Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 289-292
Fünftes Capitel.
Universität, Schul- und Erziehungswesen.
Heinrich von Kleist und seine
Freunde waren der Mehrzahl nach wissenschaftlich gebildete
Männer, die die Pflege der Wissenschaft an sich aber nicht
als ihren Beruf betrachteten. Zwar dachten Kleist, Arnim,
Adam Müller in vorübergehenden und nicht verwirklichten Entschlüssen
daran, sich um ein akademisches Lehramt zu bemühen. Aber der
politische Ernst der Zeiten gewährte ihrer Meinung nach nicht
mehr die frühere Beschaulichkeit und Muße eines abgeschlossen
gelehrten Daseins. Es galt jetzt andere Ziele nationaler Art,
für die alle im Volke vorhandenen Mittel herangezogen werden
müßten. Die Wissenschaft rückte damit für sie in die Stelle
eines Mittels, aber eines der edelsten Mittel, zur Hervorbringung
eines höheren nationalen Lebens ein. Es kam ihnen allein auf
die Wirkung an, die von der Wissenschaft ausging. Arnim hatte
in der Kraus-Fehde gerade diesen Punkt als einen höchst seltenen
in Deutschland bezeichnet. Auch Goethe lehnte für seine Person
den unfruchtbaren Betrieb der Wissenschaften ab; mit denjenigen
Gelehrten aber, die Neuland in ihrer Wissenschaft entdeckten,
suchte er Verbindung und freundschaftlichen Meinungsaustausch.
Rückblickend darf uns heute <290:> seine Stellung zur
Wissenschaft als vorbildlich für die Freunde der Abendblätter
erscheinen, nur mit dem natürlichen Unterschiede, daß diese
sich in Neigung und Abneigung an eine jüngere Gelehrtenschicht
wandten.
Die märkische adlige und bürgerliche Jugend studirte
auf der preußischen Universität Halle, woran sich
für die adlige nach vorher eingeholter Erlaubniß des Königs
ein Besuch Göttingens anzuschließen pflegte. Königsberg führte,
bis auf die Jahre des dahin verlegten preußischen Regierungssitzes,
ein eigenes Dasein für sich; Frankfurt an der Oder hatte kaum
höhere Bedeutung als die einer Schulanstalt. Die politischen
Veränderungen nach 1807 unterstellten aber Halle und Göttingen
der französischen Machtsphäre. Die Folge davon war, daß das
in rühmlicher Pflege deutschen Gedankens aufblühende Heidelberg
mehr, als früher, die preußische Jugend an sich zog, und daß
man in Preußen die seit längerer Zeit geplante Neugründung
der Universität Berlin, gleichfalls als Gegengewicht gegen
den fremden Einfluß, energischer in Angriff nahm. Heidelberg
und Berlin traten in engste Gedankenverbindung mit einander.
Wie die Heidelberger gelehrte Welt Docenten und Studenten
an Berlin abgab, so verlegte auch die Heidelberger Romantik
ihren Sitz vom Neckar nach Berlin und schloß sich mit geistesverwandten
Bestrebungen anderer Herkunft zu Einer litterarischen Machtgruppe
zusammen.
Die Bildung des ersten Berliner Lehrkörpers ist ein
wahres Meisterstück feinster diplomatischer Thätigkeit Wilhelms
von Humboldt. Er, ein innerlich überzeugter Anhänger des Weimarischen
Classicismus, den er ästhetisch receptiv in sich verarbeitete,
schloß doch insbesondere für die staatswissenschaftlich-philosophischen
Fächer nicht die schärfere, verstandeskühle Richtung der Königsberger
aus, während er andererseits die <291:> hervorragenden
Vertreter der neuen historischen Schulen mit ihrer stärkeren
Betonung des Vaterländischen zu gewinnen wußte. Er brachte
die schwere Aufgabe fertig, ohne Verläugnung des Gründungsgedankens
alle Partheien zufrieden zu stellen, oder wenigstens ihnen
keinen Grund zu berechtigter Einrede zu geben. Auch die Mitwirkung
der Berliner Patriotengruppe nahm er in Anspruch. Zwar entzog
er sich der Berufung ihrer extremen Mitglieder und Günstlinge,
aber die Verhandlungen mit Savigny gingen durch Arnims
Hand, dem Wilhelm von Humboldt wie sein Mitberather Friedrich
August Wolf freundschaftlich zugethan waren. In Savignys
persönlichem und wissenschaftlichen Einfluß war für die Berliner
Romantik der Zusammenhang mit der neuen Universitätsgründung
gewährleistet. Sie erhielten damit die Gelegenheit, ihre Wünsche
an maßgebende Stellen gelangen zu lassen.
Humboldt vertauschte aus guten Gründen sein Amt mit
dem Wiener Gesandtschaftsposten, und Nicolovius trat in Berlin
an seine Stelle. Dieser stand der Patriotengruppe innerlich
näher als sein Vorgänger. Er kannte die Meisten von Königsberg
her persönlich. Nicolovius war aus der Königsberger Lehre
Kants, Kraus, Scheffners, die ihn liebten,
hervorgegangen: gehörte jedoch keineswegs zu den gläubigen
Jüngern des kategorischen Imperativs oder gar der Berliner
Aufkärung. Nicht einmal mit dem unter Hardenbergs Kanzlerschaft
in den preußischen Staatsorganismus eindringenden Smithianismus
vermochte er sich zu befreunden. Sehr wichtig dafür ist ein
Brief von ihm an Schön, aus Berlin den 1. December 1810,
also mitten aus den (oben geschilderten) politischen Kämpfen
heraus geschrieben, worin es heißt: Sehn Sie irgend
einen der Bessern, der mit Freuden jetzt thätig wäre? Ich
sehe keinen. Ich habe neulich Burke on the revolution
in France wieder gelesen. Dürfte man Auszüge in Zeitungen
<292:> einrücken lassen, ei wie würde das feige Geschlecht
erschrecken! Aber eia poppeia! Männer müssen wie Kinder eingelullt
oder mit der Ruthe geschreckt werden. Die Sätze klingen
fast, als habe sie ein Oppositionsmann in den Berliner Abendblättern
geschrieben. Nichtsdestoweniger führte Nivolovius, gemäß dem
auch geistigen Dingen innewohnenden Schwergewichte, die Geschäfte
seines Ressorts auf dem Wege weiter, welchen Humboldts
adminstrative Kraft ihnen vorgezeichnet hatte. Von Nicolovius
unter dem 18. September vollzogen, erschien Ende des
Monats als erstes Actenstück das Verzeichniß der Vorlesungen
für das Winterhalbjahr in deutscher Sprache. Darin daß die
Berliner Universität, um Nicolovius Ausdruck zu gebrauchen,
ein großes National-Institut sein solle und sei,
stimmten damals alle berufenen Partheien überein.
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