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                   Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe 
                    (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 281-285 
                     
                    8. Weihnachtsausstellung. 
                     
                      
                    Es war damals weit mehr als heute Brauch, Erzeugnisse des 
                    höheren Gewerbefleißes und des Kunsthandwerks auf die akademische 
                    Kunstausstellung zu bringen. Der Katalog von 1810 zählt deren 
                    eine beträchtliche Anzahl auf, und in den Berliner Abendblättern 
                    war durch Arnims Schlußbericht dafür gesorgt worden, 
                    daß diesen für das Volksleben äußerst wichtigen Leistungen 
                    die gebührende Erwähnung zu Theil werde. Der märkische Junker 
                    hatte, und hat noch, für diese Dinge einen praktischen Blick. 
                    Kleists und Arnims Ausbildung, die zuletzt doch 
                    auf ein, freilich nicht erreichtes Verwaltungsamt hinaus wollten, 
                    zeigt im Ganzen und in vielen Einzelheiten, wie von den jungen 
                    Amts-Bewerbern gewerbliche und industrielle Umsicht unerläßlich 
                    gefordert wurde. 
                     Nach Schluß der akademischen Ausstellung rückte mit 
                    raschen Schritten das Weihnachtsfest heran, mit seiner seligen 
                    Mahnung an die Besitzenden, Noth zu lindern und Freude den 
                    Armen zu bereiten. Noth aber herrschte damals, offen und heimlich, 
                    in allen Schichten Berlins und Preußens. Der Krieg und die 
                    französische Occupation wirkten noch lange nach. Die in den 
                    Zeitungen aufbewahrte Kleingeschichte des Tages ist voll von 
                    Wohlthätigkeitsveranstaltungen aller Art zum Besten der Armen, 
                    denen aufgeholfen werden sollte. 
                     Schlimm stand es um die Familien aber, denen Standesbewußtsein 
                    und Ehrgefühl die ungewohnte Annahme von Un- <282:> 
                    terstützungen verbot. Deren gab es erfahrungsmäßig viele. 
                    Da kam ein unternehmender Bürger, Namens Werckmeister, auf 
                    die Idee, nach englischem Muster in Berlin eine Kunst- und 
                    Industrie-Handlung (in der Oberwallstraße) zu begründen, die 
                    für Damen gebildeter Familien, ohne daß ihr Name bekannt gegeben 
                    würde, den Verkauf von ihnen gefertigter künstlicher Handarbeiten 
                    vermittelte. Die Leitung nahm seine Gattin, Frau Henriette 
                    Werckmeister, in die Hände. Und mögen die Unternehmer ihre 
                    Rechnung dabei auch gefunden haben, so enthalten doch alle 
                    damaligen Stimmen rühmende Anerkennung der segensreichen Wirkung 
                    dieser Handlung. 
                     Der Name Werckmeister hatte in Berlin aber auch noch 
                    einen anderen Klang. Alle geistig arbeitenden oder geistig 
                    auf dem Laufenden sich haltenden Leute waren ihm verbunden. 
                    Werckmeister hatte nämlich ein Leseinstitut eingerichtet, 
                    das 1810 drei Jahre schon bestand, und das Niemand mehr ohne 
                    Ersatz entbehren konnte. Zwei- bis dreihundert Zeitungen und 
                    Journale des In- und Auslandes lagen für jeden durch Quartalsbeitrag 
                    berechtigten Leser zur Nutzung aus. Die Schriftsteller und 
                    Gelehrten waren sämmtlich abonnirt. Man traf sich dort, las 
                    und discutirte die Neuigkeiten. Hier zumeist hat Heinrich 
                    von Kleist die neuesten Nachrichten für die Zeitungsschau 
                    seiner Abendblätter ausgezogen. Kaum ein Tag mag vergangen 
                    sein, ohne daß Kleist in dieses Haus, Jägerstraße 25 
                    (wo auch die Ausgabe der Abendblätter Statt fand), eingetreten 
                    wäre. 
                     Man wird danach die Verknüpfung sachlicher und persönlicher 
                    Anlässe bemerken, die dazu führten, daß Kleist der Weihnachtsausstellung 
                    in der Handlung der Frau Werckmeister einen empfehlenden Artikel 
                    schrieb, den er in seinen Abendblättern Nr. 68, vom 18. December 
                    1810, mit hk zeichnete. 
                     Aber mit welcher Zartheit und treuherzigen Gesinnung 
                    <283:> wird Kleist seiner Aufgabe gerecht. Man muß etwa 
                    die gewöhnliche Preßarbeit des Freimüthigen lesen, um den 
                    Unterschied zu fühlen. Wie wenn Kleist Kunstwerke hohen Ranges 
                    zu behandeln hätte, so liebevoll beschreibend zählt er die 
                    vorzüglicheren Sachen auf. Es macht ihm Freude zu berichten, 
                    daß eine (ihm wohl bekannte) edle Dame eines dieser Kunst- 
                    und Prachtstücke bereits für 15 Louisdor erkauft habe. 
                    Sein goldenes Gemüth strahlt uns aus jedem seiner Sätze zu: 
                    Es hat etwas Rührendes, das man nicht beschreiben kann, 
