Reinhold Steig, Heinrich
von Kleists Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart:
Spemann 1901), 313-324
5. Rector und Senat in Kleists
Abendblättern.
Im 41. Berliner
Abendblatt, vom 16. November 1810, erschien unter den
Polizeilichen Tages-Mittheilungen die Notiz: Eine
Schlägerei zwischen Studenten und Handwerksburschen auf einem
Tanzboden sei durch das Hinzukommen eines Polizei-Offizianten
und der Jäger-Patrouille unterdrückt, bevor Jemand beschädigt
worden. Für derartige Mitthei- <314:> lungen hatte
Kleist keinerlei Verantwortung zu tragen. Sondern sie kamen
ihm, wie das in Abendblättern öffentlich ausgesprochen worden
war, vom Polizei-Präsidenten Gruner zu, dem er die Aufnahme
einzelner Notizen, selbst wenn sie ihm nicht genehm gewesen
wären, doch nicht hätte abschlagen dürfen.
Die Notiz machte in den Universitätskreisen das peinlichste
Aufsehen: aus welchem Grunde, lehren andere Acten der Universität.
Es war eine der schwersten Aufgaben für die Universitätsbehörden,
die von den verschiedensten Hochschulen zusammengeströmte
Studentenschaft zu innerer Einheitlichkeit durchzubilden und
in die Erfordernisse des groß- und residenzstädtischen Lebens
einzugewöhnen. Das Berliner Publicum zeigte wenig Neigung,
für hier und da verübten Studentenunfug eine Entschuldigung
aus dem Uebermuthe der Jugend herzuleiten. Aber auch das preußische
Disciplin verlangende Auge des Königs hatte gewisse Freiheiten
studentischen Auftretens Unter den Linden mit Unwillen bemerkt.
Des Königs Aeußerungen wurden zur Kenntniß des Senats gebracht,
der darüber amtlich verhandelte, und Savigny verfaßte einen
die Studentenschaft vorsichtig verwarnenden Anschlag an das
schwarze Brett, der in den Acten noch vorhanden ist.
Unter diesen Umständen hatte die Abendblatt-Notiz
etwas Aufregendes für die Universität, Professoren wie Studenten.
Die Universitätsbehörden faßten sie mit Recht
eine autoritative Eideshülfe für Kleist! als eine
halbofficielle auf, die schwerer wiege als eine
gewöhnliche Zeitungsnachricht. Und als gar der Universitätssecretär
dem Rector Schmalz das Abendblatt amtlich vorlegte, ersuchte
dieser nicht Kleist, sondern gleich den Polizei-Präsidenten
Gruner unter dem 26. November (also gewiß nach vorheriger
Besprechung mit seinen <315:> Amtsgenossen), ihn mit
einer näheren Auskunft zu versehen und ihm wenigstens Einen
der in den Vorfall verwickelt gewesenen Studenten namhaft
zu machen. Gruner erklärte, daß die Schlägerei auf dem Michaelisschen
Tanzboden stattgefunden habe und durch die Dazwischenkunft
des Polizeisergeanten Lucas unterdrückt worden sein. (Die
an sich gleichgültigen Namen sind hier und nachher doch zu
nennen, weil ohne sie Fichtes unbarmherzige Ironie nicht
verständlich werden würde.) Weil Niemand eine bedeutende Beschädigung
erlitten habe, sei auch keine Verhaftung oder nähere Erörterung
vorgenommen worden, weshalb er nicht im Stande wäre, einen
von den implicirten Studenten namhaft zu machen.
Sofort erließ der Rector Schmalz eine neue Rückfrage
an den Polizei-Präsidenten nach den Gründen, die den Polizeisergeanten
Lucas veranlaßt hätten, die darin begriffen gewesenen Individuen
theilweise für Studenten zu halten: Da die Studirenden
die Nachricht über diesen Vorfall im Abendblatt billig sentirt
haben, und eine berichtigende Erklärung deshalb wünschen,
so ersuche Euer Hochwohlgebornen ich ergebenst, mich mit der
gewünschten Auskunft baldgefälligst versehen zu wollen, welche
zur nähern Beurtheilung des Gesuchs mir nothwendig ist.
