Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart:
Spemann 1901), 260-262
3. Räthsel auf ein Bild der
Ausstellung.
So aufschlußreich Beckedorffs Aufsatz für uns heute ist, Kleist bereitete er wegen
seiner Länge und seines doctrinären Tones in den allgemeinen Parthien doch manche
Unbequemlichkeit. Nicht nur, daß Kleist für die brennenden politischen Tagesfragen, vor
allem die Krausfehde, mitten inne Raum schaffen mußte, auch die Interessen der übrigen
ausstellenden Künstler mußte er berücksichtigen, und schon kam ihm anderes Manuscript
von Freunden zu, von Arnim und Brentano, die einzeln oder gemeinschaftlich von nun an den
Kunstartikel der Abendblätter versorgten.
Im 10. Abendblatte, vom 11. October 1810, liest man das
folgende
Räthsel auf ein Bild der Ausstellung dieses Jahres.
Es spielt das Jahr in Farben wunderbar,
Es spielt die Kunst mit manchem bunten Bild,
Und manches reizt, wenn es auch nichts erfüllt,
Wenn man vorüber, weiß man was es war.
O arme Kunst, du sinkend armes Jahr,
Sagt an was künftig dauernd von euch gilt,
In meinem Herzen ernste Andacht quillt
Für alles Schöne, was unwandelbar.
Da bleibt ein Bild in meiner Seele stehn,
Ich habs nicht mehr als andre angesehn,
Es ist nicht reizend und es ist doch schön.
Daran hat Lieb die ganze Seel gesetzt,
Der Künstler starb, er werde nicht beschwätzt,
Zum Reich der Wahrheit hat ihn Lieb versetzt.L. A. v. A.
Ein Sonett von Ludwig Achim von Arnim also; der Eingang wie in Ariels Offenbarungen,
Arnims frühesten Werke: Mit Farben spielt Begierde &c. Also auf der
Ausstellung sucht Arnim unter der Masse der vergänglichen Bilder ein <261:>
künftig dauerndes. Ein Bild bietet sich ihm dar, an das des Künstlers Liebe die ganze
Seele gesetzt hat. Aber der Künstler ist inzwischen gestorben.
Arnim ließ sein Sonett für Wissende drucken, oder doch für solche,
die in die Ausstellung gehen und sich dort umsehen konnten. Aber heute, wo jene Bilder
nicht zur Hand sind, läßt sich da noch Arnims Räthsel lösen? Ich hoffe.
In Beckedorffs Kunstartikel lesen wir das volle Lob eines
Doppelportraits von dem, leider! zu früh verstorbenen jungen Künstler, Herrn
Johann Carl Andreas Ludewig, das in der Ausstellung neben den Portraits von
Schadow hing und mit diesen auf das auffallendste und wohlthätigste
contrastirte. Ludewig war einer der talentvollsten Eleven der Berliner Akademie
gewesen. Zuerst lenkte er in ganz jungen Jahren, 1804, die Aufmerksamkeit der Kunstkenner
auf sich und erregte die größten Erwartungen. Damals stellte er eine Höllenfahrt des
Judas Ischarioth aus, ein großes Oelgemälde, über das Zelter, von der Bedeutung des
Werkes ergriffen, Goethe berichtete. Judas, im Begriff den Strick über seinem Haupte zu
befestigen, erblickt ein leuchtendes Kreuz, das zwei Engel ihm engegenhalten, und stürzt
angstgepeinigt hinab zwei Flammenhänden zu, die bereit sind, den Sünder in die Hölle
aufzunehmen. Brave Arbeit und kühne Erfindung verband sich hier mit der Idee des
Unendlichen. Wieder sieht man klar, weshalb sich die Abendblätter eines solchen
Künstlers annehmen mußten. Und auch sein letztes Werk, das Doppelportrait seiner Eltern,
mit der ganzen Liebe und Treue eines Sohnes ausgeführt, wies durch seine allegorischen
Figuren, den Genius ehelicher Liebe, die Eintracht und die Religion, auf das Unendliche,
das Ewige hin, zu dem ihn nun selbst ein früher Tod emporgetragen hatte. Diesen Künstler
und dieses Gemälde meint Arnims Sonett, und des Räthsels <262:> Lösung war
für die, die es lasen, um so leichter zu finden, als Beckedorffs Worte über
Ludewig Tags zuvor in Kleists Abendblatte gestanden hatten. Ja, ich glaube fast,
daß die Ueberschrift des Sonettes von Kleist redactionell erfunden worden sei, um der
schnellen Wiederholung das Aussehen einer vernünftigen Anordnung zu verleihen.
Arnim selbst kam nach Schluß der Ausstellung, als er in einer Uebersicht
die Leistungen der einzelnen Künstler durchging, noch einmal auf Ludewig zurück:
Die Arbeiten des früh verstorbenen Ludewig, insbesondere das Bild seiner Eltern,
erhielten fast allgemeines Lob; freilich gehört ein längerer Verkehr dazu, und eine häufigere
Wiederkehr in guten Stunden, als es den meisten Portraitmalern vergönnt ist, um
Bildnisse, wie die ältere Deutsche, Holländische und Italiänische Schule sie zeigen, zu
liefern, und wozu dieses Ludewigsche Familienbild eine Annäherung gewährt; auch würde
wohl kein Maler für diesen Fleiß einer verhältnißmäßigen Belohnung sich erfreuen
können, denn es giebt nur wenige Menschen, die auf sich viel halten dürfen, und sich der
Zukunft bewahren mögen. Die Worte klingen, wie es sich für einen berichtenden
Artikel gehört, sachlich und nüchtern, entsprechen aber in ihrer Art dem völlig, was
Arnim poetisch in seinem Sonette ausgedrückt hatte.
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