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                   Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe 
                    (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 292-297 
                     
                    1. Freimüthige Gedanken bei 
                    Gelegenheit der neuerrichteten Universität Berlin. 
                     
                     
                     Die Gründung der Universität 
                    war für die Freunde der Berliner Abendblätter die erste allgemeine 
                    National-Angelegenheit, mit der sie sich ihrem ungeschriebenen 
                    Programm zufolge beschäftigten. In der ersten Nummer hatte 
                    Kleists Gebet des Zoroaster, mitten im rationalistischen 
                    Berlin, die sittlich-religiöse und patriotisch-monarchische 
                    Tendenz der künftigen Blätter verkündigt. Das zweite, dritte 
                    und vierte Abendblatt brachte sogleich Adam Müllers 
                    Freimüthige Gedanken bei Gelegenheit der neuerrichteten 
                    Universität Berlin. 
                     Müller geht von dem Lectionskataloge aus. Er lobt 
                    daran, daß bei den Namen der Lehrer die bürgerlichen Qualificationen 
                    und Titulaturen absichtlich weggelassen worden seien. Die 
                    Universität sei eine in gewisser Rücksicht vom Staate unabhängige 
                    Republik der Wissenschaften: Klopstocks <293:> 
                    Gelehrtenrepublik empfindet man, wirkt in diesen Anschauungen 
                    nach. Die neue Universität strebe, die durch Mißbrauch herabgewürdigten 
                    Doctoren- und Professoren-Titel wieder zu Ehren zu bringen. 
                    Es müsse ihr großentheils gelingen, da Namen wie Wolf, Niebuhr, 
                    Savigny, Reil, Fichte u. s. f. in diesem einfach 
                    erhabenen Schmucke aufträten. So ähnlich berichtete Savigny 
                    am 1. October 1810 seinem Freunde Bang (ungedruckt, Königl. 
                    Bibliothek): der Geheime Staatsrath Niebuhr, Sohn des Reisenden, 
                    ungeheuer gelehrt, stehe im Lectionskatalog mit Römischer 
                    Geschichte als Dr. Niebuhr; Titel sollten die Professoren 
                    nicht bekommen; vielleicht nicht einmal Rang unter einander. 
                    Man bemerke, wie von Müller nur den Berliner Patrioten näher 
                    stehende Professoren genannt werden, und wie aus großentheils 
                    eine ablehnende Kritik gegen andere Professoren herausblickt. 
                     Allmählich und unvermerkt breitet Müller seine Grundanschauungen 
                    aus. Es gilt ihm nur als eine Rohheit politischer Ansichten, 
                    wenn es nur Einen Maßstab des Verdienstes und der Wirksamkeit 
                    im Staate geben, und das stille auf die Ewigkeit gerichtete 
                    Streben des Gelehrten daneben zurückstehen solle. Er verlangt 
                    neben der Civil- und Militair-Rangordnung auch für den geistlichen 
                    Stand die Festsetzung einer eigenen und unabhängigen Rangordnung. 
                    Auf das im christlich-religiösen Sinne gebrauchte Wort geistlich 
                    kommt es wieder sehr wesentlich an. Müller will alle Wissenschaft, 
                    wie die Staatskunst (oben S. 8), auf christliche Grundlage 
                    stellen. Unter den höheren allgemeinen Begriff des Geistlichen 
                    subsumirt er das Geistige, das Wissenschaftliche, das Gelehrte. 
                    Dieser geistliche Stand also habe weltliche, ihm ohne administrative 
                    Function angeheftete Titel nicht nöthig, um so mehr, da sie 
                    ja nur das ehemalige traurige Bedürfniß andeuteten, einen 
                    zurückgekommenen Stand dadurch zu heben, daß man ihm den <294:> 
                    Schein eines andern, geehrteren Standes anhänge. Müllers 
                    Sprache war Verletzung nach verschiedenen Seiten hin, namentlich 
                    aber für die zugleich als Universitätslehrer bestellten Beamten, 
                    die er als sujets mixtes auf geistlichem und weltlichem 
                    Gebiete charakterisirte. Er hatte bestimmte Leute, wie etwa 
                    Hoffmann, im Auge. 
                     Er forderte weiter für die Universität Censurfreiheit, 
                    wodurch einst Göttingen groß geworden sein: das wahrhaft 
                    geistliche Vorrecht, die Ueberzeugung seines Geistes vor Gott 
                    und seinem Könige ohne weitere Controlle auszusprechen. 
                    Es meldeten sich hier die schlimmen Erfahrungen des damals 
                    herrschenden Censurzwanges. Thatsächlich erfolgte nachher 
                    für die wirklichen ordentlichen Professoren der Universität 
                    die Gewährung der Censurfreiheit, wenn sie Bücher und Schriften 
                    über Gegenstände derjenigen Facultät, bei welcher sie angestellt 
                    wären, unter Vorsetzung ihres Namens und ihres Charakters 
                    zum Druck beförderten (Schuckmann an Sack, Geh. Staats-Archiv). 
                     Diesem neuen geistlichen Stande im Staate, meint nun 
                    Müller, erwüchsen neue Pflichten gegen den Staat. Er müsse 
                    dem Staate auch dienen. den die bisherige bloß 
                    kosmopolitische Richtung des Gelehrten, wobei dieser Stand 
                    zersplittert worden und um seine Ehre gekommen, muß balancirt 
                    und regulirt werden durch eine vaterländische. 
                    Zu einem bloßen Gastmahl für die wissenschaftlichen Gourmands 
                    von Europa werde die Berliner Universität nicht gestiftet. 
                    Ihr liege vielmehr die nationale Bildung des preußischen 
                    Staatsbeamten ob. Müller giebt die Ideen an, nach denen diese 
                    seines Erachtens geschehen müsse: Die höchste Verirrung 
                    der Erziehung ist, wenn sie bloß fürs Allgemeine, ins Blaue, 
                    Entfernte (d. h. Nicht-Nationale) erzieht, und vor aller 
                    Humanität und Philanthropie nicht zum Stehen und Wirken kommt. 
                    Wenn <295:> der christliche Glaube in seiner Glorie 
                    bestände, wie damals als Bologna, Paris und Prag blüheten, 
                    dann gäbe es ein großes Besonderes, Bestimmtes und Nächstes, 
                    welches dem Streben der Wissenschaften ins Allgemeine und 
                    Entfernte die Wage hielte: jetzt aber können die Wissenschaften 
                    nur Leben und Umriß erhalten, wenn sie sich in freier Dienstbarkeit 
                    dem Staate anschließen. Aufgespeichert, gesammelt, entdeckt, 
                    emendirt ist genug: überflüssig viel wissenswürdiges hat das 
                    letzte Säkulum zusammengeschleppt. Von keiner andern Seite 
                    ist den Wissenschaften mehr zu dienen, als dadurch, daß man 
                    ihnen die lebendigen Beziehungen, die praktische Kraft, das 
                    Fleisch und Blut wiedergebe, das sie in der Barbarei der letzten 
                    Zeiten verloren haben. Der jetzt herrschende, aller wahren 
                    Wissenschaft abgewendete, hyperkritische Geist der Gelehrten, 
                    der Krieg aller gegen alle, die fruchtlose Zersplitterung 
                    der literarischen Republik ist nicht anders zu beschwichtigen 
 
