Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 306-313
4. Für die Naturphilosophie.
Man kann nicht wissen, ob die veränderte Direction der Universitätsangelegenheiten,
wie sie bei der Absage der Eröffnungsfeier sich zeigte, nicht
schon durch den Wechsel der Personen bedingt wurde, der bald
an der leitenden Stelle der Unterrichtsverwaltung sich vollzog.
Nachdem Nicolovius in Humboldts Nachfolge eine Zeitlang
interimistisch die Geschäfte geführt hatte, wurde, in Folge
der Neuorganisation der oberen Staatsbehörden vom 27. October
1810, der Geheime Staatsrath von Schuckmann zum Chef der Abtheilung
für den Cultus und öffentlichen Unterricht im Ministerium
des Innern ernannt. Schuckmann war ein Mann des Durchschnittlich-Alltäglichen
und ein Feind alles dessen, was irgend in den ihm verdächtigen
Bezirk der Phantasie hineinstreifen könnte. Sein Hardenberg
genehmes Programm, das er sich durch eine Königliche Cabinets-Ordre
sanctioniren ließ und dann der <307:> Universität zu
wissen gab, lautete Beförderung wahrer Religiosität
ohne Zwang und mystische Schwärmerei, Gewissensfreiheit und
Toleranz ohne öffentliches Aergerniß. Genau so lautete
die Sprache der damaligen aufklärerisch-rationalistischen
Tagesblätter. Die negative Bestimmung ohne Zwang und
mystische Schwärmerei enthielt die intolerante Verwerfung
der Anschauungen und Wünsche, die gerade um die Zeit in den
Berliner Abendblättern vorgetragen worden waren. Es läßt sich
auch hier der Einfluß der Abendblätter bis in die Fassung
der Königlichen Cabinets-Ordres hinauf verfolgen. Die möglichste
Abdrängung dieses lästigen Einflusses wurde von jetzt ab wieder
eins der Ziele der Unterrichtsverwaltung. Die praktischen
Folgen zeigten sich bald.
Zufällig gerade am 27. October 1810 meldeten
die Berliner Abendblätter ihre erste Forderung in Universitätsangelegenheiten
öffentlich an. Von Nicolovius war vor dem Lectionsverzeichnisse
eine allmählich fortschreitende Ausgestaltung des Lehrkörpers
verheißen worden, die zum Theil vielleicht schon in dem (nachfolgenden)
lateinischen Lectionskataloge hervortreten werde. Am schwächsten
war das Feld der philosophischen Wissenschaften
bestellt. Hier herrschte allein Fichte mit Vorlesungen für
und über seine Wissenschaftslehre, und wie um den Mangel zu
verdecken, hatte man des Juristen Schmalz Vorlesung
über Naturrecht und die des Mediciners Reil über Psychologie
hinzugruppirt. Fichte, obwohl seinem Werthe nach anerkannt,
besaß doch nicht die allgemeinen Sympathien. Mit Wolf und
Schleiermacher stand er auf gespanntem Fuße, und außerhalb
der Universität war die Patriotengruppe in ihrem Gefühle mehr
gegen ihn als für ihn eingenommen. Der Phöbus hatte dies Verhältniß
in Adam Müllers Sprache so umschrieben, daß Fichten
der redlichste Vorsatz der Popularität nie gelungen wäre,
weil er <308:> nicht vor allen Dingen die begriffe,
welche begreifen sollten. Schleiermacher aber machte gleichzeitig,
1808, in seiner Schrift Gelegentliche Gedanken über
Universitäten in deutschem Sinn, mit Vorschlägen für
die künftige Berliner Universität, gegen Fichte im voraus,
ohne seinen Namen zu nennen, sehr entschieden Front.