Ersichtlich in die Enge getrieben, nannte jetzt Gruner, als
an einem vorhergegangenen Streite betheiligt, einen
vor Kurzem wegen eines ähnlichen Vergehens zum Arrest
gekommenen Gesellen Rademacher und einen Studenten
von Dittmar. Das Factum sei nicht zu bezweifeln. Da eine weitere
Untersuchung auf keinen Fall zu dem beabsichtigten Widerrufe
führen könne, sei es das Rathsamste, die Sache auf sich beruhen
zu lassen. Dieser Bescheid datirt vom 11. December 1810.
Doch Gruner hatte sich verrechnet, wenn er glaubte
auf diese Weise los zu kommen. Schmalz faßte ihn sofort <316:>
wieder an. Er konnte feststellen, daß der genannte von Dittmar
kein bei der Universität immatriculirter Student war: Es
scheint daher, daß das Factum selbst, als hätten wirklich
immatriculirte Studenten an jener Schlägerei thätigen Antheil
genommen, noch nicht außer allem Zweifel ist. Euer Hochwohlgebornen werden auch gewiß ohne weitere
Versicherung sich von selbst überzeugen, wie unangenehm dergleichen
Artikel in öffentlichen Blättern der gesitteten Mehrzahl der
Studenten sein müssen, auf deren Rechnung überhaupt manche
junge Leute ihre Streiche verüben mögen. Gerade dies scheint
bei jener Schlägerei der Fall gewesen zu sein. Melden sich
nun, wie es denn bei dieser Gelegenheit geschehen ist, Studirende
bei mir, und klagen über dergleichen Prostitutionen ihres
Standes, so muß ich wünschen, entweder, sie überführen zu
können, daß das Factum wahr sei, oder, wo ich dazu nicht in
den Stand gesetzt bin, daß auf demselben Wege, als eine solche
nichtbegründete Nachricht ins Publicum gekommen, eine berichtigende
Erklärung deshalb erfolge. Der Geist der Ambition unter den
Studirenden, welcher sie selbst zu diesem Wunsche leitet,
ist wichtig für die Disciplin, und ich wünsche sehr, daß er
bleiben möge, zu gutem Erfolge für dieselbe. Euer Hochwohlgebornen
ersuche ich ganz ergebenst, eine dergleichen kurze Benachrichtigung
durch die Redaction der Abendblätter für den vorliegenden
Fall veranlassen und damit die Sache beendigen zu wollen.
Sie würden mich vorzüglich verbinden, wenn Sie künftig unnachsichtig
bei solchen Vorfällen zu verfahren die Güte haben. Dies
Schreiben ging schon wieder am 13. December ab und wurde
am 20. im Polizei-Präsidium vorgelegt.
Gruner wand sich nach der Möglichkeit, um seinen Beamten
zu decken und sich selbst nicht preis zu geben. (2. Januar
1811:) Die ihm gemachte officielle Anzeige sei doch im <317:>
Substanziellen begründet. Der Polizeisergeant habe dem Zeugniß
des Wirths, des Rademacher und eines Sommer, der jetzt noch
genannt wird, mit Fug trauen dürfen. Studenten wären wenigstens
kurz vorher und zwar bei dem Ursprunge der entstandenen
Streitigkeit im Kaffeehause gegenwärtig gewesen. Er,
Gruner, müsse dem Rector überlassen, eine Anzahl Studenten
(die, darunter Waubke, namhaft gemacht werden) dazu anzuhalten,
daß sie ihre Abwesenheit bei dem Vorfall durch gültige Beweismittel
darthun; er bemerke indessen zum Voraus: daß auch in
diesem Falle der ihn compromittirende Widerruf von seiner
Seite nicht erfolgen könnte, indem der Herr von Dittmar, welcher
der eingezogenen Erkundigung nach bisher Frankfurter Student
war, geständlich mit andern Frankfurter Studenten zugegen
gewesen. Um aber dem Rector und dem Senat einen Beweis
zu geben, wie gern er zur Erhaltung der Disciplin die Hand
biete und wie sehr es ihm einleuchte, daß die mögliche Schonung
bei allen das Ehrgefühl kränkenden Rügen hierzu kräftig mitwirke,
so werde er in Zukunft die öffentliche Bekanntmachung von
ähnlichen Vorfällen, welche keine ernsthaften Folgen gehabt
hätten, nach seinen Kräften zu verhindern suchen.
