Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 298-306
3. Die Proclamation
der Universität.
Die Gründung und der nothwendige Ausbau der Universität Berlin
ging langsam von Statten. Schon im Sommer 1810 wurde von einzelnen
Docenten gelesen, ehe noch der Lehrkörper der Universität
vollzählig gebildet war. In den einleitenden Sätzen zum ersten
Lectionskataloge für das Wintersemester, der im September
1810 ausgegeben wurde, räumte Nicolovius allzu offen die Unfertigkeit
der ins Leben tretenden Universität ein; keine bedeutende
Universität habe bei ihrer Stiftung sogleich in allen Theilen
vollendet sein können; ihrer förmlichen Eröffnung sei der
wirkliche Anfang der Vorlesungen oft mehrere Jahre vorhergegangen.
Die feierliche Einweihung der Universität glaubte Nicolovius
noch einer ziemlich <299:> fernen Zeit vorbehalten zu
müssen, versprach jedoch beschwichtigend, seine Section werden
es an Eifer und Thätigkeit nicht fehlen lassen, sie wo
möglich binnen Jahresfrist herbeizuführen.
Man darf dieser amtlichen Kundgebung entnehmen, daß
hinsichtlich der feierlichen Proclamation der Universität
sich auch entgegengesetzte Wünsche geltend machten. Nicolovius
unstaatsmännische Ehrlichkeit, die Wilhelm von Humboldts
ziemlich scharfe Mißbilligung von Wien aus erhielt, wollte
erst den Bau fertig haben, dann ihn feierlich einweihen. Eine
andere Parthei verlangte, offenbar aus politischer Zweckmäßigkeit,
eine möglichst beschleunigte Proclamation der Universität.
Die letztere Parthei drang durch. Die Eröffnungsfeier wurde
auf den 15. October 1810, den Geburtstag des Kronprinzen,
anberaumt.
Die Abendblätter-Parthei muß für die Einweihung
am 15. October gewesen sein. Das sieht man daran, wie
sie sich rüstete, die Feier auf ihre Art gestalten zu helfen.
Ihre Beziehungen reichten über Savigny in die Universitätsbehörden
hinein, und Clemens Brentano übernahm den Auftrag, die Fest-Cantate
für die Feier zu dichten. Was die äußere Form anlangt, so
beruht diese auf programmatischen Festsetzungen, die man für
die geplante Feier getroffen hatte. Dem Inhalte nach finden
wir Uebereinstimmung mit den Motiven und Anschauungen, die
Kleist und Adam Müller in den Abendblättern vortrugen. Wie
bei Müller das Geistige dem Geistlichen sich unterordnen müsse,
so kann auch bei Brentano der Mensch, das Ebenbild Gottes,
irdische Erkenntniß nur als Wiederspiegelung göttlicher Gedanken
suchen. Wie Müller Christi Persönlichkeit als Basis aller
wahren Wissenschaft fordert, so stellt Brentano Christi Lehre
im Tempel, Christi Aussendung der Jünger zu lehren, Christi
Tod für seine Lehre den neuen <300:> Lehrern der Universität
als das göttliche Vorbild hin, dem nachzueifern sei; und der
Chor der Universitäts-Lehrer gelobt demnach:
Allwissender, wir gehen
In deines Sinnes Spur.
Und was wir auch verstehen,
Und was wir immer lehren,
Dein Wesen sei es nur.
Des Königs Gnade gründet, des Staates Macht erhält und schützt
die Universität, als einen der drei Pfeiler allgemeiner Volkswohlfahrt.
Denn: Groß sei Deutschland, wenn es Pflug und Schwert
und Buch ehre Buch zugleich
auch in dem möglichen Bedeutungsübergange zu Bibel.
Dem Schwert, auf das Brentanos preußische Freunde sehnsüchtig
sich verließen, widmet er in ihrem Sinne die Strophe:
Die Berge haben Eisen dir gegeben,
Und deine Schmieden Klingen,
Und deine Wälder Söhne, die sie heben,
und sie in gutem Kampfe gut auch schwingen!
