Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 262-268
4. Empfindungen vor Friedrichs
Seelandschaft.
In gleichem Maße, wie das Portrait,
war die Landschaft auf der Ausstellung vertreten, weniger
allerdings die Historie, und es bestand von vornherein die
Absicht, auch über diese Kunstgebiete in den Abendblättern
zu berichten. Kleist selber kündigte diese Absicht den Lesern
an. Als Beckedorff zu summarisch meinte, er könne nach seinen
allgemeinen Er- <263:> örterungen eine ganze Masse anderer
Portraits, auch die des Herrn von Kügelgen in Dresden, dreist
übergehen, merkte Kleist dazu mit eigner Namensunterschrift
an, daß dies doch nur hier des Raumes wegen geschehe,
weil man im Feld der historischen Malerei auf ihn zurückkommen
werde. Die vorläufige Entschuldigung des Raumes wegen
war natürlich nur die Deckung einer Differenz zwischen Mitarbeiter
und Redacteur. Kleist kannte Kügelgen persönlich von Dresden
her. Denn, wie wir wissen, Kleists Dresdener Freunde
Wetzel (Mitarbeiter des Phöbus), Adam Müller, Rühle, Schubert
verkehrten in Kügelgens Familie, ja Schubert wohnte
eine Zeitlang im selben Hause mit ihm. Wie wäre es denkbar,
daß nicht auch Kleist, obgleich die Erinnerungen eines
alten Mannes nichts davon zu wissen scheinen, mit Kügelgen
in persönliche Verbindung getreten wäre? Kügelgen aber hatte
in Berlin außer seinem eigenen Bildniß die Portraits von Goethe
und Wieland ausgestellt, neben denen Apollo und Hyazinth,
sowie eine Verkündigung Mariens als Proben seiner historischen
und religiösen Arbeiten gelten durften. Kleist schätzte Kügelgen
höher ein, als Beckedorff, und konnte weder aus menschlichen
noch aus künstlerischen Gründen zugeben, daß Kügelgen in seinem
Blatte etwas von oben herab behandelt würde.
Zunächst lag Kleist ein die Landschaftsmalerei betreffender
Artikel vor, den ihm Clemens Brentano zugestellt hatte, und
über den sich von neuem sachliche Differenzen zwischen Kleist
und seinen Freunden, diesmal Brentano und Arnim, aufthaten.
Friedrich nämlich hatte auf die Berliner Ausstellung
zwei Landschaften in Oel geschickt, von denen die eine, eine
Seelandschaft, sofort wieder die verschiedensten, mit Leidenschaft
verfochtenen Ansichten hervorrief. Auf weitem, öden Dünen-
<264:> sande steht einsam ein Kapuziner da und blickt
über das unendlich wogende Meer hinaus, von trübem Himmel
bedeckt. Eine schaurige, nebelgraue Stimmung ist über das
Gemälde ausgegossen, der Idee und dem Willen des Künstlers
entsprechend, daß der Beschauer begreife, wie fromme Andacht
sich fortsehne in den ewigen Glanz der Göttlichkeit. Ein Werk
von dieser religiösen Tiefe ließ sich nicht so leicht erschöpfen,
noch mit einem schlanken Urtheilsworte abthun, um so weniger,
als die Ausführung des Einzelnen bei Friedrich selten dem
Schwunge seiner Phantasie zu folgen vermochte und gegründeten
Tadel verdiente. Was die Berliner Abendblätter über Friedrich
zu sagen hatten, steht in der 12. Nummer vom 13. October
1810, ist Empfindungen vor Friedrichs Seelandschaft
überschrieben und cb unterzeichnet.
Dieser Artikel hat eine höchst merkwürdige Entstehungsgeschichte,
über deren einzelne Stufen die äußeren Zeugnisse noch vorhanden
sind. Der eigentliche Original-Aufsatz Verschiedene
Empfindungen vor einer Seelandschaft von Friedrich,
worauf ein Kapuziner (Bei einer Kunstausstellung 1810)
ist gedruckt in Clemens Brentanos Gesammelten Schriften 4,
424-429\*\. Daraus stellte Kleist seinen gekürzten Abendblatt-Artikel
her. Kleist bittet wegen dieser Umformung des Ursprünglichen
Arnim und Brentano brieflich, unter dem 14. October 1810,
um Entschuldigung. Und Kleist übernimmt in seinem Abendblatt
vom 22. October für den Inhalt nun allein die Verantwortung.
