Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 430-433
II. Bettina.
Bettina war seit früher Zeit daran gewöhnt, wie ein guter
Kamerad, an der geistigen Arbeit Clemens und Arnims
Theil zu nehmen. Das verstand sich für sie von selbst. Wunderhorn
und Einsiedlerzeitung bewahren ihre Beiträge, <431:>
die noch zu bestimmen sind. Man wird es begreiflich finden,
daß sie, nach Berlin versetzt, auch hier in die neuen Bestrebungen
der Ihrigen einging. Wie sie für Kleist und die Abendblätter,
die sie als ein Unternehmen ihrer Nächsten betrachtete, sich
bethätigen wollte, davon ist noch eine Spur erhalten, der
ich folge.
Heinrich von Kleist sah Bettinen im Savignyschen
Hause, dessen Gast er häufig war. Hier floß all das Neueste
zusammen, was Kunst und Wissenschaft, Musik und Litteratur
zu bieten hatten. Bettina setzte damals in Berlin ihre musikalische
Ausbildung fort. In München hatte sie die Lehre des Kapellmeisters
Winter genossen, und ihre geniale Erfassung alles Bedeutenden
ließ sie früher, als die Schaar der Musikverständigen, ahnen
und aussprechen, daß Beethoven in der Tonkunst der Goethe
ebenbürtige Meister sei. Grade damals begann in der preußischen
Hauptstadt die Musik auch als ein privates Bedürfniß höherer
Lebensführung betrachtet zu werden. Das Palais des Fürsten
Anton Radzivil und die Singakademie Zelters waren die
beiden Stätten, wo Musik in edlem Sinne gepflegt wurde. Die
Berliner Dichter, die in diese Kreise gehörten, rückten ihr
eigenes Schaffen in engere Fühlung mit der Musik, als vorher
der Fall gewesen war. Fürst Radzivil hat Arnims Gräfin
Dolores mit Melodien beschenkt.
Neben ihm in der Dolores finden wir als Componistin
Bettina. Ihr Name birgt sich unter der Bezeichnung Beans
Beor (= beglückend werde ich beglückt), wie von Arnim
die Anfangsbuchstaben ihres Namens ausgedeutet worden waren.
Arnim hatte, in poetischer Anspielung auf seinen preußischen
König, in die Dolores (2, 389) die schwermüthig-heroische
Romanze eingelegt, wie der Kaiser, dessen Heer aufgerieben
ist, vertrieben das eigene Land flieht, sich selbst und seinen
<432:> Helden bis in den Tod getreu. Diese Romanze componirte
Bettina; man muß die Musik hören, um zu empfinden, wie die
vaterländische Stimmung Arnims erfaßt und wieder ausgesprochen
ist. So durfte wohl auch Heinrich von Kleist damals hoffen,
daß Bettina seiner nationalen Dichtung die gleiche Gunst erweisen
würde. Darüber müssen zwischen ihr und Kleist Verabredungen
getroffen worden sein. Sie berechtigten ihn, bei Arnim, 18. October
1810, mahnend anzufragen: werd ich die Composition
von Fräulein Bettina erhalten? Der Zusammenhang, in
dem die Briefstelle steht, läßt keinen Zweifel übrig, daß
Kleist eine Composition Bettinens für seine Abendblätter erwartete,
denen er sie als Musikbeilage mitzugeben Willens war.
Um welche Composition kann es sich gehandelt haben?
Es liegt kein unmittelbares Zeugniß vor. Aber ich meine, es
kann nur ein Gedicht in Betracht kommen, dessen Text die Abendblätter
enthalten. Wendet man, vom 14. October an, die Abendblätter
rückwärts, so trifft man nur auf eine einzige Dichtung, die
musikalischer Behandlung fähig und würdig wäre: Kleists
heroisch-grandiose Ode auf den Wiedereinzug des Königs im
Winter 1809
Was blickst Du doch zu Boden schweigend nieder,
Durch ein Portal siegprangend eingeführt?
Von der Macht dieser patriotischen Dichtung ergriffen, hätte
Bettina, als sie die Ode im 5. Abendblatte las, ein Seitenstück
zu Arnims Romanze liefern können. Es ist nicht dazu
gekommen. Die politischen Kämpfe, die immer breiteren Raum
für sich in Anspruch nahmen, gaben den Abendblättern ein ernsteres
und strengeres Gepräge, zu dem das musikalische Spiel nicht
mehr paßte.
Es verdient bemerkt zu werden, daß in Bettinens späteren
Werken Kleists Name, Poesie und Schicksal nicht <433:>
eine einzige Erwähnung findet. Wie siegessicher ist sie dagegen
für Hölderlin und für die Günderode eingetreten. Freilich,
die ganze Zeit, daß sie Kleist bisweilen sah, füllte kaum
mehr als ein paar Monate aus, vom Herbste 1810 bis in das
neue Jahr hinein, und die Erinnerung an sein persönliches
Wesen mag allmählich in ihr blaß geworden sein. Indessen Bettina
hielt aus allen Verhältnissen das geistig-Unvergängliche fest,
das äußerlich-Vergängliche gab sie unbedenklich hin. Am letzten
Ende blieb ihr doch wohl Kleists märkisch-preußische
Art fremd und nicht verständlich. Sie stand Kleist innerlich
mehr wie ihr Bruder Clemens gegenüber.
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