Er erklärte es als dem echten Geiste einer Universität
zuwider, daß nur Einer ausschließend befugt oder in den Stand
gesetzt sein solle, eine Wissenschaft zu lehren. Dem Staate
aber komme nicht die Entscheidung darüber zu, wer der echteste
Philosoph sei. Es gebe nichts Verhaßteres, als wenn eine Regierung
eines oder das andere der streitenden Systeme ausschließe
oder zurücksetze. Wem es gelinge, den größten Beifall zu erwerben
und zu bewahren, und das Talent der Hörer zur Speculation
aufzuregen, den solle man mit dem Charakter des öffentlichen
Lehrers bekleiden, ohne Rücksicht auf sein System, ja selbst
ohne Scheu vor den Streitigkeiten, die nicht zu vermeiden
seien. Während sonst die neue Universität in Berlin sich leicht
mit einheimischen Docenten versorgen könne, bilde das eigentlich
speculative Fach eine Ausnahme, für welches man am besten
thun werde, die Lehrkräfte von auswärts zu holen. Gleichzeitige
und später geführte Verhandlungen, über die Actenmaterial
vorhanden ist, erbringen die Bestätigung, daß Schleiermacher
als Nebenmann Fichtes den auswärtigen Steffens
im Auge hatte.
So sehen wir Bestrebungen verschiedenen Ausgangs,
aber Eines Zieles, am Werke, die Vertretung der philosophischen
Disciplinen in Berlin nach der naturphilosophischen Richtung
hin zu ergänzen. Im October 1810 etwa war die Lage der Dinge
die, daß Fichte im Bunde mit Schuckmann die Naturphilosophie
abwehrte, die früheren Hallenser aber, Schleiermacher, Reil,
Gräfe, ihren Einfluß für sie einsetzten. Die <309:>
letzteren betrieben mit erneutem Nachdruck die Berufung ihres
Freundes Steffens, die Schleiermacher den oberen Behörden
fortgesetzt zur Gewissenssache machte. Ja er hatte sich, um
von vornherein dem Einwurfe des Geldmangels zu begegnen, Nicolovius
gegenüber bereit erklärt, er wolle auf 1000 Thaler seines
eigenen Gehaltes für zwei Jahre zu Steffens Gunsten
verzichten: ein Anerbieten, das Reil und Gräfe unterstützten.
Steffens aber, dem Schwiegersohne Reichardts und Schwager
Pistors, standen seit Jahren Arnim, Brentano, Kleist
und die anderen Freunde persönlich nahe; nur daß jetzt Adam
Müller und Kleist sich von Dresden her auch ihrem ehemaligen
Mitarbeiter am Phöbus, dem inzwischen durch seine Ansichten
der Nachtseite der Naturwissenschaften zu Rufe gelangten
Philosophen Gotthilf Heinrich Schubert, der in Nürnberg ein
Schulamt hatte, verpflichtet fühlten. Beide waren nach dem
Urtheile ihrer Zeitgenossen ausgezeichnete Männer: Steffens
in freier, begeisterter Rede eine begeisterungsfähige Jugend
hinreißend; Schubert durch geniale Begabung und ein reines,
schuldloses Gemüth auf die ihm anvertraute Jugend wirkend.
Aber alle Versuche, unter der Hand für den einen oder den
anderen die Entscheidung der Regierung herbeizuführen, blieben
ohne Erfolg.
Diese Erfolglosigkeit erklärt allein den gereizten
Ton, mit dem endlich, am 27. October 1810, die Berliner
Abendblätter eingriffen. Sie richteten an die Regierung formell
zwar eine Bescheidene Anfrage, wollten aber nichts
weniger als bescheiden sein, sondern der Unterrichtsverwaltung
und Fichte derbe Wahrheiten ins Gesicht sagen. Zur Universitas
literaria gehöre, daß die Hauptrichtungen der Wissenschaft
repräsentirt und die herrschenden Grundformen der Philosophie
neben einander in Streit gebracht würden. Daher könnte
man (heißt es in sehr spitz gestellter Alternative) <310:>
bei Betrachtung des ersten Lectionskatalogs der Berliner Universität
fragen, ob die Naturphilosophie übergangen wäre, mit
Absicht, oder nur in Ermanglung tüchtiger Repräsentanten?