Worauf es ankommt, ist ein Erfassen der inneren Vorgänge,
die sich abspielten. <265:>
Der Originalartikel Brentanos und Arnims
denn beiden gehört er an beruht auf dem Gedanken,
daß über Friedrichs Seelandschaft ein allgemein abschließendes
Urtheil nicht möglich sei. Deshalb müsse eine Betrachtung
aus den verschiedensten Standpunkten eintreten.
Brentano führt allein die Diction. Er beschreibt das
Bild, um als seine Empfindung zu erklären, daß es den Anspruch
des Herzens zwar erwecke, aber nicht erfülle. Vielleicht daß
Besucher der Ausstellung, deren Gesprächen vor dem Bilde er
lauscht, ihn eines Besseren belehren möchten. So kommt in
dialogisirter Form die übertriebenste Begeisterung wie die
naivste Unwissenheit in allen Zwischennüancen zu Worte und
gestattet Brentano reichlich, seine Witze über das zu sogenanntem
höheren geistigen Genuß zusammenströmende Publicum zu machen.
Immer aber legt Brentano den auftretenden Personen auch wieder
einzelne richtige Bemerkungen in den Mund. Er läßt sie vor
dem Bilde sich an Ossian erinnern, an den auf nordische Stoffe
damals versessenen Poeten Kosegarten (dessen und Friedrichs
Heimath Rügen rasch zu einem Spaße über die Continentalsperre
Anlaß giebt), an Youngs Nachtgedanken, Merciers
Bonnet de nuit, Schuberts Ansichten von der
Nachtseite der Natur, und an die Apokalypse\*\.
Wie Brentanos eigene Meinung klingt es doch wohl, wenn
eine der Damen Angesichts der traurigen Stimmung der Landschaft
den Wunsch ausspricht, daß doch lieber eine frische Seeluft
wehte und ein Segel herantriebe, und daß ein Sonnenblick niederglänzte
und das Wasser rauschte. Ich zweifle nicht, daß all die im
Kunstgespräche auftretenden <266:> Personen für die
damals Lebenden sehr bekannte Gesichter hatten.
Denn das Portraitmäßige der drei letzten Personen
ist sogar einem heutigen Auge noch erkennbar. Eine Dame und
ein Führer, d. h. ein sie führender Herr, betrachten
das Bild. Das geistreich blitzende Gespräch zwischen beiden
schnellt bis an die Grenze des noch Zulässigen Seitens des
Führers auf, den die Dame gewandt und schlagfertig parirt.
Sie sagt: Wenn Sie nur nicht immer spaßten und einem
die Empfindung störten. Sie empfinden heimlich doch dasselbe,
aber Sie wollen im Andern belachen, was Sie in sich verehren.
Das ist doch der Clemens, wie er leibt und lebt, selber. In
der Dame erkenne ich Frau Lotte Pistor wieder, Brentanos
allzeit frohgemuthe Wirthin, mit der in einem fort zu schäkern
sein Vergnügen war. Während der ganzen Zeit des Gesprächs
hatte ein glimpflicher langer Mann mit einigen
Zeichen von Ungeduld zugehört. Brentano tritt ihm, ein Zeichen
der Vertraulichkeit, auf den Fuß, und nun giebt er ruhig,
besonnen und wohlwollend seine Meinung ab. Der Mann ist Arnim
natürlich, dem die folgenden Sätze dem Stile nach angehören:
Es freut mich (sagt er), daß es noch einen Landschaftsmaler
giebt, der auf die wunderbaren Conjuncturen des Jahres und
Himmels achtet, die auch in der ärmsten Gegend die ergreifendste
Wirkung hervorbringen, es wäre mir aber freilich lieber, wenn
dieser Künstler außer dem Gefühle dafür auch die Gabe und
das Studium hätte, es in der Darstellung wahr wieder zu geben,
und in dieser Hinsicht steht er ebensoweit hinter einigen
Holländern zurück, die ähnliche Gegenstände gemalt haben,
als er sie in der ganzen Gesinnung, worin er aufgefaßt, übertrifft.
Um nichts, das Arnims Autorschaft dieser Sätze sichern
könnte, zu unterlassen, citire ich schon jetzt, was Arnim
später in den Abendblättern (unten <267:> S. 279)
von Friedrich sagt: Unter den Landschaftern müssen wir
wohl Friedrich zuerst aufführen, weil seine Kraft,
ausgezeichnete Momente der Himmelsconstellation, die selbst
arme Gegenden für einzelne Stunden sehr anziehend machen können,
aufzufassen und seine Ungeschicklichkeit in der Behandlung
der Farben, zu den widerprechendsten Urtheilen hinriß.