Da auf diesem Wege eine befriedigende Erledigung des
Vorfalles von Gruner nicht zu erreichen gewesen war, wandte
sich der Rector nunmehr an die Gruner vorgesetzte Behörde,
an das Departement für die allgemeine Polizei im Ministerium
des Innern, dessen Chef der Geheime Staatsrath Sack war. Er
stellte den Sachverhalt dar und legte den mit Gruner gepflogenen
Schriftwechsel bei. Ich hebe das Wesentliche aus. Die
Studirenden (erklärt Schmalz), sind hier so manchen und widersprechenden
Urtheilen ausgesetzt, daß es ihnen selbst nicht verdacht werden
kann, darauf zu halten, daß nicht unerwiesene, ihnen nachtheilige
Vorfälle, auf halbofficiellem <318:> Wege,
in ein gelesenes, vielleicht unter die Augen Sr.
Majestät des Königs kommendes Blatt zur allgemeinen Wissenschaft
gebracht werde. Der Senat bittet Sack, den Herrn
Polizeipräsidenten Gruner anzuweisen, den Widerruf jenes Artikels
in den Abendblättern zu veranlassen, und stellt
Sacks Ermessen anheim, ob dieser Widerruf nicht etwa
von einer im Entwurfe beiliegenden Erklärung Seitens der Universität
zu begleiten sein möchte. Folgenden Wortlaut hat der Entwurf
dieser
Erklärung.
Die in Nr. 41 des hiesigen Abendblatts unter den polizeilichen
Mittheilungen enthaltene Nachricht, von einer auf einem hiesigen
Tanzboden zwischen Studenten und Handwerksburschen vorgefallenen
Schlägerei, (welche durch die Zwischenkunft eines Polizeioffizianten
unterdrückt worden,) macht es nothwendig, hierdurch zu erklären,
daß von den Studenten hiesiger Universität Niemand der Theilnahme
an derselben schuldig befunden worden, und jene Nachricht
in so weit also falsch ist. Das achtungswerthe Publikum der
Residenz ist zu einsichtsvoll, als daß ihm entgangen sein
sollte, wie vieles von dem, was von den hiesigen Studirenden
zu ihrem Nachtheil debütirt wird, ungegründet und übertrieben
ist. Um desto mehr ist es die Pflicht des Senats, solchen
Gerüchten möglichst zu begegnen, welche nur dahin führen,
die gesittete Mehrzahl der Studirenden herabzusetzen, und
sie derjenigen Achtung zu berauben, welche ihnen eine freundliche
Aufnahme in den gebildeten Cirkeln Berlins sichert.
Berlin, d. 9. Januar 1811.
Rector und Senat der Universität.\*\
Die Entwürfe dieser Erkärung und der Beschwerdeschrift
an Sack legte der Rector vorher den Decanen zur Begutachtung
vor. Die Decane waren Fichte, Hufeland, Biener, <319:>
Schleiermacher. Zuerst kamen die Schriftstücke an Fichte,
der seine Ansicht auf zwei Folioseiten eigenhändig auseinandersetzte.
Mit welcher Ironie und Schärfe er dabei verfährt, und wie
er doch, durch Erweiterung der allgemeinen Gesichtspunkte,
eine Art Culturbild aus den beginnenden Zeiten der Universität
Berlin gezeichnet hat, entnehme man den eignen Worten Fichtes
selbst:
Ich halte diese Debatte (schreibt Fichte) nicht
nur um ihres Gegenstandes willen, sondern auch um deswillen
für höchst wichtig, weil die Universität, unter Behörden beginnend,
die theils übelwollend scheinen, theils dieselbe etwas oberflächlich
zu behandeln geneigt sein dürften, die Kraft zu zeigen hat,
ihr Recht zu behaupten, und den Verstand, sich nicht durch
solche schiefe Windzüge irre machen zu lassen, als der beigelegte
Brief (Gruners vom 2. Januar 1811) enthält.
