Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 355
7. Der Griffel Gottes.
Die nächste Anekdote in den Abendblättern: in Nr. 5
vom 5. October 1810. Der Leichenstein einer polnischen
Gräfin von P
, die im Leben gegen ihre Unterthanen bösartig,
beim Sterben ihr Vermögen einem Kloster vermacht hatte, wird
vom Blitz getroffen. Die übrig gebliebenen Buchstaben bedeuten
zusammengelesen: sie ist gerichtet. Darin wird,
in Ahnung einer höheren Gerechtigkeit, die wahre Inschrift
Gottes erkannt.
Im Schlußsatz der Anekdote ein Hieb gegen aufklärerische
Schriftgelehrten, die den Vorfall erklären möchten,
und der Hinweis auf eine mündliche Quelle: es
leben Männer in dieser Stadt (d. h. in Berlin), die den
Leichenstein samt der besagten Inschrift gesehen.
Wörtlich genau finde ich den Griffel Gottes
in den Hamburger Gemeinnützigen Unterhaltungs-Blättern Nr. 15,
vom 10. April 1811, also ein halbes Jahr später, anonym
und ohne Quellangabe wieder.
Vermuthungen, wer die Männer seien, zu
äußern, ist fast unmöglich. Vielleicht Adam Müller, der seiner
Frau wegen, der früheren Frau von Haza, Beziehungen zu Polen
unterhielt; vielleicht auch Heinrich von Kleist selber, der
in deren Angelegenheiten dahin gereist war; vielleicht auch
jeder andere preußische Offizier oder Beamte, der dort gestanden
hatte. Die Diction ist Kleistisch. Eine Unterschrift fehlt.
Man wird die Anekdote wohl für Kleist in Anspruch nehmen und
in seinen Schriften belassen dürfen.
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