Hier haben wir sachlich und formell (vgl. Conjunctur: Constellation
ärmste Gegend: arme Gegenden beidemal auffassen)
dasselbe Urtheil wie in Arnims und Brentanos ursprünglichem
Kunstgespräch über Friedrich. Und damit an letzterer Stelle
das durchsichtige Versteckspiel mit Arnim bis zu Ende fortgeführt
werde, schließt Brentano den ganzen Artikel mit den Sätzen:
Diese Rede gefiel mir so wohl, daß ich mich mit demselben
Herrn sogleich nach Hause begab, wo ich mich noch befinde
und in Zukunft anzutreffen sein werde ganz
richtig, denn Brentano und Arnim wohnten ja gemeinsam in einem
Quartier bei Pistors zusammen.
Kleist gab diesen Artikel nicht, wie er vorlag, in
den Druck, sondern unterzog ihn einer stark verkürzenden Umarbeitung.
Mag sein, daß ihm die zu persönlichen Späße für sein Abendblatt
nicht behagten, oder daß er bei der Fülle seines Manuscriptvorrathes
mit dem schmalen Raume seiner Blätter Haus halten mußte: der
entscheidende Grund für ihn war denn doch die sachliche Abweichung
seines Urtheils von dem der beiden Freunde. Brentano bemängelte
Idee und Stimmung, Arnim die malerische Ausführung des Bildes.
Kleist dagegen, gemäß der Haltung des Phöbus Friedrich gegenüber,
erklärte im Artikel des Abendblattes, 13. October 1810:
gleichwohl habe der Maler zweifelsohne eine ganz neue Bahn
im Felde seiner Kunst gebrochen. Kleists märkischer
Sinn bezeichnete als eine gleichartige und mit Friedrichs
Geiste zu bewältigende Aufgabe: eine Quadratmeile märkischen
<268:> Sandes darzustellen, mit einem Berberitzenstrauche,
worauf sich eine Krähe einsam plustert.
So hatte Kleist thatsächlich das Urtheil Arnims
und Brentanos durch ein eigenes ersetzt. Wenn nun auch
Kleist den ursprünglichen Wortlaut möglichst beibehalten oder
mit verwendet hatte, so sah doch Brentano beim Erscheinen
sofort, daß Einiges, z. B. der Scherz mit Youngs
Nachtgedanken, in der Eile journalistischer Arbeit gänzlich
mißverstanden worden war. Ein Schriftsteller, der auf sich
hält, läßt sich solche Eingriffe eines Redacteurs nicht gefallen.
Brentano war mit Recht empfindlich. Er konnte diesen Artikel
mit seinem Zeichen cb nicht vertreten. Es
muß eine sehr scharfe Auseinandersetzung zwischen ihm und
Kleist Statt gefunden haben, bei der dieser die schwächere
Position hatte. Er sah sich schließlich genöthigt, Brentano
im Abendblatte selber eine öffentliche Erklärung wegen des
Artikels zu geben, ein Schritt, zu dem sich der Redacteur
eines noch jungen Unternehmens nur im äußersten Falle verstehen
wird. Wurde auch Brentano mit Arnims Hülfe wieder
gut gemacht, so blieben die schädlichen Folgen doch
nicht aus. Brentanos Lust, für Kleist zu schreiben,
war bedenklich abgekühlt. Schon begonnene Arbeiten, die, wie
sich zeigen wird, ein Schmuck der Abendblätter geworden wären,
ließ er unvollendet liegen. Die Kunstkritik der Berliner Abendblätter
versandete für eine Strecke, so daß Kleists Versprechen
einer Beurtheilung der historischen Malerei nicht eingelöst
wurde.
Um so schwerer wogen nun aber zwei Angriffe, die Kleist
selber gegen Lehrkörper und Lehrbetrieb der officiellen Berliner
Kunststätte geschrieben hat.
\*\ Statt 1810
ist 1826 in Brentanos Schriften ein Irrthum, wie daraus
erhellt, daß bei der ersichtlich historischen Anordnung des
Bandes Brentanos Beiträge zur Badischen Wochenschrift
1806 und 1807 vorausgehen und das Andenken an Runge, aus den
Abendblättern 19. December 1810, folgt.
\*\ Am 8. September
1809 Brentano an Arnim: Von Schuberts Ansichten
der Natur von der Nachtseite hat ein Franzos behauptet que
cétait un assez bon ouvrage, mais pas classique, car
ce nest quune traduction du bonnet de nuit de
Mercier.
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