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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 371-373

15. Der unentschiedene Wettstreit.


Steht im 68. Abendblatt des zweiten Quartals, vom 21. März 1811; anonym.
Ich bekenne, dieser prächtig erzählten Reiteranekdote gegenüber, ehe ich ein directes Zeugniß für sie auffand, in großer Verlegenheit gewesen zu sein. Ein preußischer und ein österreichischer Offizier, beide herrliche Männer und Freunde seit langer Zeit, treffen im siebenjährigen Kriege, in der Schlacht bei Lowositz, feindlich aufeinander. Jeder glühend für sein Vaterland. Von gegenseitigen Wunden gefällt, sinken sie sterbend zu Boden. Der Preuße streckt noch einmal die Hand nach dem österreichischen Kameraden aus: „Herr Bruder, wir sind alle zusammen brave Kerls und gute Reiter“ – worauf der Oesterreicher: „Recht so, Herr Bruder: lauter <372:> wackeres deutsches Volk und ehrliche Christen von Herzensgrund.“ Was Kleist also in zwei früheren Anekdoten, durch Auslassung der bairischen und österreichischen Truppen, zu negativer Wirkung gebracht hatte, das wird hier positiv mit herzlich schlichten Worten ausgesprochen. Die preußische Kriegsparthei ersehnte den Zusammenschluß mit den österreichischen stammverwandten Waffenbrüdern. Die Freunden von den Abendblättern ahnten, daß die Stunde künftig schlage, wo alle Deutschen Eines Sinnes und Einer Liebe zum allgemeinen Vaterlande seien.
Es ist Manches darin, was Kleist’s Hand verrathen möchte. Nicht jedoch von seiner Art ist wieder das weichere religiöse Gefühl. Kleist dachte und schrieb über Religion und Christenthum grandioser, ehrfürchtiger, heiliger. Fouqué war eher, nach der Stimmung, in Betracht zu ziehen. Und er hat wirklich, wortgetreu und ohne Quellangabe, den unentschiedenen Wettstreit in seine Sammlung kleiner prosaischer Schriften (1819. 1, 136) aufgenommen: Kleist’s redactionelle Einwirkung, die eher wahrscheinlich als ausgeschlossen ist, hat keine Beseitigung erfahren.
Fouqué war der sprachlichen Mittel, um die Mischung frommen Sinnes und froher Kampfeslust, die im preußischen und deutschen Offizierscorps unverwüstlich fortbesteht, auszudrücken, mehr als andre mächtig. Wer ihn in dieser seiner glücklichsten Situation als Dichter kennen lernen will, der lese abermals die Kriegsscenen, die er in „Die Versuche und Hindernisse Karls“ (oben S. 5) hineingeschrieben hat. Wie prächtig schlägt sich und stirbt allda der junge preußische Offizier! Welche begeisterte Worte legt Fouqué nicht dem jungen Krieger in den Mund! Jeder junge preußische Offizier müßte ihn lieben um dieser Worte willen. Sie athmen den Geist, von dem auch der unentschiedene Wettstreit und die <373:> Kriegsregel in Kleist’s Abendblättern erfüllt ist. Die preußische Kriegsparthei hat keine schöneren Spuren ihrer Gesinnung und ihres Muthes in der Litteratur zurückgelassen.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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