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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 203-208

13. Paer’s Achilles.


Das Interesse der Abendblätter bemächtigte sich sehr bald auch der musikalischen Aufführungen des Nationaltheaters. Mit dem Zustande derselben waren, wie wir sahen, Kleist’s Kreise am allerwenigsten zufrieden, und das 16. Abendblatt, vom 18. October 1810, leitete die Opernfehde ein.
Tags zuvor war der große Angriff Kleist’s auf Iffland erst geschehen; jetzt verzeichnete er folgendes Bouquet von <204:> „Stadt-Neuigkeiten“: „Es ist hier von neuem und sehr allgemein das Gespräch von einer nahe bevorstehenden totalen Reform unsers Theaters. – Italiänische Oper (seria und buffa) sollen wieder eingerichtet, und für Deutsches und Italiänisches Theater neue, tüchtige Subjecte gesucht werden. – Die Königliche Kapelle, an ihrer Spitze der verdiente Meister, Herr Righini, soll wieder in Aktivität kommen. – Gewiß ist, daß die berühmte Mamsell Schmalz mit 3200 Thlr. jährlichen Gehalt, vermuthlich für beide Bühnen, hier bei uns engagirt ist.“ Kein Wort der Erkärung dazu: lauter Keime zu neuen Entwickelungen schlimmer Art. Die „Neuigkeiten“ waren so auffällig und so sehr bemerkt, daß z. B. die Hamburger Nordischen Miscellen sie in einem Extrablatte (zu Nr. 42) ihren Lesern bekannt gaben.
Den Anfang der Opernkritik machte im 16. Abendblatt, vom 18. October 1810, v. M. mit einer Besprechung der Aufführung von Paer’s Achilles. v. M. ist: von Möllendorff. Dieser Major von Möllendorff war 1806 der Adjutant des Prinzen Louis Ferdinand gewesen und stand bei seinen Kameraden und den jüngeren Herren von Adels im allergrößten Ansehen. Er that nicht in einem Berliner Regimente Dienst, sondern gehörte zu den Offizieren der Armee. Täglich kam man zwanglos in seiner Wohnung zusammen. Wer bei ihm eintrat, galt als Anhänger der Kriegsparthei, als ein Gegner Hardenberg’s und seiner Politik, natürlich auch Iffland’s und seiner Theaterleitung. Kleist, Arnim und andere Mitarbeiter der Abendblätter verkehrten bei ihm. Möllendorff war Mitglied der christlich-deutschen Tischgesellschaft, hatte offenen Sinn für allerlei geistige Interessen, und führte die Feder ebenso angriffslustig wie seinen Degen. Geliebt von seinen Gesinnungsgenossen, war er stolz darauf, von seinen politischen und litterarischen Gegnern, die <205:> er verachtete, gehaßt und verläumdet zu sein: eine feste, rücksichtslose, rasch zufahrende, und doch noble Junkernatur im Soldatenrocke.
Paer’s Achilles wurde in dem Herbste in Weimar aufgeführt, wo der gefeierte Münchener Baritonist Brizzi, ein geborener Italiener, die Titelrolle sang. Das wußte Iffland, weil er dort im September als Gast gespielt hatte. Die Oper, den Musikfreunden längst bekannt, stammte noch aus Paer’s Dresdener Schaffenszeit (bis 1806). Dem Berliner Publicum aber erschien sie als eine Neuheit, auf die man um so mehr gespannt war, als andere Opern Paer’s, Camilla seit 1801, Sargines seit 1808, auf dem Berliner Spielplan standen.
Die Aufführung fand zur Geburtstagsfeier des Kronprinzen (15. October) auf dem Königlichen Operntheater bei großem Zudrang des Publicums Statt. Die Besprechungen in den alten Berliner Zeitungen flossen, wie immer, von lautem Lobe über. Die Vossische Zeitung, vom 18. October 1810, setzte ihren Lesern eine Inhaltsangabe des Textbuches vor und rühmte die Musik als „die gehaltenste von Pär“. Gleichfalls oberflächlich urtheilte der Freimüthige am 22. October 1810. In den Abendblättern dagegen trug Möllendorff mit gründlichem Nachdruck seine abweichende Meinung vor.
Er beginnt mit einer spöttischen Bemerkung gegen die Vossische Zeitung: „Es sei (sagt er) dem Artikel ,National-Theater‘ der Berliner Zeitung vorbehalten, den Inhalt der Oper Achilles dem Publiko bekannt zu machen.“ Und ich erinnere nun daran, daß diese selbe Art der Polemik bereits in der ++ gezeichneten Anzeige der Posse „Der Sohn durchs Ungefähr“ begegnete (oben S. 192): woraus ich die Möglichkeit oder die Wahrscheinlichkeit herleite, daß Möllendorff auch jene verfaßt haben könne. <206:>