                    als durch den Staat, durch ein gemeinschaftliches, 
                    praktisches Ziel, welches diesen entzweiten Wissenschaften 
                    vorgehalten wird. Dieses Ziel, unausgesprochen und doch 
                    verständlich, war die Erziehung und Stärkung der Nation zu 
                    künftigen Thaten! 
                     Müllers Artikel machte Aufsehen und erregte, 
                    wie er Zustimmung fand in dem, was er in gültiger Weise über 
                    die Zersplitterung und allzu große Specialisirung des wissenschaftlichen 
                    Betriebes sagte, doch auch die Empfindlichkeit der leitenden 
                    Kreise und der Professorenschaft. Das Verdrießliche für alle 
                    lag in der vorsichtigen Rücksichtslosigkeit, mit der Müller 
                    als Privatmann seine Forderungen vortrug, und ferner in der 
                    wie selbstverständlich behandelten Subsumirung des Geistigen 
                    unter das Geistliche. Namentlich das letztere behagte selbst 
                    Denen nicht, die sich sonst das christlich-religiöse Moment 
                    sehr wohl hätten gefallen lassen. Es wurden <296:> Müllers 
                    Ausfällen und Anzüglichkeiten persönliche Beweggründe untergelegt. 
                    Man wußte, daß seine Berufung in den Lehrkörper der Universität 
                    wohl ventilirt, aber schließlich vereitelt worden war. Wilhelm 
                    von Humboldt hatte ihn öfters zu sich, auch mit Wolf zusammen, 
                    nach Tegel hinaus zum Essen geladen und ihm durch diese feinste 
                    Art der Bestechung (wie Hippel einmal sagt) seine Gedanken 
                    entlockt. Verdrießlich aber berichtete Humboldt schon im Februar 
                    1810 an Goethe, daß Müller, der eine förmliche Oppositionsparthei 
                    bilde, obgleich ein guter Kopf, sich doch selbst um Das bringe, 
                    was ihm nothwendig zufallen müßte, wenn er vernünftig wäre 
                    (Bratanek S. 236). Das ist in Humboldts diplomatischer 
                    Sprache sehr viel gesagt und sehr viel anerkannt, ohne daß 
                    doch zwischen seiner classisch-kosmopolitischen Denkweise 
                    und der romantisch-nationalen Adam Müllers eine Ausgleichung 
                    möglich gewesen wäre. Selbst Savigny äußerte sich (in einem 
                    noch ungedruckten Briefe) zu den Brüdern Grimm in Cassel ungünstig 
                    über Müllers Universitäts-Artikel in den Abendblättern. 
                    Und sein Schwager Brentano berichtete denselben Freunden (auch 
                    ungedruckt) in der ihm eignen bizarren Wiederspiegelung des 
                    Thatsächlichen, daß Adam Müller, ein Mensch der mit allgemeinem 
                    Scharfsinn eine angewohnte Fuchsschwanzstreicherei, mit einer 
                    Art Tiefe dreierlei Arten von Hohlheit verbinde und sonst 
                    ihr aller sehr guter Gönner sei, in Berlin eine eigne Staatsoppositionsclique 
                    anführe und jetzt auch ein Universitätskriterium übe, 
                    weil man ihn bei beiden übergangen habe. Die Neigungen und 
                    Abneigungen des persönlichen Verkehrs lassen sich für unser 
                    Urtheil nur schwer in Anrechnung bringen. Sachlich aber muß 
                    bemerkt werden, daß Müllers Anschauungen über Staat 
                    und Universität, wie sie in Kleists Abendblättern vorliegen, 
                    sich durchaus im Geiste seiner früheren Schriften halten: 
                    also inhaltlich <297:> nichts Plötzliches oder Inconsequentes 
                    bieten, das jetzt erst gekränkter Eigenliebe entsprungen wäre. 
                     
                    
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