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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 254-259

2. Die Berliner Kunstausstellung.


Am 6. October 1810 begannen die Abendblätter mit der durch acht Nummern sich fortziehenden Publication eines Artikels mit der allgemeinen Aufschrift „Kunst-Ausstellung“. Der Verfasser, der L. B. unterzeichnet, war Ludolph Beckedorff, der Schützling der Frau von Berg, und Verehrer der Königin <255:> Luise. Eigentlich hätte der Aufsatz „Das Portrait auf der diesjährigen Kunst-Ausstellung“ heißen müssen. Denn allein von den ausgestellten Portraits handelt Beckedorff, und abgesehen von den allgemeinen, mehr kunstästhetischen Betrachtungen, die sehr viele politische Anspielungen im Sinne der Abendblatt-Parthei enthalten, werden in der Hauptsache die von dem damals kaum mehr als zwanzigjährigen Wilhelm Schadow ausgestellten Portraits als die eines Vertreters der herrschenden Aeußerlichkeit und Manier, die Friedrich Büry’s dagegen als die eines nach Charakter und Bedeutung in der Kunst strebenden Meisters kritisirt. Der junge Schadow war, ehe er noch 1810 nach Rom ging und sich den Nazarenern anschloß, ein Schüler des Akademie-Rectors Weitsch. Büry, erinnern wir uns, gehörte zu den Mitgliedern der christlich-deutschen Tischgesellschaft.
Im Ganzen traf Kleist mit Beckedorff’s Ausführungen zusammen. Religion und Geschichte erklärte Beckedorff für das eigentliche und würdigste Gebiet der Malerei, und nur weil im deutschen Volke eine mangelnde Begeisterung für Religion, Freiheit und Vaterland sich bemerkbar mache, scheine die Malerei jetzt auf Portrait und Landschaft eingeschränkt zu sein. Aus der geschichtlichen Entwickelung des Portraits hebt Beckedorff zwar Raphael, Velasquez, Lionardo da Vinci als unübertroffen hervor, aber mit größerer Liebe verweilt er bei den älteren deutschen Meistern, Holbein, Rubens, van Dyck und den übrigen: „Aus welchem anderen Grunde werden wir von den Porträten altdeutscher Meister so unwiderstehlich angezogen, als weil wir dort menschliche Gesichter erblicken, die sich gleich uns kund geben, mit denen die Bekanntschaft so leicht gemacht ist, die wir schon gekannt zu haben glauben? Diese Männer, die so rüstig und derb, oder so treu und ehrlich, oder so froh und wohlgemuth, oder so fromm und gottes- <256:> fürchtig aussehen, und diese züchtigen, häuslichen, andächtigen, reinlichen Frauen, alle mit ihren natürlichen, ungefärbten Gesichtern, erscheinen sie nicht wie alte, werthe Bekannte und Freunde?“ Man sieht hier, wie der Patriotengruppe das altdeutsche Wesen als für ihre Gegenwart vorbildlich erscheint, und wie sie wünschen, daß die ältere deutsche Portraitirkunst wieder erstehe. Weil Büry’s Portraits diese Forderungen auf eine natürliche, nachahmungsfreie Weise zu erfüllen schienen, darum und wegen ihrer gereifteren Kunstausführung erhielten sie in den Abendblättern den Vorzug vor allen übrigen Bildern der Ausstellung.
Schadow’s und Büry’s Bilder waren nun aber Portraits der Königin Luise und anderer sehr hoher Personen des Hofes und der Hofgesellschaft. Diesen Regionen fühlten sich die Freunde der Berliner Abendblätter nahe. Von dem, was da vorging, wußten sie viel, viel mehr, als die übrigen Zeitungen. Und darum fließen Beckedorff’s Aeußerungen, durch den Abdruck bei Kleist bewährt, heute wie eine neu erschlossene Quelle zur Lebensgeschichte der Königin Luise.
Schadow’s Portrait verblieb im Königlichen Besitz und befindet sich heute im Hohenzollern-Museum in Schloß Monbijou\*\. Es ist, ohne eigne Erfindung, auf Grund des Ternite’schen Luisentyps gearbeitet und stellt die Königin in blauem, weitausgeschnittenem Kleide, mit blond zur Seite gekräuseltem Haar und mit rothen Wangen dar. Die Gesammtauffassung ist unbedeutend, die Ausführung unfrei und schülerhaft. An dieses Portrait anknüpfend erklärt nun Beckedorff bei Kleist, daß es zu Lebzeiten der Königin keinem Maler gelungen sei, ein nur einigermaßen ähnliches Bild von ihr hervorzubringen. Die Aufgabe sei zu schwierig gewesen. Denn wer hätte „diese <257:> erhabene und doch so heitere Schönheit, die lebendige, bewegliche, geistreiche, holdselige Freundlichkeit und den ganzen, unendlichen, immer neuen Liebreiz Ihres Wesens neben dem Ausdrucke des sinnigen Ernstes und der würdevollen Hoheit in dieser königlichen Frau“ festhalten oder gar wiedergeben wollen. Schadow’s Bild genüge nicht. Aber nun eine überraschende Mittheilung: „Seine Majestät, der König, hat das Schadowsche Porträt für das ähnlichere erklärt und dadurch den Werth desselben in dieser Rücksicht bestimmt. Denn wo gäbe es einen sicherern Maaßstab dafür, wo ein lebendigeres und vollständigeres Bild der verewigten Monarchinn als in der treuen, traurenden Erinnerung des erhabenen Wittwers? Der König findet das Bild ähnlich; Er billigt es; mehr bedarf es nicht, um demselben alle Stimmen zuzuwenden. Daß Sein heiliger Schmerz ohne Widerwillen und Störung bei diesen Zügen verweilen kann, dadurch wird dies Bild geadelt und weit hinausgehoben über jede Verantwortlichkeit gegen Wünsche, Forderungen und Ansprüche, die daran von Liebhabern, Kennern und Künstlern anderweitig erhoben werden könnten.