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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 250-254

1. Kunstströmungen im Phöbus.


Die Dresdener Künstler waren Kleist und Adam Müller alle persönlich bekannt. Von Werken Hartmann’s, Wächter’s, Feodor’s, Kügelgen’s, und denen Carsten’s lieferten sie Umrisse als Kunstbeilagen zum Phöbus. Wenn im Phöbus den darstellenden Künsten, im Verhältniß zur Poesie und zur ästhetischen Erörterung, ein karger Raum zugemessen erscheint, der jedoch bei längerem Bestehen des Journals sicherlich ausgedehnt worden wäre: <251:> so setzte doch schon Adam Müller in dem Aufsatz „Etwas über Landschaftsmalerei“ auseinander, daß, wie die Natur in ihren scheinbar nur zerstreuten Theilen der Landschaft doch von dem einen göttlichen Gedanken beherrscht werde, auch die Landschaftsmalerei in höchster Vollendung, über das Kleine und Zufällige hinaus, diesen großen Gedanken, allegorisch gewissermaßen, darzustellen habe. Adam Müller nennt keines Künstlers Namen in dem Aufsatz. Aber er kann nur den damals frisch aufstrebenden Dresdener Lanschaftsmaler Friedrich im Auge gehabt haben, der, weil er die Landschaftsmalerei zur Darstellung naturphilosophischer Ideen und zur Erweckung religiöser Andacht gebrauchte, den Phöbus-Freunden ebenso sympathisch, wie ihren Gegnern unsympathisch war. Er setzte gleichsam Otto Runge’s Richtung in Dresden fort. Wir werden Runge und Friedrich in den Berliner Abendblättern wiederfinden.
Friedrich stand, unbekümmert um jede Schule und jeden Schulzwang, ganz allein für sich da. Er war, nach der Schilderung seines Freundes Rühle von Lilienstern, eine „ganz nordisch-ossianische Natur, großgezogen in ihrer eisigen Luft an den dunkelumflutheten Kreidefelsküsten des Baltischen Meeres“; alles, was er war, durch sich selbst und durch aufmerksames Studium der ihm einzig theuren Heimath Rügen. Wo Gotthilf Heinrich Schubert in den Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft die nordischen Kreidegebirge schildert, verweist er seine Leser (eigentlich Zuhörer 1808 in Dresden) auf die den Charakter der Kreidegebirge so meisterhaft darstellenden Gemälde des Naturmalers Friedrich. In seinen Vier Jahres- und Lebenszeiten hatte Friedrich Gedanken über die Bildungsgeschichte unserer Natur ausgedrückt, wie sie Schubert selbst nicht reiner und vollkommener hervorbringen zu können damals in Dresden erklärte.
Die in Dresden einander feindlichen Strömungen wuchsen <252:> im Stillen fort, bis der durch seine Schriften über Kunst und seine persönliche Stellung einflußreiche Kammerherr von Ramdohr die Zeitung für die elegante Welt (1809, Januar Nr. 12ff.) dazu benutzte, gegen ein von Friedrich ausgestelltes Landschaftsgemälde öffentlich vorzugehen. Dies Bild war zu einem Altarblatte bestimmt. Es stellt ein vom Dunkel der Morgendämmerung noch verhülltes Berggelände dar, von dessen Höhe zwei Felsspitzen aufragen. Zwischen beiden ist ein Crucifix aufgerichtet, und des Herrn Angesicht wird von den vollen Strahlen der ersten Morgensonne erleuchtet. Ramdohr bekämpfte nun nicht blos dieses Bild allein, sondern die ganze „mystische“ Schule in Kunst und Litteratur als den verderblichen Nährboden eines Werkes, dessen hervorragende Bedeutung er trotz des principiellen Widerspruches nicht läugnen konnte. Nun griff sofort, unmittelbar vor seinem Erlöschen, der Phöbus ein, in dem Ferdinand Hartmann, als der geachtete Fachmann, mit Ramdohr auf das übelste abfuhr und ihn durch eine durchschlagende Auslese thörichter Kunsturtheile aus seinen Büchern vor aller Welt blamirte. Ebenso nahm sich, den Phöbus citirend, Gerhard von Kügelgen in der Zeitung für die elegante Welt (10. März 1809) und Rühle von Lilienstern in seiner anonymen Reise mit der Armee im Jahre 1809 (Rudolstadt 1810, 1, 69 und Anhang) des mißhandelten Kunstgenossen und Freundes an. Hören wir aber auch Goethe’s maßvolle Stimme über Friedrich, dessen Talent und Verdienst er anerkennt, in den Annalen für 1808. Die Gedanken seiner landschaftlichen Zeichnungen seien zart, ja fromm, aber in einem strengern Kunstsinne nicht durchgängig zu billigen: ein Ausspruch, der genau den Punkt bezeichnet, bei dem Goethe’s Wege sich von denen der Phöbus-Freunde schieden. Zieht man in Betracht, daß Goethe an der Stelle der Annalen über Friedrich und Kügelgen zusammen sich äußert, so darf man <253:> annehmen, daß ihm durch Kügelgen, dem er Ende 1808 für sein Portrait gastfreundschaftlich eine Reihe von Sitzungen gewährte, mehr als durch Zeitungspublicität Friedrich’s Arbeiten nahe gebracht wurden.