                    wenn man in diese Zimmer tritt; Schaam, Armuth und Fleiß haben 
                    hier, in durchwachten Nächten, beim Schein der Lampe, die 
                    Wände mit Allem was prächtig oder zierlich oder nützlich sein 
                    mag, für die Bedürfnisse der Begüterten, ausgeschmückt. Es 
                    ist, als sähe man die vielen tausend kleinen niedlichen Hände 
                    sich regen, die hier, vielleicht aus kindlicher Liebe, eines 
                    alten Vaters oder einer kranken Mutter wegen, oder aus eigner 
                    herben dringenden Noth, geschäfftig waren; und man mögte ein 
                    Reicher sein, um das ganze Putzlager, mit allen Thränen, die 
                    darauf gefallen sein mögen, zu kaufen, und an die Verfertigerinnen, 
                    denen die Sachen doch wohl am Besten stehen würden, zurückzuschenken. 
                    Wieviel Wehmuth, Menschenliebe und eigene Erfahrung ist nicht 
                    in diese Worte hineingelegt! Mußte er doch selber so oft aus 
                    eigner herben dringenden Noth geschäftig sein, und konnten 
                    ihm nicht bei seinen Standesgenossen die ergreifenden Erfahrungen 
                    fremd geblieben sein, aus denen in Arnims Auffassung 
                    die Geschichte der verarmten Gräfin Dolores hervorging. Und 
                    welche den Gegenstand adelnde Schönheit der Sprache! Die durchwachten 
                    Nächte  fast wie Goethes wundervolles Wort 
                    von Schillers durchgewachten Nächten, mit denen dieser 
                    unsern Tag erhellt habe. Ich kenne aus Kleists letzten 
                    Jahren keine Stelle, die sein Innerstes uns mit gleicher Reinheit 
                    zeigte. <284:> 
                     Und weil wir mit Kleist vor dem Weihnachtsabend stehen, 
                    dessen Glanz ihm zum letzten Male in diesem Leben leuchtete, 
                    so seien hier auch die Betrachtungen eines Greises über 
                    die Weihnachtsbescheerungen angeschlossen, die Kleist 
                    am 21. December 1810 in seine Abendblätter aufnahm. Ohne 
                    jede Andeutung ihrer Autorschaft, kann man nur im allgemeinen 
                    sagen, daß sie dem Stile und der (im Folgenden aber nicht 
                    beibehaltenen) Orthographie nach nicht von Kleist geschrieben 
                    worden sind. Sie tragen auch zu sehr den Charakter des Selbsterlebten, 
                    Selbstbiographischen an sich, das für Kleist nicht passen 
                    würde. Der Greis erzählt mit seliger Erinnerung, wie in seinem 
                    Elternhause, als er noch ein Kind war, der heilige Christabend 
                    gefeiert wurde. Aus dem eichenen Schrank der Polterkammer 
                    wurde alle Jahre ein großes zierliches Schnitzwerk, die Geburt 
                    Christi darstellend, hervorgeholt, mit allem Beiwesen der 
                    wunderbaren Geschichte, den Hirten mit ihren Schafen, den 
                    Engeln in der Luft, den drei magischen Königen, und vor allem 
                    mit dem Sterne über der Hütte, der mit einem Glanze strahlte, 
                    daß die Lichter auf den Geschenktischen trüb und freudenlos 
                    schienen. Neben diesem Schaustück standen die Tische mit Geschenken 
                    für das Hausgesinde und die Kinder: Wenn wir von der 
                    unvergleichlichen Lust an dem himmlischen Bilde zurückkehrten 
                    zu der irdischen, handgreiflichen und schmackhaften Lust unsrer 
                    Tische, so schien uns die Welt zu gehören, und wenn auch, 
                    wie in den schlimmen Zeiten des (siebenjährigen) Krieges die 
                    ganze Bescheerung nur in Aepfeln, Nüssen und einigem Backwerk 
                    bestand, und wir in unsern Erwartungen noch so ungemessen 
                    gewesen waren. In diesem Doppelgeschenk des ewig Unerreichbaren 
                    und des nützlich Handgreiflichen stellt sich dem Greise die 
                    große Weisheit der Väter dar, die verloren zu gehen drohe. 
                    Die Bilderschrift der heiligen Vorgänge, geflossen aus dem 
                    Drange <285:> der Gemüther, werde jetzt in der aufgeklärten 
                    Zeit als Aberglaube verfolgt, und doch: Nichts hat meine 
                    Seele aufgeklärt und erhoben, wie dieser Weihnachts-Aberglaube. 
                    Der Greis sieht mit der Sorge des Alters die Gefahr herankommen, 
                    denn: Ihr, arme Kinder, werdet den Vorwitz und die Vermessenheit 
                    eurer Eltern büßen in der Kälte eures Herzens, da wo es sich 
                    entzünden müßte, für Gott, also für Vaterland und König, die 
                    heiligen Wesen die nur empfindet, wer Gott im Herzen trägt. 
                    Ein Mann spricht hier aus der Tiefe seiner Lebenserfahrung, 
                    dem christlicher Glaube, Königstreue und Vaterlandsliebe in 
                    unauflöslichem Verein die Mächte sind, auf denen bei uns Staat 
                    und Gesellschaft, Sitte und Recht allein beruhen könne. 
                     
                    
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