straße ein alter baumwollener
Handschuh gefunden und der Polizei eingeliefert worden
sei, der, mit einer Menge Holzkohlen, Feuerschwamm, Papier
und einem Präparat von Kohlenstaub und Spiritus angefüllt,
schon bei Annäherung der Flamme Feuer fing und sehr gefährlich
hätte werden können. Ueberall wollte man die Brandstifter
gesehen haben, und das Abendblatt vom 9. October verzeichnete
das Stadt-Gerücht, daß die berüchtigte Louise
von der Mordbrenner-Bande möglicherweise sich noch in der
Stadt befinde. Hierauf also gehen Brentanos Verse.
Der alte Veteran, als patriotischer Mann, liest natürlich
Kleists Abendblatt, auf das er, wie Jedermann, der Nichts
und Viel zu thun hat, immer ungeduldig wartet. Mit Behagen
schmaust er sonst die Neuigkeiten des Abendblattes ein. Aber
dies Mal, <439:>
als das Abendblatt ankam,
Ichs zornig von dem Burschen nahm,
Und las und nannt die Kunstkritik
Darin ein neidisch Zorngeflick,
Die tapfern Reiteranekdoten
Las ich mit tausend Schock Schwernothen,
Die Noten von der Polizei
Las ich wie eine Litanei,
Und sagte endlich: Amen, Amen!
Warfs an die Erd ins Teufels Namen
Verse, zu denen die im 6. Abendblatt einsetzende Kunstkritik
Ludolph Beckedorffs, die prachtvolle Jenaer Reiteranekdote,
und die Polizeilichen Tages-Mittheilungen ebendaselbst den
Grund hergaben. Die Schwerenothen und der Fluch
ins Teufels Namen stammen wörtlich aus der
Reiteranekdote. Es ist ein echter Witz Brentanos, daß
er den Schwerenothen die Noten der Polizei reimend
gegenüber stellt. Die amtliche Eintönigkeit dieser Noten,
die er in verschiebendem Wortspiele als musikalische Noten
faßt, vergleicht er dem monotonen Vortrage einer Litanei,
die gewohnheitsmäßig mit Amen! Amen! schließt: während die
alte Kriegernatur des Veteranen sich gleich wieder mit kräftigem
Fluche Luft zu machen sucht.
Eine weitere Stelle ist noch zu betrachten. Wie der
Sergeant mit dem Geiste des Jünglings, der der Schloßwache
unsichtbar geblieben ist, vor dem Palais Heinrich steht, kommt
des Sergeanten Pudel hergesprungen:
Doch kaum sieht er mein Leidgesellen,
Als er gar bang sich thät anstellen,
Er hängt den Schweif, zieht mich am Kleid
Und bleckt die Zähn voll Grimmigkeit,
Und thut sich ängstiglich bemühen
Von meim Geselln mich abzuziehen.
Man bemerke die Situation im Bettelweib von Locarno (im Abendblatt
vom 11. October): Der Hund, den Markese und <440:> Markesin
in das unheimliche Zimmer mitgenommen haben, erwacht beim
ersten Schritte des Gespenstes, hebt sich, die Ohren spitzend,
vom Boden empor, und knurrend und bellend, grad als
ob ein Mensch auf ihn eingeschritten käme, weicht er rückwärts
aus. Die parodistische Anspielung auch auf diese Erzählung
Kleists ist bei Brentano Absicht.
Der Zusammenhang des Traumgesichtes mit
den Berliner Abendblättern reicht also bis zum 11. October
1810 nicht weiter! Es folgt daraus: Brentano arbeitete
seit dem 10. oder 11. October im Voraus, wie natürlich,
sein Gedicht für das Tags nach dem 14. October erscheinende
Abendblatt. Nun aber kam störend der Verdruß mit Friedrichs
Seelandschaft (13. October) dazwischen. Dem sehr empfindlichen
Brentano verging die Lust, an sein Gedicht die letzte Hand
zu legen. So blieb es unbenutzt und unvollendet liegen, bis
es aus den Nachlaßpapieren, gleich der ursprünglichen Kritik
der Seelandschaft, in die Gesammelten Schriften aufgenommen
wurde. Die hier stehende Ueberschrift muß unecht sein; denn
1810 könnte Brentano wenigstens nicht die Worte vor
der Wiederherstellung des preußischen Staates geschrieben
haben, die vielmehr Zusatz ex posteriori sind.
Die Verstimmung Brentanos hat doch den Abendblättern
Schaden eingetragen. Denn das Gedicht mit seiner tiefen symbolischen
Bedeutsamkeit und mit seiner wundervollen Schilderung der
architektonischen Schönheit Berlins wäre, wenn Brentano es
bis ins Einzelne durchgebildet hätte, ein Prachtstück in Kleists
Abendblättern geworden. Mit ist keine Dichtung bekannt, in
der das historisch-monumentale Berlin absichtslos in gleicher
Verklärung erschiene, wie in Clemens Brentanos Traumgesicht
vom 14. October 1810.
\*\ Nebenbei bemerkt:
Brentano macht sich hier den Spaß, seine und Arnims
alte Aufwärterin, die Grimmen, anzubringen, mit
der sie und ihr Namensvetter Wilhelm Grimm, als
er bei ihnen wohnte, ihre Neckereien hatten.
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