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                   Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe 
                    (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 428-430 
                     
                    4. Karl Ludwig Fernow. 
                     
                      
                    Der letzte Beitrag Arnims zu den Berliner Abendblättern 
                    vom 30. und 31. Januar 1811, ist eine Anzeige des Lebens 
                    Fernows von Johanna Schopenhauer 1810, wie sie eher 
                    in die Heidelberger Jahrbücher, für die Arnim bisher geschrieben 
                    hatte, gepaßt haben würde: regelrecht steht die Buchangabe 
                    voran; die Besprechung folgt alsdann; am Schlusse die Unterzeichnung 
                    L. A. v. A. Die einzige Anzeige dieser Art 
                    in den Abendblättern. Sie fehlt in Arnims Werken. 
                     Es trafen für Arnim  und für Kleist  
                    hier wiederum die verschiedensten Interessen zusammen. Fernow 
                    war eine im geistigen Weimar wichtige Persönlichkeit gewesen. 
                    Er hatte die Stellung eines die römisch-italienische Litteratur 
                    und Kunst dahin vermittelnden Gelehrten inne. Goethe gedenkt 
                    seiner in diesem Sinne in den Tag- und Jahresheften. Ueber 
                    eines seiner Werke: das Leben seines Freundes Carstens, der 
                    in der Kunst dem Zopfe ein Ende machte und Schinkel und Cornelius 
                    den Weg bereitete, hat sich Herman Grimm (1865, über Künstler 
                    und Kunstwerke S. 79), zuerst wieder mit Anerkennung 
                    seines Werthes ausgesprochen. Arnim kannte Fernow von Weimar 
                    her persönlich und war mit Johanna Schopenhauer befreundet, 
                    die den unheilbar hinsiechenden Mann in seinem Letzten pflegte, 
                    und nun die Geschichte seines Lebens schrieb. 
                     Indem Arnim den Inhalt des Buches in großen Zügen 
                    wiedergab, ergänzte er denselben doch zugleich aus Gesichtspunkten, 
                    die nur er als Märker und als märkischer Gutsherr haben konnte. 
                    Fernow war auch ein Märker von Geburt, vom flachen Lande stammend, 
                    aus der dienenden Klasse der Bevölkerung hervorgegangen. Viele 
                    überrascht es bei uns (führt Arnim aus), in Fernow einen Landsmann 
                    zu begrüßen; er gehörte, wie Winkelmann, Herder und Ritter 
                    zu <429:> der großen Zahl ausgezeichneter Talente, die 
                    in ihrem Vaterlande nicht die erwünschte Unterstützung fanden 
                    und deswegen dem Auslande ihre Dienste widmeten. Sein Geburtsort 
                    ist Blumenhagen in der Ukermark (geboren 1763 den 19. Nov.), 
                    wo sein Vater als Knecht auf dem Hofe des Gutsbesitzers, des 
                    Herrn von Necker, diente. Das jüngste Fräulein war seine Pathe, 
                    die ihn im fünften Jahre zu sich aufs Schloß nahm, und ihn 
                    mit liebevoller Sorgfalt aufzog. Diesem Fräulein danken wir 
                    alles, was dieser schätzbare Gelehrte der Welt geleistet hat, 
                    wir stellen sie als ein nachahmenswerthes Beispiel den Frauen, 
                    die unter ähnlichen Verhältnissen leben, auf; der Uebergang 
                    eines ausgezeichneten Talents unter den Landleuten ärmerer 
                    Gegenden zu einer höheren Bestimmung ist ohne eine solche 
                    verbindende Mittelstufe fast unmöglich. Gutsbesitzer und Prediger 
                    vermöchten in dieser Hinsicht sehr viel, wenn nicht die eigenen 
                    Verhältnisse derselben durch Zeitumstände so drückend geworden 
                    wären. In diesen Sätzen tritt die oppositionelle und, 
                    wenn ich so sagen darf, die agrarische Tendenz der Abendblätter 
                    wieder hervor. Einen Aufsatz Arnims über den in München 
                    1810 verstorbenen Physiker Ritter, der aus Schlesien stammte, 
                    hatte der Censor kürzlich, als vorwurfsvoll für die Regierung, 
                    weggestrichen\*\. Und ließ sich der Zahl ausgezeichneter Talente, 
                    die im engeren Vaterlande nicht unterstützt wurden, nicht 
                    auch Heinrich von Kleist hinzuzählen? Wir bemerken die ideale 
                    Art, wie Arnim die ihm werthen, historisch gewordenen Zustände 
                    des platten Landes gegen die moderne Zerbröckelung stützen 
                    und mit edlem Inhalt füllen wolte. Wer wüßte nicht, daß Fälle, 
                    wie der Fernows, sich auch heute wiederholen. In dem 
                    ernsten Ringen, Emporkommen und Erreichen Fernows sah 
                    <430:> Arnim etwas, das im preußischen Sinne als Vorbild 
                    dienen könne, und in froher Zuversicht sprach er, mitten in 
                    der trüben Ruhe der sein Vaterland fesselnden Politik, zum 
                    Schluß die gute Lehre aus: 
                     
                     Ich seh den Zufall jetzt mit Männern spielen 
                    Wie Meereswellen mit dem leeren Nachen, 
                    Da muß ich wohl des ersten Strebens lachen, 
                    Der Arbeit Gluth will ich in Ruhe kühlen. 
                     
                     Doch seh ich dieses Kind im Dorf erwachen, 
                    Zur hohen Roma viele Jahre zielen, 
                    Die es als Mann erreicht, wo ihn vor vielen 
                    Allein durchdringt die Gabe aller Sprachen: 
                     
                     Da fühle ich die Kraft im eignen Willen; 
                    Der Zufall stürmet uns umsonst vom Hafen, 
                    Der Steuermann belauert ihn im Stillen. 
                     
                     Er fesselt ihn, wenn müde Seelen schlafen, 
                    Der Zufall muß ihm jeden Wunsch erfüllen, 
                    Den Zufall macht ein froher Muth zum Sklaven. 
                     
                    Dies ist das Märkisch-Preußische in Arnims Art und Schriftstellerei. 
                    Er trat damals in Berlin zuerst mit Bewußtsein hervor und 
                    wurde in Weimar nicht sogleich als neues Element verstanden. 
                    Er läßt die Differenz zwischen Weimar und Berlin, zwischen 
                    Goethe und den Märkern Kleist und Arnim, auch von dieser Seite 
                    her als natürlich und nothwendig erscheinen. Lauter Dinge, 
                    die auch in das Capitel über Goethe und die Berliner Romantiker 
                    gehören. 
                     
                    \*\ Ich verfüge 
                    über das vom Censor Himly durchgestrichene Blatt. 
                     
                    
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