Möllendorff übt nunmehr Kritik an Paer’s Musik und an den die Oper aufführenden Kräften. Er erklärt die Musik nicht für eines der gelungensten Werke Paer’s. Sie besitze zwar Melodien und einzelne Sätze, die das Ohr ergötzten und den Musiker wie den Musikliebhaber zum Beifall zwängen. Aber ihr fehle doch Simplicität und Einheit des Ganzen, wodurch allein ein theatralischer Effect bewirkt werde. Als nachtheilig bei der Aufführung hebt Möllendorff hervor: die schwerfällige, unmusikalische Uebersetzung des italienischen Originaltextes von Gamera; die ganz kraftlose, öfters nachlässige Execution des Orchesters, welches letztere bei der Vorstellung in der That ohne gleichen matt und unaufmerksam gewesen sei; die hier und da vielleicht aus Noth unvortheilhafte Austheilung der Rollen. Das Schwergewicht des Tadels liegt auf dem zweiten und dritten Punkte, und richtete sich gegen den Musikdirector Seidel und gegen Iffland. Paer hatte die Hauptrollen, die der Briseis und des Achill, für seine eigene Frau, geb. Riccardi, und für Brizzi geschrieben. In Berlin traten nun in diesen Rollen Eunicke und Mad. Müller auf, denen Möllendorff die adäquate Leistungsfähigkeit absprach, ohne die eigenthümlichen Verdienste der beiden, namentlich Eunicke’s, zu verkennen. Für die Träger der übrigen Rollen hatte er fast nur wegwerfenden Tadel. Boshaft setzte er hinzu: in welcher Sprache die Chöre gegeben worden, sei bis jetzt noch unbekannt. Dann noch ein paar Ausfälle an Iffland’s Adresse: ob es Agamemnon’s Liebhaberei gewesen sei, einen weißen Adler auf dem Schilde zu tragen; und ob die Brücken in Griechenland mit seidenen Umhängen verziert waren, welche eine alte Baumstange zusammenhielt? – womit diese böse Kritik, ohne ein erfreuliches Wort, prall und patzig schloß.
Die für die Aufführung der Oper verantwortlichen <207:> Stellen empfanden diese Kritik zu tief, um still dazu zu schweigen. Die Antwort wurde, bei Wiederholung der Oper, in den Freimüthigen vom 29. October 1810 lancirt, wo sie wegen ihres ersichtlich officiellen Charakters wunderlich genug von den übrigen ganz anders gearteten Theaterberichten absticht. Auch stand der Freimüthige, unter der Leitung August Kuhn’s, sonst freundlich zu den Abendblättern. Von Allem, was in Kleist’s Abendblättern bemängelt worden war, wird das gerade Gegentheil behauptet. Die Oper Achilles haben den gebildeten Musikfreunden Berlins einen sehr reinen Kunstgenuß dargeboten. Sie werde hier nicht nur mit größter Pracht, sondern auch mit möglichster Präcision gegeben, wofür alle unbefangene Kunstfreunde dem würdigen Herrn Musikdirector Seidel und der Direction des Theaters sich verpflichtet fühlen müßten: „Um so mehr ist es zu bewundern, daß in den hiesigen Abendblättern sich eine Stimme erheben konnte, die dies nicht anerkennen will, und dem Orchester bei Aufführung dieser Oper den Vorwurf der Nachlässigkeit macht. Der Verfasser jener Anzeige verräth wenig Kenntniß von Musik.“ Die Entgegnung kam von Iffland selbst.
Wer der anonyme Gegner im Freimüthigen war, wußte man im Lager der Abendblätter ganz genau. Im 35. Abendblatt, vom 9. November 1810, ging Möllendorff dafür auf die verächtlichste und wegwerfendste Weise auf ihn los. Er erinnert daran, daß der Mondkaiser, in dem Lustspiele gleichen Namens, einem Tänzer, der ihm seine Kunst zeigt, 1500 Paar Schuhe zu verabreichen beschließt\*\. „Was sollen wir,“ <208:> fragt Möllendorff höhnisch, „mit dem Recensenten im Freimüthigen angeben, der das Kunststück macht, die Stimme des Abendblatts, mit päpstlicher Unfehlbarkeit, ohne Darlegung der Gründe zu Boden zu schmettern?“ – und antwortet: „Wir wünschen ihm, auf gut mondkaiserliche Weise, eine ähnliche Anzahl von – Ohren, ein Geschenk, über dessen Bedeutung wir uns hoffentlich nicht näher zu erklären brauchen, und das derselbe à deux mains gebrauchen kann.“ Dies war die „Oeffentliche Danksagung“, mit der in den Abendblättern der Gegner abgelohnt wurde.

\*\ Der Mondkaiser ist eine Posse in drei Aufzügen, aus dem Französischen frei übersetzt von Friederike Helene Unger, in deren Gatten Verlage 1790 zu Berlin der erste Druck erschien. Ich empfing das Büchelchen aus der Theaterbibliothek zu Mannheim. Nach S. 42 soll der Saltado, der vor dem Mondkaiser getanzt hat, ein Gnadengeschenk erhalten, und da heißt es: „Man reiche ihm, weil er sich mit seiner großen Geschicklichkeit schon ganze Schiffsladungen von goldnen Uhren und Dosen verdient … man reiche ihm fünfhundert – Paar Schuh. Er muß sehr viel verbrauchen.“

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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