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Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 201-203

12. Von einem Kinde, das kindlicher Weise ein anderes Kind umbringt.

(Werner’s 24. Februar.)

Wie über das, was Iffland that, war man auch über das, was er nicht that, in den Kreisen der Abendblätter ungehalten. Man forderte, daß er nicht blos classische und alte abständige Stücke, sondern auch moderne romantische Dramen aufführen solle.
Das 38. Abendblatt, vom 13. November 1810, erzählte nun die schlichte Sage von einem Kinde, das kindlicher Weise ein anderes umbringt: wie in Franecker in Westfriesland zwei Knaben Schlachtens mit einander spielen, und der eine den anderen absticht; wie dann ein alter Rathsherr dem überlebenden Knaben, zur Probe seiner kindlichen Unschuld, einen rothen Apfel und einen rheinischen Gulden hinstreckt, der Knabe aber lachend nach dem Apfel greift und dadurch aller Strafe ledig wird. Der anonyme Einsender weist nun wie <202:> zufällig darauf hin, daß Zacharias Werner „diese rührende Geschichte aus einem alten Buche“ in seinem Trauerspiele „Der 24. Februar“ verwende, das „in Weimar und Lauchstädt schon oft mit einem so lebhaften Antheile gesehen worden sei, als vielleicht kein Werk eines modernen Dichters“. Der Einsender wisse nicht, ob Werner die obige Geschichte ganz gekannt oder in seinem Trauerspiele erzählt habe: „denn jenes trefflichste und darstellbarste Werk Werner’s, zu dem nur drei Personen, Vater und Mutter und Sohn, nur eine doppelte durchgeschlagene Schweizer Bauerstube, ein Schrank, ein Messer und etwas Schnee, den der Winter gewiß bald bringen wird, die nöthigen Requisite sind, ist auf unsrer Bühne noch nicht aufgeführt worden“. Iffland könne den Vater, die Bethmann die Mutter geben, für den Sohn seien Schauspieler im Ueberflusse da. Es sei zu wünschen, daß die kleine Mittheilung den Sinn und den guten Willen dazu anregen möge.
Die Anregung fiel aber nicht auf empfänglichen Boden, da Iffland längst nicht Willens war, den 24. Februar aufzuführen. Wir kennen Werner’s Brief an Iffland, vom Mai 1809, in dem er sein Trauerspiel der Berliner Bühne vergebens anbot. Hitzig machte, nach ungedruckten Briefen die ich in Händen habe, den Unterhändler zwischen Werner und Iffland. Der Mitarbeiter der Abendblätter war offenbar in den Stand der Dinge eingeweiht. Es könnte Zufall sein, fällt aber dennoch zur Verwunderung auf, daß er dieselben Gründe für die Aufführung beibringt, wie Werner in dem Briefe selbst: die drei Personen, die Geringfügigkeit der Kosten, die Besetzung durch Iffland und die Bethmann, während für den Sohn Beschort, Mattausch oder Bethmann vorgeschlagen werden. Nur daß der Artikel des Abendblattes sich inzwischen auf Goethe’s Aufführung berufen konnte.
Wer war der anonyme Verfasser? Daß man den <203:> Artikel, seit Köpke, in Kleist’s Schriften finden kann, ist ein arger Mißgriff. Kleist hat diese Sätze nie geschrieben. Die Umstände weisen vielmehr auf Arnim hin. Sein ist der Stil. Sein ein solcher Scherz wie der mit dem Schnee. Er war Ende December 1808 mit Werner zusammen bei Goethe gewesen. Den Attila empfahl er in den Heidelberger Jahrbüchern (oben S. 176); den 24. Februar, der noch nicht gedruckt war, über dessen erste Aufführung in Weimar, am 24. Februar 1810, aber das Pantheon berichtet hatte, jetzt nun in den Berliner Abendblättern. In den Kronenwächtern (2, 181) hat Arnim von dieser Kindersage, ihren tiefen Sinn zugleich entfaltend, Gebrauch gemacht, um den durch die Idee seiner Dichtung nothwendig gewordenen Tod des nachgebliebenen Söhnchens Berthold’s herbeizuführen. Die Brüder Grimm aber nahmen aus den Abendblättern, sie als ihre Quelle citirend, das Kinderschlachtspiel fast ohne Variante, mit dem Hinweis auf den 24. Februar, in die erste Ausgabe der Märchen auf (1812. 1, 101), ließen es später aber fortfallen, weil es doch eher Sage als Märchen ist. Sie nahmen es damals auf, weil es eben aus Arnim’s Sammlungen stammte, über die sie für ihre Märchen und Sagen freundschaftlich verfügen durften.

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Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
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