“ Diese authentische Mittheilung über Schadow’s Bild dürfte auch heute noch für das Urtheil über die Luisenbilder von Werthe sein; sie muß damals eine die Kritik der höheren Kreise dämpfende Wirkung ausgeübt haben. Um die Aufmerksamkeit von den die Königin betreffenden Dingen nicht abzulenken, hat Kleist mit redactionellem Geschick den Artikel Beckedorff’s hier unterbrochen und dies Stück im 6. Abendblatt für sich allein gegeben.
Wiederum einen Ausschnitt für sich bilden Beckedorff’s Ausführungen über Schadow’s Portrait „Sr. Durchlaucht des Fürsten Radzivil“. Man beachte den höfischen Ton in der Bezeichnung des Fürsten. Es wird die vortheilhafte polnischeTracht mit ihren kecken Farben, die Orden, der kühne Aus- <258:> druck des männlich schönen Gesichts, ja auch die Aehnlichkeit gerühmt. Nichtsdestoweniger fehle dem Bilde der innere Charakter: „Diejenigen, welche gewohnt sind, diesen geistreichen und liebenswürdigen Fürsten als den eifrigen Kenner und Beförderer der Künste und Talente, als den zärtlichen Gemahl und Vater und als die Zierde der Gesellschaft zu betrachten und zu bewundern, werden schwerlich in diesem Bilde mehr von Ihm wieder finden, als die äußere Aehnlichkeit der Gesichtszüge.“ Es spricht hier Jemand, der, wie Kleist und Arnim, der Gunst des Prinzen Radzivil sich erfreuen durfte. Und auch das politisch-patriotische Verdienst des Fürsten wird hervorgehoben, daß „er in den Stürmen und Ungewittern der letzten Zeit den beiden, damals mit einander entzweiten Mächten, seinem Vaterlande und dem verschwägerten Königshause, zugleich beharrlich treu und ergeben geblieben sei“. Wie lieb wird es Kleist gewesen sein, dem Fürsten öffentlich in seinem Blatte seine und seiner Freunde Dankbarkeit bezeigen zu können.
Von Büry’s Bildern werden die Portraits des Landschaftsmalers Genelli und der jungen Gräfin Voß, sowie die dreier fürstlicher Personen, darunter das eine Gemälde der Prinzessinnen von Oranien und von Hessen, zur Sprache gebracht\*\. Genelli, der Freund und Arbeitsgenosse Büry’s, lebte mit in dem Umgangskreise der Freunde vom Abendblatte, und die junge Gräfin Voß war die Tochter der Frau von Berg. Wieder hat Kleist, was über die fürstlichen Damen gesagt wird, als ein Ganzes für sich in einer Nummer gegeben.
Diese, die Schwestern des Königs, die selbst eigene Kunstversuche auf die Ausstellung gebracht hatten, waren schon, als die Königin noch lebte, die hohen Schützerinnen der preußischen <259:> Kriegsparthei gewesen. Auf sie als auf diejenigen, in deren Pflege der patriotische Gedanke zur That erstarken werde, richtete man jetzt nach dem Tode der Königin noch mehr die Blicke. Daher in den Abendblättern das volle Eintreten für sie. Man hatte, wie Beckedorff es ausdrückt, nicht vergessen, „mit welcher Kraft, Entsagung, Reinheit und Würde die beiden Schwestern des Königs, zwei traurige Jahre hindurch, den Einwohnern dieser Hauptstadt die Noth und das Unglück tragen geholfen und eben dadurch erleichtert hatten“. Der Hintergrund auf Büry’s Gemälde ist eine von Genelli gemalte Ansicht Berlins, vom Botanischen Garten aus gesehen. Dunkle, schwere Wolken lagern über den Thürmen Berlins. Aber im Vordergrunde schreiten im hellsten Sonnenglanze, von den Zweigen eines Palmbaumes geschützt, die beiden Fürstinnen Hand in Hand. Beide in altdeutscher, schwarz-seidener Tracht, „wie sie in jener Zeit der Trauer beständig gekleidet waren“. Das Symbolische des Bildes, das die Trübsal, den Trost, die Hoffnung der Besten ergreifend ausspricht, übt eine tiefe Wirkung aus. Jeder Patriot sah auf diesem Bilde seine geheimsten Regungen dargestellt. Farbe und Pinsel leisteten mehr, als Sprache und Feder. Nicht alle Beziehungen durften die Abendblätter mit den Mitteln der Sprache auszudeuten wagen, sie begnügten sich, sie dahin zusammenzufassen, daß sie durch die ernsten und edlen Gestalten der beiden Prinzessinnen an das Recht und die Sitte wunderbar ergreifend und rührend seien erinnert worden. Wie van Dyck der Maler der Stuarts gewesen war, so betrachteten die preußischen Patrioten jetzt Friedrich Büry als den Maler der Hohenzollerndynastie.

\*\ Dem Director des Hohenzollern-Museums, Herrn Prof. Dr. Seidel, verdanke ich die Benützung des Portraits.
\*\ Gestochen von Ludwig Grimm in Cassel.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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