Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 285-288
9. Philipp Otto Runge.
In den der akademischen Ausstellung geltenden Artikeln der
Abendblätter waren von den Berliner Freunden die Ansprüche
niedergelegt worden, die sie an die moderne Kunst zu stellen
hatten. Das thatsächlich Geleistete befriedigte sie nur zu
einem sehr geringen Grade. Gewiß, Büry wurde unter ihnen nach
Verdienst geschätzt. An Friedrich aber schon, dessen Richtung
ihnen zusagte, war die Ausführung nicht gut zu heißen. Nur
Einen Maler gab es damals, der das romantische Ideal eines
Künstlers sowohl der Erfindung wie der Ausführung nach erfüllte:
das war der in Hamburg lebende Maler Philipp Otto Runge. Er
hatte als Künstler eine Stellung inne, wie Novalis als Poet.
Gleich diesem starb er früh in der Blüthe seines Lebens, im
November 1810. Und Clemens Brentano schrieb ihm zu Ehren im
69. Berliner Abendblatt, vom 19. December 1810,
das Andenken eines trefflichen deutschen Mannes und
tiefsinnigen Künstlers. Heinrich von Kleist
der einzige Fall dieser Art hatte <286:>
den gesammten Raum eines Blattes, von der ersten bis zur letzten
Zeile, für diesen Aufsatz hergegeben.
Auch hier spielten in die künstlerische Werthschätzung
persönlich gestaltete Beziehungen hinein, und zwar waren es
die Heidelberger Romantiker gewesen, Arnim, Brentano, Görres
mit ihrem Verleger Zimmer, die zuerst seinen Namen und seine
Kunst dem Publicum priesen. Seine unergründlich tiefen Gebilde,
die vier Tageszeiten darstellend, erschienen damals. Görres
deutete sie mit all dem Reichthum seiner eigenen Phantasie
in den Heidelberger Jahrbüchern aus. Für den Kinderlieder-Titel
des Wunderhorns wurden Rungesche Motive aus den Tageszeiten
verwandt, und in die Einsiedlerzeitung nahm Arnim ein wundervoll-einfach
und geschlossen erzähltes Märchen von ihm auf. Als dem Freunde
Steffens hingen ihm alle diejenigen an, die mit der
weitverzweigten Reichardtschen Familie Freundschaft
hielten. Nun kam, 1810, Runges tiefgedachtes Werk über
die Farbenkugel heraus, mit dem er, ganz aus eigener Kraft,
Goethe auf seinem Wege vorschritt; und Goethes eigene
Farbenlehre enthielt am Schlusse des didaktischen Theiles
ein großes Schreiben Runges über die Farben. Die Augen
richteten sich jetzt auf Runge als auf den Künstler, von dem
das Höchste zu erwarten sei und nun so plötzlich
der Tod, und der Abbruch dieses Ringens und Schaffens für
die neue Kunst!
Die preußischen Patrioten waren gewöhnt an Verlust
und Leiden. Das Gefühl, daß Unwiederbringliches verloren sei,
durchdringt den Schmerz der Freunde um Runge. Es tröstet sie
die christliche Gewißheit, der ewigen Dauer des hienieden
wahr und schön Begonnenen. Das Wort von der Leidensschönheit
konnte damals nur entstehen und in Poesie und bildender Kunst
gestaltet werden. Ein Sonett Arnims auf Runge spricht
diese Stimmung aus; mit inniger Gluth <287:> durchweht
sie Brentanos wundervolle Strophen auf Runge. Diese
gewann Kleist für seine Abendblätter: sie sind eigentlich
Das, was Brentano zu sagen hatte. Was nekrologartig ihnen
vorausgeht, erscheint nur wie zur Orientirung des Publicums
geschrieben. Eine künftige Ausgabe der Werke Brentanos
würde die Dichtung, der inneren Stimmung nach, an die Cantate
auf den Tod der Königin Luise anzuschließen haben.
Woraus der prosaische Nekrolog entstanden, läßt sich
litterarisch noch recht gut erkennen. Runge und Brentano,
die sich von Angesicht nicht kannten, wechselten das Jahr
1810 hindurch Briefe mit einander. Luise Reichardt, die ihrem
reichen Talente damals in Hamburg einen Wirkungskreis zu schaffen
wußte, näherte die Männer einander an. Runge sehnte sich nach
geistiger Anregung, die er bei Brentano zu finden hoffte;
und dieser wünschte, daß Runge den Druck der Romanzen vom
Rosenkranze, an denen er damals arbeitete, nach Art der Dürerschen
Randzeichnungen mit künstlerischen Gebilden schmücke. Die
Briefe sind gedruckt. Die Brenntanos gleichen einer
Confession. Er spricht von dem, was er erlebte, und was Runges
Werke ihm, den Freunden und der Kunst bedeuteten. Für das
Abendblatt sind diese Sätze, dem veränderten Zwecke zu genügen,
gewissermaßen umgeschrieben worden, ohne daß von dem thatsächlichen
Inhalte etwas verloren wäre. Ludwig Tieck, Görres, Steffens
erscheinen hier zusammen als die Gesinnungsgenossen der Berliner
Freunde Tieck und Görres, (ebenso auch Gubitz,
der die Stempel zu Runges Spielkarten schnitt) an dieser
einzigen Stelle in den Abendblättern. Und damit gleichsam
die allerhöchste Sanction nicht fehle, weist Brentano die
Leser auf Göthe, den stillen thätigen Heger und Pfleger
als Trefflichen, das er durch sich selbst immer dargestellt
hin, der Runge und seine Werke immer geliebt und ihm in seiner
Farben- <288:> lehre ein ewiges Monument gesetzt habe.
Goethe wurde dadurch von den Berliner Romantikern als der
Erste der Ihrigen, als ihr Meister (wie Arnim
gleichzeitig in Halle und Jerusalem ihn nannte), öffentlich
hingestellt: ein, wie wir sehen werden, noch weiterhin geübtes
Spiel, das für Goethe ein Anlaß mit gewesen ist, seine Stellung
zu den Berliner Romantikern so zu nehmen, wie er sie genommen
hat. Dem gesammten Freundeskreise hatte Brentano wie aus der
Seele gesprochen. Wilhelm Grimm schrieb Ende 1810 an Clemens
Brentano: Das Blatt über Runge ist recht schön, Sie
haben ein eigenes Talent für glückliches Ausdrücken der Gedanken.
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