Zwischen Adam Müller’s und Hartmann’s Artikeln findet sich auf der ganzen Strecke des Phöbus nur noch ein einziger anonymer Kunstartikel: „Kunstkritik“ ist er überschrieben und im Wir-Ton an die Leser des Phöbus gerichtet. Zwar auch Müller’s Aufsatz erschien im Texte ohne Autornamen, indessen wurde Müller im Register als der Verfasser aufgeführt, und er nahm dies Stück in seine Vermischten Schriften 1812 auf.
In gleicher Lage befinden wir uns, was äußere Zeugnisse anlangt, der Autorschaft der „Kunstkritik“ gegenüber, aber doch nehme ich für Einzelnes aus innerem Grunde Kleist in Anspruch. Es soll erörtert werden, ob und unter welchen Umständen eine Kunstkritik in den Plan des Phöbus aufgenommen werden könne: Kunst in dem weitesten, keine einzige Kunst ausschließenden Sinne verstanden. Kunstgenuß wird über Kunstkritik erhoben. Wer sich eines eigenthümlichen Sinnes erfreue, empfinde den Geruch der Rose lieber selbst, als daß er eine Beschreibung desselben lese, und knüpfe seine Liebschaften in der Litteratur und Kunst lieber selbst mit freier Neigung an, als daß er sie, durch fremdes Urtheil und fremde Empfehlung gebunden, aus zweiter Hand empfange. Das ist doch der ächte Kleist, zart zugleich und junkerlich ungenirt, wie im Briefe an den Maler (unten S. 271): niemals würde der gehaltene Adam Müller so geschrieben haben. Man geht die gewöhnlichen Arten der Kunstkritik durch, um sie für sich und den Phöbus zu verwerfen. „Es bedarf (heißt es weiter) des Gesprächs, des unendlichen und liebevollen, wenn die Ansicht und das Urtheil eines Kunstwerks sich veredeln und allgemeiner werden soll“: wieder Kleist’s Grundanschauung und Kleist’s <254:> Sprache. So sagte er in der Krausfehde der Abendblätter einem gegnerischen Vertreter (oben S. 58) seinen Dank dafür, daß er in dem von ihm eingesandten Aufsatze zuerst ein „gründliches Gespräch“ über die wichtige Nationalsache eingegangen sei; und wie ihm Scheffner aus Königsberg seine Entgegnung schickte (oben S. 62), erklärte er zum Abdruck, daß er „dem wissenschaftlichen Gespräch“, das sich in den Abendblättern darüber erhoben habe, freien Lauf lassen wolle. „Gespräch“ also in dem Sinne von Beleuchtung eines Gegenstandes aus den verschiedensten Standpunkten und von verschiedenen Beschauern. Und diese Auffassung führt der Autor der „Kunstkritik“ des weiteren gleichfalls vor. Ich berufe mich aber nicht blos auf meine Abschätzung des Einzelnen, sondern auf mein Gefühl dem Ganzen gegenüber. Ich halte Einzelnes in der „Kunstkritik“ für von Kleist herrührend. Müller hat das Stück nicht in seine Vermischte Schriften aufgenommen.
Wenn nun die Berliner Abendblätter die Kunstbetrachtung wieder pflegen wollten, so konnte dies nur in der im Phöbus eingehaltenen Richtung weitergeschehen. Es kam in der preußischen Residenz jetzt aber noch die Berücksichtigung des Königlichen Hofes als ein local-berlinisches Moment hinzu. Aus diesen Bestandtheilen sind, soweit allgemeine Anschauungen und nicht bloße Erwähnungen Platz greifen, die Kunstartikel der Berliner Abendblätter zusammengesetzt.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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