Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 341f.
1. Franzosen-Billigkeit.
Die erste Anekdote in den Berliner Abendblättern, in Nr. 3
vom 3. October 1810. Sie figurirt bereits in Kleists
Schriften, ist aber nicht von ihm, sondern der genannten Sammlung
von Anekdoten entnommen. Eine Nebeneinanderstellung
beweise dies:
Sammlung
von Anekdoten 1810. 7, 311.
[Keine Ueberschrift.]
Zu dem französischen General Hülin kam, als dieser
Commandant von Berlin war, ein dortiger Einwohner,
und gab, Behufs einer kriegsrechtlichen Beschlagnehmung,
zu des Feindes Besten, eine Anzahl im Pontonhofe liegende
Stämme an.
Der General, der sich eben anzog, sagte:
Nein, mein Freund, diese Stämme können wir
nicht nehmen.
Warum nicht? fragte der Denunciant: es ist ja
königliches Eigenthum.
Eben darum, versetzte der General,
indem er ihn mit einem ernsten Blicke fixirte. Der
König von Preußen braucht solche Stämme, um solche Schurken
daran knüpfen zu lassen, wie Er ist.
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Kleists
Abendblatt Nr. 3.
Franzosen-Billigkeit.
(Werth in Erz gegraben zu werden.)
Zu dem französischen General Hülin kam, während
des Krieges, ein
Bürger, und gab, Behufs einer
kriegsrechtlichen Beschlagnehmung, zu des Feindes Besten,
eine Anzahl im Pontonhofe liegender Stämme an.
Der General, der sich eben anzog, sagte:
Nein, mein Freund; diese Stämme können wir nicht
nehmen.
Warum nicht? fragte der Bürger. Es
ist königliches Eigenthum.
Eben darum, sprach der General, indem er ihn flüchtig
ansah. Der König von Preußen braucht dergleichen Stämme,
um solche Schurken daran hängen zu lassen, wie Er.
[Keine Unterfertigung.]
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<342:> Die
zehnbändige Sammlung erschien in Einzelheften, aus denen sich,
ohne inneren Plan, das Ganze allmählig zusammensetzte. Sie
hatte eine patriotische Tendenz, wurde viel gekauft und viel
gelesen. Gerade dies Heft des 7. Bandes war zum October
1810 von Leipzig aus, wo das Werk erschien, in Berlin bekannt
geworden und lieferte Kleist für seine Abendblätter brauchbares
Anekdotenmaterial. Kleist hat, in unserer Anekdote, nur wenig
geändert und den Namen Berlin durch Punkte ersetzt.
Diese Berliner Geschichte, mit einem vaterlandslosen
Schurken zum Helden, muß längst schon in Berlin von Mund zu
Mund gegangen sein. Durch den Druck war sie öfter bereits
fixirt worden. In desselben Sammelwerkes erstem Bande lautet
sie so:
Dem Kommandanten H
n zu B
n sagte Jemand:
er wisse einen Ort, wo eine Menge Bauholz, das dem König gehöre,
verborgen liege. Lassen Sie doch Ihrem guten Könige
das Holz erwiederte jener damit
er nach seiner Zurückkunft daraus Galgen bauen, und solche
schändliche Verräther, als Sie z. B. sind, daran aufhängen
kann.
und im zweiten Bande begegnet sie mit der Variante, daß ein
wegen seiner veränderten politischen Grundsätze allgemein
verachteter Schriftsteller in Berlin sich an öffentlicher
Wirthstafel von einem der Gäste diese Abfertigung zugezogen
habe. Wer der Schriftsteller gewesen sei, weiß ich nicht.
In Berlin aber zeigte man wohl mit Fingern auf den Jemand,
und indem Kleist die Anekdote aufnahm, verfolgte er den Zweck,
erstens den Berliner Jemand zu züchtigen, und
zweitens allgemein in seinen Blättern den Vaterlandsverrath
als Abscheulichkeit zu brandmarken. Dieser Absicht dient die
von Kleist allein erfundene und hinzugesetzte Ueberschrift!
Die Anekdote ist, als Kleist nicht zugehörig, aus
seinen Schriften wieder zu entfernen.
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