1) ist klar, daß als der pp. Herr Gruner die in Anspruch
genommende Anzeige abfassen ließ, er gar nichts für sich hatte,
als die Anzeige seines Lucas; daß er es aber für so
gleichgültig hält, von Studenten zu schreiben, was er wollte,
als ob er es mit einer gewissen Klasse von Weibspersonen,
die auch unter der Aufsicht der Policey stehen, zu thun hätte;
und daß er erst, nachdem er in Anspruch genommen, (sein jetziger
Brief sagt dies ausdrücklich) angefangen hat, sich nach den
ihm abgehenden Gründen umzusehen; wo er denn in seiner Verlegenheit
es mit Waubke &c. oder, wie etwa das nicht gehen sollte,
mit v. Dittmar &c. versucht.
2) ist es von einem bedachten Manne etwas stark, daß er noch
in seinem Lezten versichert, das Substantielle der
ihm gemachten Anzeige habe sich begündet gefunden. Das Substantielle
in der in den Abendblättern abgedruckten Anzeige ist eine
Schlägerei der Studenten mit Handwerksburschen. Das
Höchste, was dieser Brief auf die genannten bringen möchte,
ist ihre Anwesenheit auf dem Kaffeehause vorher,
und bei dem Ursprunge der entstandenen Streitigkeit.
(Wenn die Sache aus dem Grunde untersucht werden könnte, so
würde sich vielleicht finden, daß überhaupt gar keine Schlägerei,
sondern nur ein Wortwechsel vorgefallen, daß man aber in
anima vili den Mund recht vollgenommen.) <320:>
3) ist es erwünscht für uns, daß Herr pp. Gruner uns
die Genealogie seines erfolgten Glaubens vorlegt. Er glaubt
Lucas, Lucas glaubt Michaelis, Sommern, Rademachern, als höchst
glaubwürdigen Leuten, und täglichen Besuchern des Kaffeehauses.
Ich will auch glauben, daß diese ausgesagt, was sie für wahr
gehalten. Bisher sind in Berlin Studenten genannt worden
Schüler, Pepinieristen, Barbiere, und allerlei junge Leute,
die nicht geradezu Handwerkspurschen waren. In diesem Sinne
mögen die glaubhaften recht haben. Was seit Errichtung einer
Universität allhier dazu gehöre, daß jemand rechtskräftig
ein Student genannt werden könne, das mag wohl Rademacher
bis heute noch nicht wissen, vielleicht ebensowenig Lucas.
Herr pp. Gruner freilich wußte es; aber er hat erst seit
der an ihn ergangenen Erinnerung sich dessen entsonnen.
4) ich überlasse Rechtskennern zu entscheiden, ob auf die
vorliegende Anzeige hin, von Personen, wie Lucas u. s. w.,
die sich im Gedränge befinden, die schon früher unbedachtsam
gehandelt haben, die dadurch fidem verlieren müssen,
die genannten Waubke &c. zu dem geforderten Beweise anzuhalten
sind. Mir nach meinem natürlichen Verstande kommt dies gerade
so vor, als ob ich hätte drucken lassen, der Herr PoliceyPräsident
Gruner selbst sey bei der bewußten Schägerei mit gewesen;
und, wenn ich darüber zur Rede gestellt würde, antwortete:
es hätten mir dies ein paar glaubwürdige alte Weiber versichert,
und ich werde mein Wort nicht eher zurücknehmen, bis er seine
Abwesenheit bei dem Vorfalle durch gültige Beweismittel dargethan
hätte.
5) Was die Beziehung auf v. Dittmar und andere Frankfurter
Studenten betrifft; so ist wohl klar, wenn in einem Policeyberichte
einer soebenerst zur Universitätsstadt gewordenen Stadt, und
in einem Blatte, wo von dieser neuen Universität oft die
Rede gewesen, das Wort Student vorkommt, man natürlich
versteht: hiesige Studenten; und daß, wer es nicht so verstanden
wissen will, das Wort Frankfurter oder auswärtige
wirklich hinzusetzen, nicht aber stillschweigend es voraussetzen
muß.
