BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

[ ]


S

Reinhold Steig, Heinrich von Kleist’s Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 193-195

9. Kleist’s Unmaßgebliche Bemerkung.


Nach diesen Plänkeleien schob nun Heinrich von Kleist, frank und frei mit seiner Namensunterschrift, die schwere Wucht seiner Polemik gegen Iffland vor. „Unmaßgebliche Bemerkung“ überschreibt er seinen Artikel im 15. Abendblatt, vom 17. October. Er enthüllt den ganzen Ingrimm seiner Kreise über Iffland’s Theaterdirection, die Forderungen der Seinen an die Nationalbühne und die Gründe, mit denen Iffland sich ihren Wünschen versagen zu dürfen glaube. Ueberschlägt man die Wochenrepertoires des Nationaltheaters damals, so bemerkt man mit Befremden die Masse mittelmäßiger, ja abgeschmackter Bühnenstücke, die gegeben wurden. In der einen Spielwoche vom 30. September bis zum 6. October finden wir neben inhaltslosen Kleinigkeiten zweimal Kotzebue, einmal Iffland vertreten: zweimal freilich auch Schiller, mit den Räubern und der Maria Stuart. Die zweite Spielwoche brachte blos Nichtigkeiten und wieder zwei Kotzebue’s, kein einziges besseres Bühnenstück, das einem vornehmeren Kunstgeschmack genügt hätte. Diese unbestreitbare Misere faßt Kleist in seinem Artikel scharf und schneidend an.
Kleist fragt, warum die Werke Goethe’s so selten auf der Berliner Bühne gegeben würden, und führt als „gemeinhin“ – d. h. von Iffland – gegebene Antwort an, „daß <194:> Goethe’s Stücke, so vortrefflich sie auch sein mögen, der Casse nur, nach einer häufig wiederholten Erfahrung, von unbedeutenden Vortheilen seien“. Mit beißender Ironie holt Kleist die vergleichenden Mittel, Iffland lächerlich zu machen, aus dem politischen Kampfgetriebe jener Tage. Es gehe zwar eine Theater-Direction, die bei der Auswahl ihrer Stücke auf nichts als das Mittel sehe wie sie bestehe, auf gar einfachem und natürlichem Wege zu dem Ziele, der Nation ein gutes Theater zu Stande zu bringen: „Denn so wie nach Adam Smith der Bäcker, ohne weitere chemische Einsicht in die Ursachen, schließen kann, daß seine Semmel gut sei, wenn sie fleißig gekauft wird: so kann die Direction, ohne sich im Mindesten mit der Kritik zu befassen, auf ganz unfehlbare Weise, schließen, daß sie gute Stücke auf die Bühne bringt, wenn Logen und Bänke immer, bei ihren Darstellungen, von Menschen wacker erfüllt sind.“ Der Vergleich der Iffland’schen Theaterwaare mit gewöhnlicher Bäckerwaare hatte an sich schon etwas absichtlich Herabsetzendes an sich, und der Iffland sogar für die Bühne angehängte Smithianismus wies ihm seinen Platz in den Reihen der zu bekämpfenden Gegner an. Aber Smith-Iffland’s Grundsatz sei nur wahr, wo das Gewerbe frei und eine uneingeschränkte Concurrenz der Bühnen eröffnet sei. In Berlin aber besitze das Nationaltheater ein ausschließendes Privilegium. Die Direction habe also die Verpflichtung, sich mit der Kritik zu befassen, und bedürfe wegen ihres natürlichen Hanges, der Menge zu schmeicheln, schlechthin einer höheren Aufsicht des Staates. Sonst wäre die Berliner Bühne am besten den spanischen Reutern, Taschenspielern und Faxenmachern einzuräumen: ein Spectakel, bei welchem die Casse erwünschtere Rechnung finden werde, als bei den Goethischen Stücken. Kleist tadelt, daß geistlose Parodien auf die Berliner Bühne gebracht worden seien: denen es, wenn ein hin- <195:> reichender Aufwand an Witz an ihre Erfindung gesetzt worden wäre, bei der herrschenden Frivolität der Gemüther ein Leichtes gewesen sein würde, das Drama ganz und gar zu verdrängen. „Ja (schließt Kleist sarkastisch) gesetzt, die Direction käme auf den Einfall, die göthischen Stücke so zu geben, daß die Männer die Weiber und die Weiber die Männerrollen spielten: falls irgend auf Costüme und zweckmäßige Carricatur einige Sorgfalt verwendet ist, so wette ich, man schlägt sich an der Casse um die Billets, das Stück muß drei Wochen hinter einander wiederholt werden, und die Direction ist mit einemmal wieder solvent. – Welches Erinnerungen sind, werth, wie uns dünkt, daß man sie beherzige.“ Dieser letzte ironische Rath an die Direction setzte dem bitterbösen Artikel die Krone auf, und Iffland mußte die Empfindung haben, daß ihm nie in seinem Leben öffentlich so übel mitgespielt worden sei, wie jetzt von Heinrich von Kleist.
Mit diesen Theaterkritiken übten die noch neuen Abendblätter den größten Eindruck aus. Ganz Berlin sprach von ihnen, und wer kein eingefleischter Philister war, billigte sie. Auch außerhalb Berlins wurden sie sehr beachtet. Der den Kreisen Kleist’s gewogene H-Correspondent der Zschokke’schen Miscellen (1810, S. 356) machte in einer Correspondenz vom 20. October auf „mehrere vorzügliche Aufsätze, die besonders das hiesige Theater beträfen“ in den Abendblättern aufmerksam. Am 16. October aber, ehe noch Kleist’s schlimme Kritik vorlag, hatte ein Anonymus in die Nordischen Miscellen (1810, S. 341) gemeldet, daß „in den Theater-Kritiken, welche die ersten Nummern der Abendblätter enthielten, ein neckender Geist gegen die Person des Schauspiel-Directors Iffland nicht zu verkennen sei, und es solle dies, wie allgemein behauptet werde, in der persönlichen Abneigung des Herrn von Kleist gegen denselben seinen Grund haben“. Die Artikel zogen also.

[ S ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 06-Feb-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]