Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 417-420
Warnung gegen weibliche Jägerei
I. Achim von Arnim.
In den Erörterungen über die Politik, das Theater, die Kunst,
die Wissenschaft, die Anekdote und das Epigramm trat Arnims
persönliche und litterarische Betheiligung an den Abendblättern
schon sehr stark hervor. Jetzt stehen im Wesentlichen noch
vier Beiträge zur Betrachtung, die Arnim und Kleist in neuen
Verhältnissen zeigen. Der erste Beitrag ist im 31. Abendblatte,
vom 5. November 1810, die
1. Warnung gegen weibliche Jägerei.
Wäre dieser Aufsatz auch nicht mit vaa (versehentlich
für ava) gezeichnet, so würde man doch Arnims
sorglos anreihenden, nicht periodisirenden Stil durchfühlen
können. Der Inhalt wiegt allerdings nicht schwer. Eine kurzsichtige
Gräfin kann die Jagd nicht lassen. Sie schießt, anstatt eines
Rehbockes, den sie fehlt, ihren Sohn und dessen Erzieher,
einen Abbé, an. Der Abbé hat das Meiste abgekriegt. Trotzdem
<418:> kümmert sich, infolge eines komischen Mißverständnisses,
der herbeigeeilte Wundarzt nur um den jungen Grafen, und der
Abbé wird sogar wegen seines schmerzlichen Gestöhnes, das
man als unzeitiges Mitleid betrachtet, mit lustigen Worten
zur Ruhe gemahnt. Er übersteht mit seinem Zögling glücklich
die Schießgeschichte. Arnim äußert, daß er den Abbé selbst
gesehen und gesprochen habe. Möglich, daß ihm diese oder eine
ähnliche Geschichte irgendwo auf seinen Reisen begegnet ist.
Der Aufsatz steht auf dem Uebergang von der Anekdote
zur Novelle. Mir scheint, daß die Art, wie Kleist Anekdotenstoffe
bearbeitete, auf Arnim hier eingewirkt habe. Wir würden aber
dabei nicht länger zu verweilen brauchen, enthielte dieser
Arnimsche Aufsatz nicht den ersten Druck von Goethes
Schneidercourage, die der Wundarzt zur beabsichtigten
Erheiterung des Abbé hersagt, in der folgenden Form:
Es ist ein Schuß gefallen,
Mein, sagt, wer schoß da draus?
Es war ein junger Jäger,
Der schoß im Hinterhaus.
Die Spatzen in dem Garten,
Die machen viel Verdruß,
Zwei Spatzen und ein Schneider,
Die fielen von dem Schuß.
Die Spatzen von den Schroten,
Der Schneider von dem Schreck;
Die Spatzen in die Schoten,
der Abbé in den Dreck.\*\
Wir fragen: wie kamen Arnim und Kleist in den Besitz dieses
Goetheschen Gedichtes? da doch Goethe in dieser Zeit
keinerlei directen Verkehr mit Beiden unterhielt. Die <419:>
Antwort kann nicht anderes lauten, als: sie erhielten es von
Zelter an der Liedertafel.
Goethe hatte das Gedicht in Teplitz, Sommer 1810,
schon Zelter zur ersten Composition überlassen. Eine zweite
Composition Zelters ging aber brieflich von Berlin am
3. November 1810 an Goethe ab und am 5. November
erschien der Text gedruckt in den Abendblättern. Der innere
Zusammenhang der Dinge entfaltet sich nun von selbst. Der
Druck der Abendblätter hat uns daher anstatt der verlorenen
Urhandschrift zu gelten. Er weicht von der in Goethes
Werken später auftauchenden Gestalt des Liedes nur in der
3. und 4. Zeile ab, dergestalt, daß die Fassung der Abendblätter
Es
war ein junger Jäger,
Der
schoß im Hinterhaus
der Fassung in Goethes Werken
Das
ist der junge Jäger,
der
schießt im Hinterhaus
gegenüber steht. Daß es sich nicht um Sorglosigkeiten Arnims
handelt, beweist der gleichlautende Text bei Reichardt, der
ebenfalls 1810 in Berlin, nach dem Texte der Liedertafel,
das Lied componirte und 1811 veröffentlichte. Andererseits
findet sich in einem der Zelterschen Autographenbände
auf der Königlichen Bibliothek zu Berlin mit dem Vermerke
Dresden 28. August 1810 die erste Composition
Zelters, und hier hat der Text wieder
Es
ist der junge Jäger,
Er
schießt im Hinterhaus.
Also: es existiren von einander abweichende Fassungen Goethes,
deren eine in seine Werke aufgenommen, eine andere in den
Abendblättern aufbewahrt ist. <420:>
Es ist dies der einzige Fall, daß Goethesches
originales Eigenthum sich in den Abendblättern findet. (Anders
lautende Angaben sind irrig.) Arnims anekdotenhafte
Erzählung wird dadurch werthvoller für uns, als sie uns an
sich erscheinen würde. Die sie begleitenden Umstände und Verhältnisse
gehören in das litteraturhistorische Capitel von den Beziehungen
der märkischen Romantiker Arnim und Kleist zu Goethe.
\*\ Abbé
in dieser Zeile, für den ursprünglichen Schneider,
ist von Arnim natürlich der Erzählung zu Liebe eingesetzt.
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