Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 420-426
2. Bei Gelegenheit der Jubelfeier
in der Waisenhauskirche.
Wenn man sich den religiösen
Gehalt des Programms vergegenwärtigt, mit dem Kleist seine
Blätter einleitete, und dann die Kämpfe überrechnet, auf die
er sich mit seinen Freunden im Dienste ihrer Idee von Gott,
Vaterland und Welt einließ, so fehlt uns noch die Antwort
auf die Frage: wie standen sie, die Protestanten waren, zu
dem was kirchlich ihrer Zeit und ihrem Volke
Noth that? Die Antwort sind sie uns nicht schuldig geblieben.
Achim von Arnim hat sie im 74. Abendblatte, vom 27. December
1810, bei Gelegenheit der Jubelfeier in der Waisenhauskirche
mit Kleists Einverständniß gegeben.
Der Journalismus der Berliner Abendblätter hat etwas
Vorbildliches an sich. Nur über Dinge und Personen, zu denen
ein wirkliches Verhältniß oder innerer Beruf vorhanden war,
schrieben die Freunde. Dies trifft auch gegenüber dem Geistlichen
zu, der am Sonntag, den 16. December 1810, in der kleinen
Waisenhauskirche, die noch heute steht, gefeiert wurde. Die
Jubelfeier des ehrwürdigen und gelehrten vierundachtzigjährigen
Predigers Schmidt, schreibt Arnim in den Abendblättern,
nach glücklicher und thätiger Amtsführung, während eines
halben Jahrhunderts, wurde am vorletzten Sonntage von dem,
im vorigen Jahre ausgebrannten, durch milde Beiträge wieder
<421:> auferbauten Thurme der Waisenhauskirche, durch
den ersten Klang der neugegossenen Glocken verkündet.
Die Versammlung war zahlreicher, als die kleine Kirche fassen
konnte, man denke sich, wie viele Bürger einen nahen Beruf
zu dieser Feier fühlten, da über dreitausend Kinder aus dieser
Anstalt unter der christlichen Belehrung und Segnung des Jubelgreises
zu allen Arten bürgerlicher Nahrung übergegangen sind.
Die Singeakademie verherrlichte diese andächtige Stunde durch
wohlgewählte Chöre. Herr Prediger Ribbeck (hielt
die Jubelpredigt).
Was sich Persönliches hinter diesem Berichte birgt,
das möge uns ein (noch ungedruckter) Brief Arnims an
Wilhelm Grimm enthüllen, der stückweise in längerem Zeitraume
niedergeschrieben, erst im April des Jahres 1811 abgesendet
wurde. Arnim meldet mit neuempfundenen Glücksgefühl seine
allem äußeren Gepränge entzogen gewesene Trauung mit Bettina:
Den 11. März hatten wir dazu bestimmt, nachdem
das letzte Aufgebot in lutherischer und katholischer Kirche
vollendet war, uns zu verheirathen\*\.
(Nach Ueberwindung einiger Schwierigkeiten) beschloß ich endlich
mit Bettinen zum alten Prediger Schmidt zu fahren, dessen
goldene Amtsfeier Bettine einen Monat vorher mit besingen
half. Auf seiner Bibliothek ruhten wir erst in einem grünseidnen
Sopha aus und ließen die ersten ungestümen Bewegungen des
Herzens vorübergehen, seine Frau, die mich seit drei Generationen
gekannt hatte, ich meine in meinen Großeltern, erzählte von
<422:> meiner Jugend, und wie ich oft so ernst damals
gewesen; sie war die einzige Zeugin unserer Trauung und ersetzte
den mangelnden Myrthenkranz Bettinens, die unsre hiesige Gewohnheit
nicht kannte, nach der er ein bedeutendes Zeichen ist, mit
dem ihren, welchen sie vor funfzig Jahren getragen, es war
ein zierlich Krönchen, grüne Seide kraus über Drath gesponnen
zur Nachahmung der Myrthe, wie es in jener Zeit Mode: Bettine
glich darin mit dem schwarz gescheitelten Haare einer Fürstin
älterer Zeit. Der alte Prediger sprach mit sicheren, prunklosen
Worten sehr eindringlich, wie Gott alles vollende, was mit
Gott angefangen und unternommen sei, wir tauschten die früher
einander geschenkten Verlobungsringe aus. Arnim und
Bettina waren also durch alte und neue Bande mit dem greisen
Pfarrer verbunden, dessen Jubelfeier die Berliner Abendblätter
so würdevoll besprachen.