Die letztere Möglichkeit verwirft der Autor, da, soviel
wir wissen, Steffens und Schubert noch leben, die der Berliner
Universität wahrscheinlich manches Opfer gebracht haben würden,
und an Lehrertalent, literarischem Ruhm und wissenschaftlicher
Begeisterung keinem weichen. In dem Zusammenhange deutet
keiner natürlich auf Fichte. Der Autor erklärt
also eine Absichtlichkeit annehmen zu müssen, die sich indeß
mit der anderweitigen Liberalität der neuen Stiftung nicht
vereinigen lasse. Gerade in Berlin sei es wichtig, eine Concurrenz
streitender Ansichten zu veranlassen und z. B. das
große polemische Talent des Herrn Fichte (der nun zum Schlusse
direct genannt wird) in Bewegung zu setzen, wobei die
Wissenschaften an Freiheit, die Universität an Charakter nur
gewinnen könnten. Man beachte die scheinbar als ein Lob Fichtes
klingenden Worte, die aber auch anders verstanden werden konnten.
Die Bescheidene Anfrage ist mit rQ
unterzeichnet, einer Chiffre, deren Bestandtheile keine Hindeutung
auf den Namen des Autors enthalten. Das kann ich nach dem
Stil sagen: Kleist, Müller, Arnim oder gar Brentano haben
die Sätze nicht geschrieben. Andererseits ist die Aehnlichkeit
der Gedanken und Worte mit Schleiermachers oben besprochener
Schrift so fühlbar für den, der Beides gelesen hat, daß ich
den Artikel der Abendblätter direct oder indirect auf Schleiermacher
zurückführe. Ein persönlicher Verkehr zwischen dem letzteren
und der Kleistischen Gruppe war ja auch vorhanden, und in
den Reformjahren 1810 und 1811 neigte Schleiermacher einer
in den gehörigen Grenzen sich haltenden Opposition zu,
worüber wir von ihm eigene und fremde Bekundungen genug besitzen. <311:>
Wie dem sei: der Artikel schlug ein. Während noch
der Streit weiterbrannte, erging die officielle Bekanntmachung,
daß nunmehr das große medicinische, chirurgische Klinikum
der Universität unter der Direction Reils und Gräfes
am 5. November würde eröffnet werden. Sofort nahmen die
Abendblätter, am 1. November 1810, von dieser sachlich
wie persönlich für sie wichtigen Angelegenheit in einer (von
Kleist verfaßten) Tagesmiscelle gebührende Kenntniß. Wie ein
erster Erfolg erschien sie ihnen auf ihrem Vormarsche. Und
schon damals in das politische Kampfgetriebe verwickelt
und als Oppositionsmann gegen des Königs Regierung gekennzeichnet,
benutzte Kleist um so sichtbarer die Gelegenheit zu schreiben:
es verdiene den ehrerbietigsten und lebhaftesten Dank des
Publicums, daß der landesväterliche König durch Einrichtung
einer solchen, mit den bedeutendsten Kosten verbundenen Anstalt
und durch Anstellung solcher ausgezeichneten Männer dabei,
abermals einen Beweis seiner treuen unablässigen Sorge für
das Wohl seiner Unterthanen gegeben habe.
Ob infolge der öffentlichen Forderung einer naturphilosophischen
Professur die Aussichten für Steffens sich zuerst günstiger
gestalteten? Ich glaube es kaum, wenngleich Arnim am 2. October
seinem Freunde Wilhelm Grimm noch meldete, daß Steffens
Berufung wahrscheinlich sei. Denn die Widerstände wuchsen
täglich. Ja sogar eine journalistische Erwiderung erschien
den ablehnenden Behörden im höchsten Grade erwünscht. Als
zufällig Archenholz, der Verfasser der Geschichte des siebenjährigen
Krieges, um diese Zeit Berlin berührte, bot sich die Gelegenheit
eine Erwiderung in dessen zu Hamburg herausgegebene Minerva
hineinzubringen. Die ganze Haltung des Journals eignete sich
gut dazu; Adam Müllers Vorlesungen über Friedrich II.