6) Compromittirt hat sich pp. Gruner schon durch
seine Anzeige; der Widerruf ist nur die natürliche Folge;
und darum gar keine neue Begebenheit.
7) Was er im Anhange aus sehr löblichen Bewegungsgründen verspricht,
nicht mehr Unwahrheiten ins Publikum zu bringen, ist lediglich
seine Schuldigkeit, deren Erfüllung ihm sehr erleichtert werden
wird, wenn er jezt widerrufen muß. <321:>
Ich halte drum dafür
1) daß, falls meiner Nr. 4 geäußerten Meinung nicht das
Recht entgegen ist, von der Anzeige gegen Waubke &c. gar
keine Notiz genommen, und auf dem Widerrufe bestanden werde.
2) daß auch dieses lezte Schreiben des Herrn pp. Gruner
dem Schreiben an die Behörde beigelegt werde; begleitet von
Bemerkungen, die da anschaulich machen, daß auch wir den wahren
Werth und Sinn desselben klar einsehen.
3) den beigelegten Entwurf zu einem Schreiben an Herrn G. St. R.
Sack, und zu der Anzeige finde ich, einige kleine Nachlässigkeiten
im Styl abgerechnet, die bei der Durchsicht ohne Zweifel werden
geändert werden, zweckmäßig. d.
7. Jänner.Fichte.
Diesem ausführlichen Gutachten stimmte Hufeland ohne Vorbehalt
zu. Der juristische Decan, Biener, rieth bis zum Eingang der
Antwort Sacks weder mit Gruner unmittelbar zu communiciren,
noch gegen die benannten Studiosos irgend etwas zu verfügen.
Beschwichtigend setzte Schleiermacher hinzu, auch seines Erachtens
sei die Antwort Sacks erst abzuwarten. In der Senatsversammlung
vom 9. Januar 1811 gelangte die Angelegenheit zur endgültigen
Berathung. Man kam überein, dem Entwurfe der Beschwerdeschrift
an Sack, im ganzen nach Fichtes Ausführungen, noch einen
Zusatz hinzuzufügen, und diese Schrift wie die Erklärung für
Kleists Abendblätter, mit dem Datum des 9. Januar
versehen, an die Gruner vorgesetzte Behörde abzusenden.
Mit der Entscheidung Sacks, die darauf erfolgte,
konnte der Senat zufrieden sein. Gruner wurde unter dem 21. Januar
1811 eröffnet, daß die in Anspruch genommene Stelle des Abendblattes
Mißbilligung verdiene und sowohl die darüber erhobene
Beschwerde, als auch die gegen seine (Gruners) diesfällige
Auslassung, vollkommen begründet sei. Eines Widerrufs von
Seiten der Polizeibehörde bedürfe es indessen nicht. Die Widerlegung
müsse aber dem Senate der Universität unbenommen bleiben:
und so wie dazu dessen <322:> im Entwurf eingereichte,
abschriftlich beifolgende Erklärung ganz zweckmäßig ist: so
wird dem pp. Gruner aufgegeben, den Redakteur des
Abendblattes zu deren Annahme ausdrücklich anzuweisen.
Der Senat der Universität erhielt gleichzeitig Abschrift dieser
Verfügung an Gruner, mit dem Bemerken, die Polizeibehörde
habe keine Verpflichtung zu dem Widerrufe da die Bekanntmachung
nicht unmittelbar von ihr ausgegangen sei; überhaupt
aber scheine es passend, die Erklärung, welche zur Berichtigung
des Mißverständnisses gewünscht werde, ebenso
wie jene Mittheilung selbst, dem Publicum ohne irgend eine
besondere Autorität hinzugeben.
Der Senat ordnete nunmehr an, daß die
oben mitgetheilte Erklärung noch unter Fortlassung
der mit rother Tinte angestrichenen Worte abzuschreiben, die
Unterfertigung wegzulassen und blos Berlin, 1. Februar
1811 hinzusetzen sei. Die Reinschrift sollte dem folgenden
Schreiben des Rectors Schmalz an Heinrich von Kleist, abzugeben
in dem Kunst- und Industriecomtor des Herrn A. Kuhn (wo
damals die Redaction der Abendblätter war), beigeschlossen
werden:
Berlin, 1. Februar
1811.