Aber
auch Heinrich von Kleist hat ein Zeichen seiner Verehrung
für den Greis uns hinterlassen. Er fügte redactionell zu Arnims
erstem Satze (den ich oben aushob) unter dem Striche die Notiz
hinzu: Dieser große Literatus, der insbesondere eine
der herrlichsten Sammlungen von Kirchengesängen besitzt, übte
vor einigen Jahren den nachahmungswerthen Patriotismus, der
königlichen Bibliothek alle Bücher seiner Bibliothek, die
ihr fehlten, zu schenken. Ich konnte über diese Bücherschenkung
lange keine Auskunft erhalten: bis ich und zwar
in einem alten Exemplare der Chronik Froissards!
auf vorn eingeklebtem Zettel die Worte fand: Ex libris
Viri Venerabilis Gottl. Ern. Schmid, Sacror. Antist. Berol.,
Regiae Bibliothecae dono aut minus commendabilium exemplorum
permutationi oblatis MDCCCIII.
Der greise Herr war demnach ein Prediger nach dem
Herzen Kleists und Arnims. Seine lebendige Frömmigkeit,
<423:> in praktischem Christenthum bewährt, vereinigte
das Geistliche mit dem Geistigen in echter Durchdringung.
Wie ideal im romantischen Sinne faßten nicht die Brüder Grimm
die Stellung eines evangelischen Pfarrers auf. Wer die Mark
Brandenburg als Eingeborener kennt, findet das in den Abendblättern
ausgesprochene Verhältniß als dasjenige wieder, das noch heute
bei uns auf dem platten Lande fortbesteht. Gutsherr und Pfarrherr
sind zum Segen der das Land bebauenden Bevölkerung auf einander
angewiesen. Arnim schreibt in den Abendblättern, wie ein märkischer
Edelmann, der seinen Geist und seine Phantasie
besäße, auch heute schreiben könnte.
Nach der trostlosen Verödung der Menschenherzen durch
den Rationalismus schwebte Arnim die äußere und innere Wiederherstellung
echter Frömmigkeit und Kirchlichkeit als dasjenige vor, was
dem preußischen Volke wieder noth sei. Wie war die einem absterbenden
politischen System allenfalls genügende Selbstzufriedenheit
vor dem großen Hauche der Weltgeschichte zu Schanden geworden.
Die Besseren im Volke wandten sich wieder aus tiefer Noth
dem christlichen Gedanken zu. Man begann von Christus lebendig
wieder zu sprechen. Kleist hat gesagt: Blicken Sie einmal
zweitausend Jahre in die Vergangenheit zurück, auf jenen besten
und edelsten der Menschen, der den Tod am Kreuze für die Menschheit
starb, auf Christus. Er schlummerte unter seinen Mördern,
er reichte seine Hände freiwillig zum Binden dar, die theuern
Hände, deren Geschäfte nur Wohlthun war, er fühlte sich ja
doch frei, mehr als die Unmenschen, die ihn fesselten, seine
Seele war so voll des Trostes, daß er dessen noch seinen Freunden
mittheilen konnte, er vergab sterbend seinen Feinden, er lächelte
liebreich seine Henker an, er sah dem furchtbar schrecklichen
Tode ruhig und freudig entgegen In seiner <424:>
Brust muß ein ganzer Himmel von Empfindungen gewohnt haben.
So hat sich Kleist zu Christi Persönlichkeit bekannt: es darf
dies weder biographisch noch litterarhistorisch weggewischt
werden. Die Wahrhaftigkeit der deutschen Litteraturgeschichte,
als einer Wissenschaft, gestattet nicht, daß das christliche
Element in unserer Litteratur, auch wie nicht vorhanden, behandelt
werden dürfe.