In Brentanos Cantate waltet also die Gesinnung und die
Sprache der christlich-feudalen Kriegs- und Agrarparthei,
weniger dringend freilich, als in Müllers gleichgearteten
Artikeln. Aber da dies doch nicht die Gesinnung und die Sprache
der officiell betheiligten Behörden war, so müssen wir über
dasjenige Maß von Einfluß staunen, bis zu dem die Parthei
ihre Wünsche unter Umständen zu steigern sich getraute. Auch
die Musik zu der Cantate lieferte einer der Ihrigen, nämlich
Reichardt aus Giebichenstein, der sich zur Einstudirung einer
neuen Oper den Winter über in Berlin aufhielt.
Kurz vor dem angesagten Tage aber schlug plötzlich
der Wind um, und die Universität wurde am 15. October
1810 nicht eingeweiht. <301:>
Ich muß diesen letzten Satz näher begründen, weil
man, seit Rudolf Köpkes Schrift über die Gründung der
Universität Berlin, in der einschlägigen Litteratur Angaben
über diese Feier, die doch nicht Statt gefunden hat, lesen
kann. Köpkes Darstellung beruht aber hier nicht auf
actenmäßigem Urkundenmaterial, sondern er ist durch Clemens
Brentanos Cantate irre geleitet worden. Ich wurde dadurch
zweifelhaft, daß ich nirgends in Briefen solcher Männer, die
der Feier beigewohnt haben müßten, nirgends in Zeitungen,
Berlinischen wie auswärtigen, nirgends in den Acten, auf der
Universität wie im Geheimen Staats-Archiv, die behauptete
Eröffnungsfeier der Universität mit einem einzigen Worte erwähnt
fand. Ein so hervorragendes Ereigniß hätte nicht mit absolutem
Schweigen übergangen werden können. Dann aber kamen auch die
positiven Beweise, die noch fehlten. Der den Abendblätter-Kreisen
nicht fernstehende Berliner H-Correspondent der Zschokkeschen
Miscellen berichtete aus Berlin den 20. October 1810
(Miscellen Nr. 89, Seite 356):
Unsere Universität ist nicht, wie es früher
verheißen ward, am 15. Oktober, als an dem Geburtstage
unsers Kronprinzen, eingeweiht worden, weil es an Zeit
gefehlt hatte, die dazu gehörenden Vorkehrungen zu treffen.
Es geschieht diese Feierlichkeit nun entweder am 1. November,
beim Anfange der Collegien, oder erst zu Ostern künftigen
Jahrs.
Und im Preußischen Hausfreunde wird in Nr. 87 unter dem
29. October ausgeführt, daß mit diesem Tage, der Vorschrift
gemäß, die Vorlesungen der akademischen Lehre begännen:
Eine eigentliche Einweihung findet jetzt noch nicht
statt, und dürfte vielleicht noch lange aufgeschoben werden.
Man hatte zuerst den 15ten d. M. zum Anfang der Vorlesungen
bestimmt, weil man bis dahin alle Einleitungen dazu beendigt
zu haben glaubte; daher erschien auch zu diesem Tage eine
Kantate von Clemens Brentano, die bei manchen <302:>
Sonderbarkeiten im Ausdruck und Ideengang, doch viel Treffliches
enthält, wozu besonders S. 10 und 11 der Wechselchor
der Bürger gehört, und überall den genialen Kopf ihres berühmten
Verfassers bekundet.
Die Einweihungsfeier ist also aus der Geschichte der Universität
und der Geschichte Berlins zu streichen. Welche Gründe die
Aufhebung des ursprünglichen Entschlusses herbeigeführt haben,
weiß ich nicht; der Grund der Correspondenzen, daß die Zeit
zu den nöthigen Vorkehrungen gefehlt habe, ist doch wohl ein
vorgeschützter und nicht der wirkliche.
