Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart:
Spemann 1901), 196f.
10. Aus einem Schreiben von
Dresden.
Auch in Dresden, in den nationalen Kreisen auf die der Phöbus sich gestützt hatte, fand
Kleists Theaterkritik ein Echo. Ein Gr. v. S. (Graf von Schönburg?)
richtete aus dem Anlasse an Kleist ein Schreiben, aus welchem dieser den größten Theil
im 33. Abendblatte, vom 7. November 1810, veröffentlichte. Der Einsender war
ein Mann altaristokratischer Gesinnung, ein Monarchist und ausgesprochener Gegner von
National-Regierungen, -Versammlungen u. dgl., unter
welchem lockenden Titel man große Tyranneien habe ausüben sehen. Ihm habe
Kleists Unmaßgebliche Bemerkung aus mancherlei Gründen gefallen. Ob mehrere
Theater in Einer Stadt, wie in Paris, London, Wien, der Kunst und den Einwohnern
ersprießlich sei, lasse er ununtersucht. Er sei ein alter Mann und lobe sich alten Brauch
und Weise: Mit einem Worte: mir ist ein Hoftheater die liebste Bühne, gerade wie
eine monarchische Regierung mir der liebste Staat ist; und ist ein Hoftheater nur ein
ächtes Hoftheater, so wird es schon ganz und von selbst auch ein Nationaltheater
sein. Er entwickelt den segenbringenden Einfluß der besten, vornehmsten
Gesellschaft auf die Vervollkommnung der Bühne und des ihr gegenübersitzenden Volkes,
der aus der Verbindung des Hofes mit der Bühne erwachse. Das schöne, ehrenwerthe hohe
Hofamt eines maître de spectacle einer alten, edlen Zeit wünscht er
wiederhergestellt zu sehen. Er sei der Repräsentant und das Organ jenes Antheils, den der
Fürst und seine Großen, den zartsinnige und vornehme Frauen an den lebendig gewordenen
Werken dramatischer Kunst nähmen. Nur er, der Vornehm-Partheilose, der nicht in,
der über dem Ganzen stehe, könne das Ganze unbefangen übersehen und regieren:
Ein Schau- <197:> spieler aber (als Director) dürfte entweder jedes Machwerk
aufführen, sobald er nur eine Rolle darin fände, in der er sich schon zum voraus
beklatscht sähe, oder doch wenigstens so ausschließend für den hergebrachten
Theatereffect sorgen, daß darüber manch wahrhaftiges Meisterwerk zu Grunde ginge;
abgerechnet die Vorliebe und den Haß zu einzelnen Subjecten der Bühne; abgerechnet,
daß, wenn der Schauspieler seine Rollen fleißig und redlich lernen und studiren will,
ihm durchaus keine Zeit übrig bleibt, die anderweitigen Theatergeschäfte treu und
prompt zu besorgen; abgerechnet, daß er mitten innen in dem Werk stehet und daher
durchaus keine Uebersicht des Ganzen haben kann. Man empfindet, wie diese Sätze, in
Berlin abgedruckt, Wort für Wort die Beziehung auf Iffland geradezu herausforderten und
herausfordern sollten. Das treu und prompt hat Kleist selber
unterstrichen, wie wenn er andeuten wollte, er habe das Gegentheil davon erfahren müssen.
Und überhaupt die Forderung eines Hoftheaters war den Freunden der
Abendblätter wie aus der Seele gesprochen. Es scheint mir nicht unmöglich, daß Kleist
in das Dresdener Schreiben die Beziehungen auf die Berliner Zustände hineinredigirt, oder
doch verschärft habe.
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