| 
 Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart:
        Spemann 1901), 215-217 
         
                    17. Der Verein des Tanzes mit 
                    der Musik.  
                     
                     Die gereizte Stimmung eines 
                    Theiles der Theaterbesucher fing nun aber an sich in die Praxis 
                    umzusetzen. In für Schauspieler und Director beängstigender 
                    Weise wurden die Vorstellungen durch lautes Pochen unterbrochen. 
                    Namentlich der Abend des 11. November 1810 gestaltete 
                    sich für Iffland zu einem wahren Leidensabend. Es wurde Kotzebues 
                    Belagerung von Saragossa oder Pachter Feldkümmels Hochzeit 
                    gespielt, worauf das Ballet Der Verein des Tanzes mit der 
                    Musik nachfolgte. 
         Es war wirklich ein starkes Stück, daß Iffland nach dem elenden
        Pachter Feldkümmel nun auch noch Kotzebues neuestes erbärmliches Machwerk auf die
        Bühne des Schauspielhauses brachte. Die erste Winter-Aufführung am 30. October fiel
        gänzlich durch. Trotzdem wiederholte sie Iffland am 11. November, wo nun aber die
        Ruhe derartig gestört wurde, daß ein allgemeines Pochen das Spiel übertäubte. Es
        bezeugt dies der amtliche Rapport des Polizeipräsidenten Gruner an den König, vom Tage
        nach der Vorstellung; auf dem Geh. Staats-Archive noch vorhanden. <216:> 
         Gruner aber hatte weiter zu berichten, daß bei dem folgenden Ballet
        die die Minerva darstellende Tänzerin, Mad. Telle, nebst dem Knaben, Sohn des
        Victualienhändlers Kellstädt, das Unglück hatte, sammt der Glorie, in welcher sie 12
        bis 15 Fuß hoch über dem Boden schwebte, herabzufallen, so daß die Vorstellung
        nicht zu Ende geführt werden konnte; der Zimmergesell, der die Glorie regierte, sei
        verhaftet. 
         Dieser officielle Bericht Gruners findet sich nun, unglaublich
        schnell, schon im Abendblatt vom 12. November 1810, Nr. 37, wörtlich als
        polizeiliche Tages-Mittheilung abgedruckt. Man fragt sich unwillkürlich, wer das
        größere Interesse an der Veröffentlichung hatte, Gruner oder Kleist? Dem ungewöhnlich
        fehlerhaften Drucktext in dem Abendblatte sieht man noch die Eile an, mit der der Abdruck
        vor sich ging. Kleist hat, wie in anderen Fällen, die Namen herausgestrichen, und den
        Schluß des Grunerschen Rapportes ein wenig gekürzt. Es handelte sich um ein
        Ereigniß, von dem ganz Berlin sprach, und dem Polizeipräsidenten kam offenbar darauf an,
        der höchsten Stelle zu zeigen, daß er glatt unterrichtet gewesen und unverzüglich
        eingeschritten sei. 
         Dieser Artikel der Abendblätter trieb Iffland, der bis dahin Vieles
        über sich hatte ergehen lassen, endlich zur Entgegnung. Am folgenden Morgen erschien sie,
        mit seinem vollen Namen unterzeichnet, in der Vossischen Zeitung. Iffland vermeidet das
        Wort Abendblätter auszusprechen. Er weiß, im Gegensatz zu deren Mittheilung, nur von
        einem überschnellen Heruntersinken der Glorie. Niemand habe eine besorgliche
        Beschädigung dabei erlitten. Die Maschinerie sei in Ordnung gewesen. Man sieht, wie
        Iffland bestrebt ist, an höchster Stelle eine andere Darstellung des Vorfalls, als die
        des Polizeipräsidenten, zur Geltung zu bringen. Im Grunde genommen war diese Preßsache
        ein Conflict zwischen Polizei- <217:> und Theater-Behörde, weniger eine Polemik
        gegen die Abendblätter: aber immerhin hatte Kleist durch diese Veröffentlichung Iffland
        größeren Verdruß bereitet, als durch die schärfste Kritik, die bisher erschienen war. 
           
          |