Der löblichen Redaction der Berliner
Abendblätter theilt der unterzeichnete Rector der Universität
in Verfolg einer Ihr von dem Herrn Polizeipräsidenten Gruner
deshalb wahrscheinlich schon zugegangenen Anweisung, anliegend
eine Erklärung zur Berichtigung einer in Nr. 41 des Abendblattes
enthaltenen Anzeige, von einer angeblich zwischen Studenten
und Handwerksburschen auf einem hiesigen Tanzboden vorgefallenen
Schlägerei, mit dem Ersuchen mit, dieselbe den Abendblättern
einzuverleiben, und ein Exemplar, worin dieser Abdruck geschehen,
nachrichtlich dem Unterzeichneten zuzusenden.
Rector der Universität.
Schmalz.
Der Beamte aber, dem die Ausführung der Abschriften oblag,
hat die Anordnungen des Senats nicht mit der nöthigen <323:>
Aufmerksamkeit befolgt. Er ließ zwar in der Abschrift der
Erklärung den von Fichte beanstandeten Satz, auch zwei von
den roth gestrichenen Wörtern, nämlich des Senats,
fort: indessen copirte er doch den 9. Januar 1811
sowie Rector und Senat der Universität ruhig mit.
Und so ist die obige Erklärung im Abendblatte vom 4. Februar
1811 wirklich und buchstäblich abgedruckt: entgegen den Intentionen
Sacks und der Universitätsbehörden.
Welche Rolle hat nun Kleist dabei gespielt? Anscheinend
keine: die Behörden vermeiden sichtlich, den Namen Kleists
nur zu nennen. Dennoch aber hat man ihm, wenigstens formell,
die ganze Sache aufgepackt. Der Senat der Universität, und
namentlich Fichte, gingen davon aus, Gruner habe die
erste Notiz verfaßt (oder verfassen lassen) und in die Abendblätter
hineingegeben: was der Wahrheit allein entsprach. Trotzdem
hat Gruner, wie aus der Entscheidung Sacks gefolgert
werden muß, die unmittelbare Verantwortung von
sich abgeschoben: wodurch sie nun natürlich auf Kleist fallen
mußte, der doch unschuldig war. Sack gewann freilich dadurch
den Vortheil, seinem Polizeipräsidenten nicht persönlich eine
Rüge ertheilen zu müssen. Mag man Kleist auch nicht ins Gesicht
hinein die Wahrheit zurecht gebogen haben, so behandelte man
ihn doch als den Officiosus, den man nach Bedarf auch dementiren
könne. Kleist, der gerade seine Leidensgeschichte mit Censur
und Staatskanzlei hinter sich hatte, machte keine weiteren
Schwierigkeiten. Er hatte keinen Anlaß, sich mit der Universität,
deren Mitglieder ihm zum Theil befreundet oder gesellschaftlich
verbunden waren, auf gespannten Fuß zu setzen. Ueber alle
intimeren Vorgänge, die nicht in den Acten stehen und doch
zumeist den Ausschlag gaben, war er gewiß gut genug unterrichtet,
und dachte sich sein Theil. Er druckte die Erklärung ruhig
ab. Dem Rector <324:> und Senate hat er nicht geantwortet.
Am 18. Mai 1811 wurden die Universitäts-Acten über die
Angelegenheit geschlossen, mit dem Vermerk, daß die
in dem Schreiben des Rectors vom 1. Februar erwähnte
Erklärung in den hiesigen Abendblättern wirklich abgedruckt
worden sei, obgleich der Senat keine Nachricht durch die Redaction
davon erhalten habe.
\*\ Ich bemerke
textlich hier Zweierlei, das im Nachfolgenden erst seine Erklärung
findet. Zu dem eingeklammerten Satze (welche
worden) von Fichtes Hand die Marginalbemerkung:
verwickelt den Perioden und scheint nicht zur Sache
zu gehören. Am Beginn des letzten Satzes die drei Wörter
die und des Senats dick mit rother
Tinte unterstrichen.
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