Auch für Arnim war, wie er sich im September 1810
zu einem Bekannten äußerte, die christliche Volksreligion
etwas Ehrwürdiges. Was sein religiöses Bedürfniß nicht völlig
befriedigte, war die sich an den Verstand wendende Predigt,
die als die Hauptsache des protestantischen Gottesdienstes
ihm zu sehr hervortrat, und er beschäftigte sich oft mit dem
Gedanken, wie die Wirkung unseres Gottesdienstes auf das Gemüth
zu vertiefen sei, und fand bei der Geistlichkeit nirgends
damals vielen Widerspruch (An Dorow S. 110). Nach welcher
Richtung hin dies geschehen könne und müsse, führt nun Arnims
Aufsatz in den Abendblättern aus: Wir hatten die Singeakademie
oft in ihrem Saale und im Opernsaale bewundert, doch
ungeachtet der Stimmendämpfung in der kleinen Kirche voll
Menschengedränge, fühlten wir nie so lebhaft das Herrliche
dieses Instituts, und die Möglichkeit, durch dasselbe den
verschollenen Kirchengesang wieder zu beleben. Wir wünschen,
daß es den Mitgliedern dieser freien musikalischen Verbindung
gefallen möchte, statt den in dem beschränkten Saale der Akademie
immer nur wenigen zugänglichen öffentlichen Singeabenden,
eine der Hauptkirchen unserer Stadt zu wählen, um als Einleitung
und in Verbindung mit dem großen Vormittagsgottesdienste,
ihrer Kunst den würdigsten Zweck und allen ihren Glaubensgenossen
wenigstens alle vierzehn Tage eine Erhebung zu gewähren: ja
wir möchten diesen Vorschlag, der uns wie eine Eingebung <425:>
dieses Festes vor der Seele geblieben, dem würdigen Vorsteher
dieser Anstalt\*\
recht ernstlich zur Prüfung empfehlen. Wie herrlich könnten
wir leben, wenn unsere Zeit, während sie fast zu arm wird,
neue Kirchen zu bauen und die älteren zu schmücken, das Kunstgeschick
der Menschen hinlänglich entwickelte, um durch ihr unmittelbares
Zusammenwirken die Erbauung der Seele zu schaffen. Also
die Forderung einer religiösen Kunst auch auf das Gebiet der
Musik ausgedehnt. Nicht jedoch schlechthin in katholischem
Sinne. Arnim war davon entfernt, die protestantische Volksreligion
oder seine eigene Frömmigkeit zu katholisiren. Sein Ehebund
mit Bettina, die katholisch war, blieb protestantisch und
die Erziehung seiner Kinder protestantisch. Wie verehrte er
Luther. Was Arnim als ein Ziel ins Auge faßte, war die Evangelisirung
dessen, worin ihm der katholisch-christliche Gottesdienst
dem evangelisch-christlichen überlegen schien.
Und zu zweit forderte Arnim den Bau neuer Gotteshäuser.
Aber wie unkatholisch und romantisch-unbefangen stellt er
sich die Aufbringung der Mittel dazu vor. In nationalpatriotischer
Anspielung hatte der Prediger Ribbeck mit Rührung der Armuth
jener Tage gedacht, die auf Erbauung zerstörter Gotteshäuser
nur wenig zu wenden erlaube; er hatte erwähnt, wie eine der
Hauptkirchen Berlins wahrscheinlich noch lange, vielleicht
für immer untergegangen sei. Dazu sagt in den Abendblättern
Arnim: Eine Bemerkung drängt sich uns hierbei auf. Ungeachtet
wir den Wiederaufbau der verbrannten Petrikirche wünschen,
und den Bau einer großen Kirche als Denkmal und Begräbnißort
der unvergeßlichen Königin rühmen würden, so nothwendig scheint
es uns, alles für den öffentlichen Gottesdienst zu Errichtende
<426:> aus dem freien Willen des Volkes hervorgehen
zu lassen; die heiligsten Kirchen sind das Werk milder Stiftungen
und freiwilliger Beiträge, und die St. Peterskirche in
Rom hat mit aller ihrer Herrlichkeit der Kirche nie vergütet,
was durch die dazu eingerichtete, der Gesinnung der Zeit widerwärtige
Ablaßkrämerei in der allgemeinsten Schwankung und Trennung
der christlichen Kirche für Schaden gestiftet worden.
Und zur Bekräftigung seiner Ansicht theilt Arnim im Wortlaute
die Erzählung des Myrenius von dem kleinen baufälligen Kirchlein
des Augustinerklosters zu Wittenberg mit, wo Luther seine
ersten Predigten zur Abschaffung der Kirchenmißbräuche gehalten
habe.
Also: zu Erweckung der idealen Kräfte des Volkes sollte,
wie die religiöse Musik, so auch die Kirchenbaukunst das ihrige
thun. Der aus märkischem Pfarrhause hervorgegangene Meister,
der genial die höchste Aufgabe damaliger Zeit, den Bau einer
großen Kirche, als Denkmal und Begräbnißort der unvergeßlichen
Königin, lösen würde, war schon da: Arnims und Kleists
Freund Schinkel, für dessen Entwürfe die Abendblätter sich
erklärt hatten.
\*\ Nebenbei: Zelter,
der sich sehr gut informirt glaubte, trug Goethe doch nur
ein ungegründetes Stadtgeschwätze zu, als er schrieb (Briefwechsel 1,
438): Bettina hat am Sonntage vor acht Tagen
Hochzeit machen wollen. Da hatten beide einige Kleinigkeiten
zu besorgen vergessen; z. E. sich aufbieten zu lassen
&c. Ich habe dagegen das Aufgebot Arnims
in den Kirchenbüchern der hiesigen St. Hedwigskirche
mit meinen Augen gesehen.
\*\ das ist Zelter.
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