Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart:
Spemann 1901), 217-219
18. Gegen die Recensenten der
Vossischen Zeitung.
Iffland hatte also für seine
Glorie der Vossischen Zeitung sich als Sprachrohr bedient.
Jedermann wußte, wie Iffland mit derselben stand, daß er insbesondere
Catels und Rellstabs bei allen Aufführungen sicher
war. Die Theater-Kritik der Vossischen Zeitung erschien Vielen
immer mehr als ein öffentlicher Scandal, dem ein Ende zu machen
sei. Es ging das allgemeine Gerede, die Kritiker der Vossischen
Zeitung seien durch Freibillets und Geldsummen von Iffland
bestochen. Eine Notiz darüber war in auswärtige Zeitungen
lancirt worden. Sogar das Journal de lEmpire,
in seiner Nummer vom 14. October, erklärte nach verschiedenen
anderen Vorwürfen gegen Iffland: La voix du public
nest pas consultée par le directeur, qui a pour lui
tous les journalistes à force de billets gratis et
de sommes dargent quil leur distribue.
Wenn das Journal de lEmpire auch die Gazette
Universelle, d. h. die Cottasche Allgemeine
Zeitung citirt, so ergiebt eine Vergleichung doch, daß der
Text der Allgemeinen Zeitung vom 8. October 1810, um
den es sich hier handelt, im Journal auf eine merkwürdige
Weise gegen Iffland geschärft und zugespitzt worden ist.
Zwar wurde von Berlin aus rasch für officielle Gegenwirkung gesorgt.
In der Vossischen Zeitung konnte man lesen, daß Herr Director Iffland, von Kabalen jeder
Art umgeben, fortwährend die Gnade des Monarchen genieße, und soeben <218:>
huldreichst von ihm mit einem Theeservice zum Andenken an die verewigte Königin beschenkt
worden sei. Die Expedition der Vossischen Zeitung, in ihrem 135. Stück, erklärte
auch, sie habe für ihre Recensenten niemals etwas von der Direction des
Königlichen Nationaltheaters empfangen. Das Dementi fand aber keinen Glauben. Kleist war
nicht gewillt, die Sache ohne Resultat einschlafen zu lassen, und deshalb nahm er von
neuem den Angriff auf, und zwar an der Stelle, wo nach seiner und seiner Freunde
vollkommenster Ueberzeugung die eigentliche Verderbniß saß. Er ging gegen die
Recensenten Catel und Rellstab persönlich vor, um sie, die bisher geschwiegen hatten, zu
einer Erkärung zu zwingen.
Im 40. Abendblatt, vom 15. November 1810, erließ Heinrich
von Kleist eine Aufforderung an die Recensenten der Vossischen Zeitung. Er
nimmt die Maske vor, als glaube er nicht an die Beschuldigung, die er doch für wahr
hielt. Die Erklärung der Expedition der Vossischen Zeitung, sagt er, sei von dem Publicum
mit großem Vergnügen gelesen worden. Um ein Gerücht so häßlicher Art aber gänzlich
niederzuschlagen, bleibe nichts übrig, als daß die Herren Recensenten, von welchen diese
Kritiken herrührten, eine ähnliche Erklärung von sich gäben: Da sich die Sache
ohne Zweifel so, wie Jedermann zur Ehre der Nation wünscht, verhält, und das Theater,
mancher Schwächen ungeachtet, Seiten genug, die zu ehren und zu schätzen sind,
darbietet: so sieht das Publicum, zur gänzlichen Vernichtung dieser skandalösen
Anekdote, mit welcher ganz Europa unterhalten worden ist, mit Ungeduld einer Erklärung
dieser Art, von Seiten der Hrn. Recensenten selbst, entgegen. Gezeichnet ist die
Aufforderung zr, ihr Stil verbürgt Kleists Verfasserschaft. Die Absicht
war die, entweder die Recensenten, wenn sie fortgesetzt schwiegen, öffentlich als
überführt erscheinen zu lassen, <219:> oder sie, wenn sie die Wahrheit
abläugneten, zur inneren Selbstvernichtung zu zwingen. August Kuhn secundirte Kleist in
dem Freimüthigen (Nr. 231), zog noch eine neue Beschuldigung Ifflands und der
Kritiker aus dem Nürnberger Journal herbei und gab eine amüsante Blüthenlese von den
kritischen Talenten der in Wahrheit ganz unbestechbaren
Recensenten.
Welche Macht die Berliner Abendblätter um die Zeit waren, sieht man
wieder daraus, daß Rellstab und Catel die Aufforderung Kleists nicht ignoriren
konnten. Sie sandten beide an Kleist die geforderten Erklärungen ein, die dieser im
45. Abendblatt, vom 21. November, abdruckte, mit der schadenfrohen Vorbemerkung:
die Redaction der Abendblätter mache sich ein Vergnügen daraus, folgende zwei
Erklärungen, die an sie eingegangen seien, zur Wissenschaft des Publicums zu bringen.
Beide erklärten, für ihre Theater- und Opern-Anzeigen von der Vossischen
Zeitungsexpedition Honorar- und Einlaßzettel zu erhalten, keineswegs aber, als
Recensenten, mit der Theaterdirection in Verbindung zu stehen, viel weniger von derselben
durch Geldsummen und Freibillets bestochen zu werden. Diese Anzapfung der Recensenten
durch Kleist machte nun wieder die Runde durch die Zeitungen. Iffland selber schwieg,
sicherlich deshalb, weil er sich bewußt war, Mittel, die öffentlich nicht gern
eingestanden werden, doch für sein Theater in Anwendung zu bringen. Zwischen der
Vossischen Zeitung und den Abendblättern aber war das Tischtuch nunmehr zerschnitten, und
der heillose Riß, der entstand, macht verständlich, warum jene vor dem neuen
Quartalsanfang sich der so lästigen Concurrenz Heinrichs von Kleist, unter dem
Schutze der Staatsbehörden, zu entledigen suchte.
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