In der Parthei der Abendblätter war man über die Vereitelung
und Absage der Feier höchst ungehalten. Ein Artikel in den
Abendblättern sollte wohl die Mißstimmung zum Ausdruck bringen.
Aber anstatt seiner erschien im 9. Blatt, am 10. October
1810, die (von Kleist herrührende)
Anzeige.
Der uns von unbekannter Hand eingesandte Aufsatz über die
Proklamation der Universität, kann, aus bewegenden Gründen,
in unser Blatt nicht aufgenommen werden, und liegt zum Wiederabholen
bereit.
Der Ausdruck aus bewegenden Gründen heißt natürlich
auf verständlich Deutsch von der Censur gestrichen.
Der Artikel muß also einen Inhalt gehabt haben, den sich die
Section des Cultus nicht gefallen lassen wollte. Ich glaube
fast, daß die unbekannte Hand von Kleist fingirt
worden ist, nur um verstehenden Lesern die Mittheilung zu
machen, ein die unterbleibende Proclamation der Universität
oppositionell behandelnder Artikel sei beabsichtigt gewesen,
von der Censur jedoch nicht zugelassen worden.
Wie unerwartet die Absage der Feier kam, sieht man
daraus, daß von Brentanos Cantate bereits der Sonderdruck
bei Hitzig fertig dalag in Quartformat splendid gedruckt,
mit einer das Universitätsgebäude darstellenden Titelvignette.
Viele Exemplare wurden in Berlin und auswärts abgesetzt. <303:>
Und nun geschieht das Seltsame, daß die Abendblätter den Aufschub
der Feiern gleichsam ignoriren. Das 12. Abendblatt, vom
13. October 1810, zeigt in ungewöhnlicher Raum-Freigiebigkeit
das Erscheinen der Cantate an, die am Montag den 15. October,
in der Expedition der Berliner Abendblätter zur Ausgabe gelangen
werde. Und das folgende 13. Blatt, vom 15. October
1810, brachte von Arnim das (seinen Werken fehlende) Gedicht
Der Studenten erstes Lebehoch bei der Ankunft in Berlin
am 15ten Oktober.
Eingeborner.
Ihr Pilger schüttelt ab den Staub
Von euren Reiseschuhen,
Und kränzet euch mit letztem Laub,
Am Festtag auszuruhen.
Chor der Ankommenden.
So hell, so froh des Festes Klang,
So müd, so schwer der Pilger-Gang,
So streng, so rastlos hält ein Schwur
Uns noch auf segenreicher Spur.
Eingeborner.
Was sucht ihr in dem fernen Land,
Was treibt euch durch die Wüste,
Da ist kein Geld, da ist nur Sand
Und Wein ein fremd Gelüste.
Chor der Ankommenden.
So tief, so heiß der Wüste Sand,
So hoch, so heiß der Sonne Stand,
So tief, so hoch glüht fromme Lust
Nach Wissenschaft in unsrer Brust.
Eingeborner.
So grüßet diese heilge Stadt,
Die Wallfahrt ist geendet,
Und wer vom Wege müd und matt,
Dem sei dies Glas gesendet. <304:>
Chor der Ankommenden.
So hell, so froh das Glas erklingt,
So hell, so hoch die Kehle singt,
So hell, so hoch strahlt gute Zeit
Aus dieses Willkomms Fröhlichkeit.
Eingeborner.
Geendigt ist die Pilgerreis,
Hier schafft in gutem Willen,
Hier betet froh, in muthgem Fleiß,
So wird sich viel erfüllen.
Chor der Ankommenden.
So still, so treu die Spree hier fließt,
So hell, so weit die Straße grüßt,
So still, so hell glänzt Wissenschaft,
Die aller Welt Verbindung schafft.
Eingeborner.
