Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart:
Spemann 1901), 249f.
Viertes Capitel.
Berliner Kunst.
Durch die Rückkehr des Königlichen
Hofes kam auch in den Berliner Kunstbetrieb eine neue Bewegung.
Die Berliner Kunst beruhte damals ganz und gar auf dem staatlichen
Institut der Königlichen Kunstakademie. Diese hatte seit Friedrich
dem Großen satzungsgemäß die Verpflichtung, dem Publicum in
wiederkehrendem Turnus Gelegenheit zu geben, die Arbeiten
der Künstler zu beurtheilen und gute Meister kennen zu lernen.
Jetzt, um ihrer Freude über die Rückkehr der Majestäten Ausdruck
zu geben, veranstaltete sie in den Sälen des Akademie-Gebäudes
eine Große Kunstausstellung und eröffnete sie am 23. September
1810. Ueber die ausgestellten Kunstwerke giebt heute allein
der officielle Katalog noch Auskunft. Etwa vorhanden gewesenes
Actenmaterial liegt nicht mehr vor\*\.
Man sollte meinen, über ein hauptstädtisches Ereigniß von der
Bedeutung einer akademischen Kunstausstellung müsse in den privilegirten Berliner
Zeitungen von damals ein litterarischer Niederschlag zu finden sein. Allein, das wäre ein
Irrthum. <250:> Weder in der Vossischen Zeitung, noch in der Spenerschen, noch im
Freimüthigen wird die Kunstausstellung auch nur mit einem Wort erwähnt, ein Zeichen der
kaum glaublichen Armseligkeit, die jene Blätter auszeichnet. Wenn man dieses Zustandes
gewahr geworden ist, dann begreift man das energische Verlangen der Berliner Romantiker
nach einem neuen Preßorgan, das edlere Bildungsbedürfnisse befriedigen könnte.
Höchstens, daß Fouqué im Berliner Hausfreund (1810, Nr. 69) einmal die Portraits
der Königin berührte oder der mit zu schwachem Können ausgerüstete Rockstroh in seinem
Kunstjournal ein paar Bilder trocken aufzählte: eine fortlaufende Berichterstattung und
eine durchdringende Beurtheilung der ausgestellten Werke lieferten allein die Kunstfreunde
der Abendblätter.
Die Kunstkritik der Berliner Abendblätter darf aber nicht als etwas
für sich allein Dastehendes angesehen werden, sondern will als das nothwendige Glied
einer allmähligen Entwickelung verstanden sein. Sie knüpft an die Weimarische Tradition
an, die den Kunstgeschmack aller romantischen Gruppen, wie andersgerichtet der Einzelne
sich fühlen mochte, dennoch fortgesetzt beherrschte und für Heinrich von Kleists
redactionelle Thätigkeit zuletzt im Dresdener Phöbus wirksam gewesen war.
\*\ Nach gefälligem Bescheide des
Herrn Professor Dr. Wolfgang von Oettingen.
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