Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 367-369
13. Tages-Ereigniß (Uhlan Hahn).
In einem Extrablatt vom 16. October brachte Kleist die
sensationelle
Polizeiliche
Tages-Mittheilung.
Ein Uhlan hat seinen Vize-Wachtmeister, der ihn arretiren
wollen, vorgestern Nachmittag um 3 Uhr in seiner Wohnung
durch zwei Pistolenschüsse getödtet.
Es
war dies wörtlich, nur mit Auslassung des Namens und der Wohnungsangabe,
der Anfang eines größeren Berichtes, den Gruner in dieser
Angelegenheit am 15. October 1810 dem Könige erstattet
hatte. Das kriegsgerichtliche Verfahren wickelte sich so schnell
ab, daß schon der (in den Acten aufbewahrte) Polizei-Rapport
vom 7. November 1810 melden konnte: Der Uhlan Hahn
ist heute mit dem Rade von oben herab bestraft.
Diese beiden Polizei-Rapporte, vom 15. October
und 7. November, wurden Kleist vom Polizeipräsidenten
zugänglich gemacht, zu dem Zwecke, am Abend des Richttages
eine amtlich gutzuheißende Darstellung für das Publicum zu
bringen. Ich lasse die Texte nacheinander folgen:
Polizei-Rapport
vom 15. October 1810.
Ein Uhlan Namens Hahn hat seinen Vice Wachtmeister Namens
Pape, der ihn arretiren wollen, gestern Nachmittag um 3 Uhr
in seiner Wohnung Kanonier Str. 10 durch zwei Pistolen
Schüsse getödtet. Beide <368:> wohnten in einem Hause,
Hahn mit zwei Kameraden oben und Pape unten. Pape hatte Ordre
den Hahn zu arretiren und da er auf sein Rufen nicht herunterkam,
ging er zu ihm hinauf; als Pape dem Hahn seinen Auftrag bekannt
gemacht hat, erwiedert dieser ganz kurz, von so einem Laffen
lasse er sich nicht arretiren, und schießt ihn mit einem Pistol
durch den Kopf, daß er gleich zu Boden stürzt. Seine beiden
Kameraden, die zugegen waren, wollten sich seiner bemächtigen,
allein er hält sie durch ein zweites Pistol in Respekt, setzt
dieses den schon in seinem Blute liegenden Pape an die Stirn
und zerschmettert ihm durch einen zweiten Schuß den ganzen
Kopf, daß das Gehirn an die Decke spritzte. Auch der Wirth
und seine Nachbarn eilten nun herzu. Indeß ein drittes Pistol
in einer, den Säbel in der andern Hand, hält er alles von
sich ab bis zur Ankunft der Jäger Wache, von der er sich willig
arretiren ließ.
Nach
diesem Material schrieb Kleist für seine Abendblätter vom
7. November 1810 das
Tages-Ereigniß.
Das Verbrechen des Uhlanen Hahn, der heute hingerichtet ward,
bestand darin, daß er dem Wachtmeister Pape, der ihn,
eines kleinen Dienstversehens wegen, auf höheren Befehl, arretiren
wollte, und deshalb, von der Straße her, zurief, ihm in die
Wache zu folgen, indem er das Fenster, an dem er stand, zuwarf,
antwortete: von einem solchen Laffen ließe er sich nicht in
Arrest bringen. Hierauf verfügte der Wachtmeister Pape, um
ihn mit Gewalt fortzuschaffen, sich in das Zimmer desselben:
stürzte aber, von einer Pistolenkugel des Rasenden getroffen,
sogleich todt zu Boden nieder. Ja, als auf den Schuß, mehrere
Soldaten seines Regiments herbeieilten, schien er sie, mit
den Waffen in der Hand, in Respect halten zu wollen, und jagte
noch eine Kugel durch das Hirn des in seinem Blute schwimmenden
Wachtmeisters; ward aber gleichwohl, durch einige beherzte
Cameraden, entwaffnet und ins Gefängniß gebracht. Se. Maj.
der König haben, wegen der Unzweideutigkeit des Rechtsfalls,
befohlen, ungesäumt mit der Vollstreckung des, von den Militair-Gerichten
gefällten, Rechtsspruchs, der ihm das Rad zuerkannte, vorzugehen.
Kleist hat hier, sich bisweilen ziemlich frei bewegend, Satzperioden
aufgebaut, die, ohne die aufgewiesene Polizei-Vorlage, jeden
Schluß auf eine ursprünglich fremde Niederschrift verbieten
würden. Man hat daher auch das Tages- <369:> Ereigniß
vom Uhlanen Hahn als unverdächtiges Eigenthum unter Kleists
kleinere Schriften eingereiht. So trügerisch oder unzulänglich
kann die Bewerthung rein sprachlicher Beobachtungen für uns
ausfallen.
Sachlich hat Kleist die ursprünglich schärferen Züge
des Herganges abgestumpft und das Vorgehen des Wachtmeisters
dadurch in ein günstigeres Ansehen gerückt, daß er ihn ausdrücklich
auf höheren Befehl handeln läßt. Es entsprach
dies wahrscheinlich den bekannt gewordenen Ergebnissen der
Untersuchung oder dem Disciplinsgefühl des ehemaligen Lieutenants
von Kleist. Der Freimüthige druckte die Kleistische Darstellung,
unter Angabe der Abendblätter als der Quelle, in seiner Nummer
vom 12. November 1810, wörtlich nach, und in mehr oder
minder umfänglichem Auszuge machte sie die Runde durch die
auswärtigen Zeitungen und Journale.
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