Hier findet ihr der Wissenschaft
Ein Heldenschloß geweihet,
Das deute euch den Muth, die Kraft,
Womit Sie Sich erneuet.
Chor der Ankommenden.
So tief, so weit des Schlosses Grund,
So groß, so ernst thut Sie Sich kund
So weit dies Schloß und auch so hoch
Erschalle Ihr ein Lebehoch.
Eingeborner.
Dies Lebehoch dem König bringt,
Der ihr dies Schloß verliehen,
Der Wunsch, der frei vom Herzen dringt,
Der wird im Himmel blühen.
Chor der Ankommenden.
So fern, so weit noch Wissen blüht,
So wahr, so treu die Jugend glüht,
So weit, so wahr schall Lebehoch,
Dem König freies Lebehoch. <305:>
Eingeborner.
Ein Segensstern, erglänzt am Thron,
Hat diesen Tag geweihet,
Denn ihm erschien ein Königssohn,
Den Wissenschaft erfreuet.
Chor der Ankommenden.
So tief, so hoch Begeisterung,
So groß wird einst, wer kräftig jung,
So kräftig, jung ruft Lebehoch,
Dem Königssohn dies Lebehoch.L. A. v. A.
So steht das Gedicht, genau, in den Abendblättern und läßt
eine Auffassung zu, die genügen könnte. Ankommende Studenten
werden von einem eingeborenen Berliner angeredet, und das
Wechselgespräch gestaltet sich zu festlichen Worten für die
neue Universität. Nun aber hat sich die Druckvorlage von Arnims
Hand erhalten. Sie eröffnet uns eine ursprünglich andere Anlage
des Gedichtes. Die vier ersten Strophen sind freilich ein
Wechselgespräch zwischen dem Eingeborenen und den Ankommenden,
die, ermattet von der Wanderung, zum Ausruhen aufgefordert
werden. Die Studenten jedoch marschiren weiter. Jetzt nimmt,
in Strophe 5, Einer von ihnen denn Einer,
und nicht mehr Eingeborner, bietet fortan die
Handschrift das Wort, um nach wandernder Studenten
Sitte einen Gruß der Musenstadt darzubringen, in den der Chor
es heißt in der Handschrift von Strophe 6 an nur noch
Chor, nicht mehr Chor der Ankommenden
einfällt. Man muß annehmen, daß Kleist als Redacteur immer
Eingeborner und Chor der Ankommenden
eigenmächtig eingesetzt hat.\*\
<306:>
Die letzte Strophe bringt das Gedicht dem Kronprinzen
dar; es war also auch in Erwartung des programmatischen Verlaufes
der Feier gedichtet. Im übrigen baut Arnim kein poetisches
Gebilde tiefer Gedanken, wie Brentano, auf. Seine Leistung
ist mit der Brentanos kaum zu vergleichen. Aber Arnim
verfährt doch viel unbefangener. Seine Mahnung, zu beten vor
der Arbeit, Muth und Kraft zu ziehen aus der Wissenschaft,
hat etwas froh Belebendes, und rührend ist, wie er den geliebten
Sand seiner Mark, wo Wein ein fremd Gelüste ist, dem reichen
Süden Deutschlands gegenüber schützt. Dieser vaterländische
Zug, der Arnim und Kleist und den übrigen Märkern im Blute
saß, fehlte Brentano, den konnte er auch seiner Cantate nicht
verleihen. Man muß, um die flache Mark zu lieben, in ihr geboren
und erzogen sein.
\*\ Ich merke ein
paar Abweichungen noch an. In Strophe 3 ist das handschriftliche
Gold, anstatt Geld, das richtige.
Das Komma hinter Segensstern in der vorletzten Strophe, das
erst dem Drucke zugefügt ist, giebt eine andere Auffassung,
als Arnim wollte. Ebenso hat die handschriftliche Schlußstrophe
kein Komma zwischen kräftig, jung.
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