wurden beispielsweise darin als verdunkelnd und verwirrend
bezeichnet. <312:> Im Januarheft des Jahres 1811 erschien
die Erwiderung auf den Artikel der Abendblätter. Der Verfasser
führt die entscheidenden Sätze wörtlich an und befürwortet
die ablehnende Stellungnahme der preußischen Regierung. Es
sei besser, dem eitlen Rufe zu entsagen, daß die neue und
neueste Weisheit neben der alten gelehrt werde, als eine metaphysischen
Revolution neuen Spielraum zu eröffnen. Der Verfasser bezieht
sich auf den, 1810 von Greifswald nach Berlin berufenen Anatomen
Carl Asmund Rudolphi, der sich (im Intelligenzblatte der Jenaischen
Literaturzeitung) in starken Ausfällen auf die frömmelnden
Mystiker und überklugen Sophisten erging. Wer der sich
Mr unterzeichnende Autor des Minerva-Artikels gewesen
ist, weiß ich nicht; nur das läßt sich erkennen, daß er nicht
in Hamburg, sondern in Berlin zu Hause war.
Die naturphilosophische Professur wurde denn auch
in Berlin vorläufig nicht durchgesetzt. Ich führe aus der
unmittelbar folgenden Zeit zwei gewissermaßen symptomatische
Aeußerungen Fichtes und Schuckmanns an. In demjenigen
Actenstücke, in welchem Fichte 1812 seine Entlassung aus dem
Rectorate forderte, weil er mit seiner Beurtheilung eines
studentischen Ehrenhandels im Senate nicht durchzudringen
vermochte, entwickelte er die angebliche Verwilderung der
Studenten, die sich im Duellzwang zeige, aus einem consequenten,
auf mißverstandener Geschichte und auf Naturphilosophie gegründeten
System, für das namentlich Schleiermachers Gelegentliche
Gedanken über Universitäten die Verantwortung trügen:
war doch darin (S. 127) gesagt worden, daß unter Studenten
der Zweikampf eine höchst natürliche und unvermeidliche
Erscheinung sei. Als dem Staatskanzler im selben Jahre
aus studentischen Kreisen ein erneutes Gesuch um Anstellung
eines Professors der Naturphilosophie überreicht wurde, <313:>
erklärte sich Schuckmann in seinem Berichte sowohl gegen Schelling
und Oken, wie gegen den inzwischen nach Breslau berufenen
Steffens. Dieser stehe bei der Composition der Breslauer Universität
als Naturphilosoph allein an seiner Stelle, er habe an entschiedenen
Gegnern dieser Philosophie dort ein hinreichendes Gegengewicht
und er könne durch die Reibung dort nur nützen: Dagegen
(fährt Schuckmann fort) würde ich nie darauf angetragen haben,
ihn hierher nach Berlin zu berufen. Erst nach Schuckmanns
Rücktritt zog Steffens 1831 als Professor in Berlin ein. Schubert
aber, der andere Schützling der Kleistischen Abendblätter,
fand in München seinen Wirkungskreis.
Daß weitere Aeußerungen über die Universität in den
Abendblättern nicht mehr begegnen, kann meines Erachtens seinen
Grund einzig und allein in Censurverboten haben. Hier reißt
für uns der Faden ab; ich habe aber noch über einen behördlichen
Conflict zu berichten, der durch einen Artikel der Abendblätter
hervorgerufen wurde und schließlich durch eine amtliche Erklärung
des Rectors und Senates in den Abendblättern seine Erledigung
fand. Es gelang mir, das vermuthete Actenmaterial auf der
hiesigen Universität aufzufinden.\*\
\*\ Die Erlaubniß
zur Benutzung danke ich dem damaligen Rector, Herrn Professor
Dr. Fuchs.
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